Ölkrise 1973
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„100 Jahre NÖ“

Als die Energiepreise erstmals explodierten

Rund um Ukraine-Krieg und Inflation wird uns die Abhängigkeit von billigem Gas schmerzlich bewusst. Vergleiche mit der Situation im Jahr 1973 drängen sich auf, als das Öl plötzlich knapp wurde. Trotz aller Parallelen gibt es heute Unterschiede.

Wie lange reichen die Vorräte noch – und reichen sie für den nächsten Winter? Kommt es zu Rationierungen in der Industrie und in Privathaushalten? Bleibt es gar in den Wohnungen und Häusern in den Wintermonaten kalt? Das waren die entscheidenden Fragen in jenen schwierigen Wochen.

Die Energiepreise waren weltweit explodiert. Praktisch alle Länder des Westens standen vor ähnlichen Herausforderungen, viele von ihnen griffen zu drastischen Maßnahmen. Im Parlament in Wien wurde eine Senkung der Mehrwertsteuer als Sofortmaßnahme diskutiert, nach und nach wurden stillgelegte Kohleöfen reaktiviert.

Auslöser der Krise war ein unerwartet ausgebrochener Krieg in einem anderen Land – und die Energieversorgung diente als Waffe. Österreich war hier kein primäres Ziel, sondern lediglich Kollateralschaden. Es ist Herbst des Jahres 1973 und der fossile Brennstoff, um den es geht, heißt Erdöl.

Nahostkonflikt mit globalen Konsequenzen

Ägypten und Syrien hatten am 8. Oktober Israel angegriffen und zunächst an den Rand einer Niederlage gebracht. Mit US-amerikanischer Unterstützung gelang es der israelischen Armee allerdings in der Folge, die feindlichen Truppen zurückzudrängen und den sogenannten Jom-Kippur-Krieg doch noch für sich zu entscheiden – sehr zum Missfallen der arabischen Welt.

Israelische Panzer im Jom-Kippur-Krieg 1973
APA/AFP/GPO/DAVID RUBINGER
Israelische Panzer bei Gefechten auf den Golanhöhen 1973

Die dortigen Staatschefs beschlossen, aus dem regionalen militärischen Konflikt einen globalen Wirtschaftskrieg zu machen. Primäres Werkzeug dafür: das Erdöl, von dem die westlichen Industriestaaten in den Jahrzehnten zuvor zunehmend abhängig geworden waren. Die arabischen Mitgliedsstaaten des Erdölkartells OPEC erhöhten ab Mitte Oktober die Preise und stoppten parallel dazu schrittweise ihre Lieferungen in „unfreundliche“ – also israelfreundliche – Staaten.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 1.7.2022

Vom Embargo unmittelbar betroffen waren nicht nur die USA, sondern auch die Niederlande. Die indirekten Auswirkungen fielen aber deutlich umfassender aus: Aufgrund der Preissteigerungen wurde Energie generell teurer, dadurch litten alle westlichen Länder.

Weinviertler Ölquellen als strategischer Vorteil

Österreich befand sich dabei noch in einer vergleichsweise guten Lage, schreibt der Historiker Theodor Venus in einer 2008 veröffentlichten Analyse der Ölkrise für das Kreisky Archiv: Zum einen produzierte man für ein westeuropäisches Land relativ viel selbst. Die Ölquellen im Weinviertel versiegten zwar langsam, dienten in den 70er-Jahren aber noch immer als wertvolle Ressource. Zweitens hatte man die Wasserkraft in der Nachkriegszeit bereits massiv ausgebaut. Drittens war Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) mit den Ländern im Nahen Osten besonders gut vernetzt, hier kam ihm die Neutralität Österreichs sehr gelegen.

Trotzdem waren die Auswirkungen auch hierzulande gravierend. In den ersten Wochen der Energiekrise wurde vielerorts das Heizöl knapp. Der Herbst hatte in der zweiten Oktober- und ersten Novemberhälfte längst begonnen, die Unruhe war deshalb groß. Mehr als eine Woche lang konnte etwa das Gebiet um Stadt Haag (Bezirk Amstetten) nicht versorgt werden.

Heizölknappheit im Bezirk Amstetten

Ende Oktober 1973 brach die Heizölversorgung rund um Stadt Haag zusammen. Die erste Lieferung am 7. November machte die Lage sogar noch schlimmer, es kam zum Unfall mit verunreinigtem Öl.

In den westlichen Bundesländern waren die Versorgungslücken beim Heizöl noch größer. Diese Regionen wurden großteils aus den Nachbarländern beliefert – und dort war die Situation vielfach schlimmer als in Österreich. Die Lage besserte sich überall im Verlauf des Novembers, doch die Nervosität blieb erhalten.

Schmerzhafte Entwicklungen an den Tankstellen

Eine solche Nervosität herrschte auch unter Österreichs Autofahrerinnen und Autofahrern. An den Tankstellen waren die Preise schon in den Jahren zuvor immer wieder angehoben worden – bundesweit koordiniert, denn die Kraftstoffpreise wurden damals noch von der Regierung vorgegeben. Die Ölkonzerne mussten jeweils um eine Erhöhung ansuchen, nach einer politischen Debatte kam meist ein preislicher Kompromiss heraus.

Ölkrise 1973
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Die ursprünglich militärische Krise in Nahost wirkte sich bald auch an den heimischen Tankstellen aus

Die massiven Steigerungen, die von den arabischen Ölstaaten einseitig verkündet worden waren, führten im Oktober zu großem Druck auf die Ölkonzerne und in weiterer Folge auf die Regierung. Am 14. November traten die bisher höchsten Preissteigerungen der Zweiten Republik in Kraft. Diesel und Benzin kosteten von einem Tag auf den anderen um etwa ein Viertel mehr, Heizöl sogar mehr als Drittel.

Hamstern, was das Zeug hält

Handelsminister Josef Staribacher (SPÖ) versuchte zu beruhigen, doch Hamsterkäufe konnte er nicht verhindern. Bereits zu Beginn der Krise hatte er dem Historiker Venus zufolge durch „einen ziemlich ungeschminkten Bericht über die Versorgungslage“ den Medien gegenüber einen Run auf Öl ausgelöst. Vor der Preiserhöhungen Mitte November bildeten sich erneut lange Schlangen vor den Tankstellen, die zum Teil schon bald ausverkauft waren.

Run auf die Tankstellen

Kurz vor der Preiserhöhung am 14. November 1973 versuchten viele Österreicherinnen und Österreicher noch, Treibstoff zum alten, günstigeren Preis zu erhalten.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Öl in Österreich in der Wirtschaft, im Verkehr und den Privathaushalten kein limitierender Faktor gewesen, zumindest nicht in den Nachkriegsjahren des Aufschwungs. Nun war erstmals Sparen angesagt. Das passierte nicht nur auf freiwilliger Basis – früh begann die Bundesregierung damit, zum Teil einschneidende Maßnahmen zu verhängen. Als Schreckgespenst diente monatelang eine Rationierung von Mineralölprodukten, für die bereits Bezugsscheine gedruckt wurden, die schlussendlich aber nie kam.

Tempo 100 auf Autobahnen

Als Sofortmaßnahme wurde wenige Wochen nach Ausbruch der Krise das Tempolimit auf allen österreichischen Autobahnen auf 100 km/h herabgesetzt, zudem durfte in öffentlichen Gebäuden nicht mehr so viel geheizt werden. „Die Autofahrer reagierten trotz beruhigender Erklärungen des Ministers mit einer neuerlichen Hamsterwelle“, schreibt Historiker Venus. Diese Schritte der Regierung sollten die Versorgungssituation aber kaum verbessern, lediglich die Zahl schwerer Unfälle ging auf Autobahnen spürbar zurück.

Tempolimit 100 auf Autobahnen 1973
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Das Tempolimit, das im November 1973 in Kraft trat, sollte für eine spürbare Kraftstoffersparnis sorgen

Deshalb wurde in einer nächsten Stufe ein wöchentlicher autofreier Tag diskutiert. Minister Staribacher schlug den Sonntag vor, doch Kanzler Kreisky „wollte es den Autofahrern selbst überlassen, an welchem Wochentag sie ihr Auto nicht benützen wollten“, so Venus, der die Tagebucheinträge des hauptverantwortlichen Handelsministers ausgewertet hat. Diese Maßnahme sei aber nur schwer umsetzbar und kontrollierbar gewesen. Vorerst wurde die Entscheidung deshalb vertagt.

„Im Rückblick meinte Staribacher, die Regierung habe damals eine Gelegenheit versäumt, durch eine entschlossene Energiesparpolitik sich die Anerkennung der Bevölkerung und der Presse zu sichern. Stattdessen sei später der Eindruck einer ziellosen und widersprüchlichen Politik entstanden“, schreibt der Historiker in seiner Untersuchung.

Laut Staribachers Aufzeichnungen scheiterte eine Rationierung auch am Personal in den Behörden. „Mit solchen Leuten eine Bewirtschaftung zu machen, wäre eine Katastrophe“, schrieb der Minister laut Venus über seine eigenen Mitarbeiter ins Tagebuch.

Diskussion über Sendezeiten des ORF

Im Dezember rang sich Kanzler Kreisky zunehmend zu schärferen Maßnahmen durch. Zum einen kündigte er nun tatsächlich die Einführung des persönlich gewählten „autofreien Tages“ an, zum anderen sprach er sich für Maßnahmen wie die Reduktion von Straßenbeleuchtungen aus. Sogar die Einschränkung der Sendezeit des ORF stand im Raum, wie sie in vergleichbarer Form in anderen Ländern bereits existierte. „Eine relativ geringe Verkürzung auf die Zeiten, in denen die meisten Leute hören und sehen“, könnte laut Kreisky „schon viel bedeuten für die Energieeinsparung“.

Kanzler Kreisky in der Krise

Kreisky spricht im ORF-Interview über die geplanten Maßnahmen zur kurzfristigen Senkung des Energieverbrauchs.

Tatsächlich spitzte sich die Situation zum Jahreswechsel erneut zu. Am 24. Dezember drehten die arabischen OPEC-Staaten einmal mehr an der Preisschraube – mittlerweile hatte sich deren Rohölpreis im Vergleich zum Jahresbeginn vervierfacht. Die österreichische Stromversorgung galt wenige Tage später als gefährdet. Die nächste staatliche Kraftstoffpreiserhöhung folgte – damit mussten die Menschen an den Tankstellen um gut die Hälfte mehr bezahlen als noch im Jahr zuvor.

Eine österreichische Lösung

Zum ersten „autofreien Tag“ kam es am 14. Jänner 1974. Jeder und jede war dazu verpflichtet, auf der Windschutzscheibe einen Aufkleber mit dem gewählten Wochentag anzubringen. Von der Regelung generell ausgenommen waren einspurige Kfz, Einsatzfahrzeuge, Ärzte im Dienst, Lkw, Taxis, Traktoren und Diplomatenfahrzeuge, schreibt Historiker Venus. „Anträge auf Ausnahmen vom Fahrverbot sollten Personen mit bestimmten Berufen wie Seelsorger, Tierärzte oder Hebammen und alle Personen erhalten, die ohne Auto nachweislich nicht zur Arbeit gelangen konnten.“

Der erste „autofreie Tag“

Wochenlang hatten die Vorbereitungen auf die tagesabhängigen Fahrverbote die Schlagzeilen, Mitte Jänner 1974 war es schließlich soweit.

Parallel zum Individualverkehr setzte die Bundesregierung im Bildungsbereich an. Eine zusätzliche Woche sollten alle Schülerinnen und Schüler Anfang Februar freibekommen, kündigte Unterrichtsminister Fred Sinowatz (SPÖ) an. Dadurch mussten die Schulgebäude in diesen Tagen nicht geheizt werden. Die Semester- bzw. Energieferien waren geboren.

Während die Energieersparnis dadurch im Rückblick verhältnismäßig klein blieb, bedeutete diese Maßnahme einen Geldregen für den heimischen Wintertourismus. „Ich sehe hier mit Freude einen zusätzlichen Markt im Inland zur Hauptsaison“, sagte etwa der damalige Chef der Fremdenverkehrswerbung, Harald Langer-Hansel.

Doch selbst im Tourismus waren nicht alle zufrieden. „Wir sind von dieser Maßnahme sehr überrascht gewesen, wir sind auch nicht gefragt worden“, erklärte ein Reiseberater im ORF-Interview. „Hätte man uns gefragt, hätten wir eine andere Empfehlung gegeben. Die logischste Zeit wäre im Anschluss an die Weihnachtsferien gewesen.“

Die Folgen der ersten Energieferien

Das Experiment der freien Schulwoche im Februar 1974 war ein Erfolg, zumindest für den heimischen Tourismus. Deshalb wurden die Ferien beibehalten.

Was vom Schock geblieben ist

Der „Ölschock“, wie die Ölpreiskrise heute auch genannt wird, wirkte sich nachhaltig auf die Gesellschaft aus. Während Maßnahmen wie der autofreie Tag und die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Autobahn 1974 wieder aufgehoben wurden, blieben die Semesterferien bestehen. Weitaus wichtiger erscheinen aber jene gesellschaftlichen Folgen, die indirekt von der Krise 1973/74 ausgelöst wurden und heute noch sichtbar sind.

Die Umwelt- und Klimathematik der fossilen Energieträger spielte zwar in den 1970ern noch keine große Rolle, doch die tägliche Abhängigkeit von Öl & Co. trat erstmals in aller Deutlichkeit ans Tageslicht – sowohl jene der gesamten Volkswirtschaft als auch jene der Privatpersonen.

In den Jahrzehnten zuvor waren Investitionen in Energiesparmaßnahmen vernachlässigt worden, sie waren schlicht nicht notwendig gewesen. Nun flossen plötzlich Forschungsgelder in die Entwicklung effizienterer Motoren oder in Bereiche wie die thermische Sanierung von Gebäuden und erneuerbare Energiequellen. Mindestens genauso viel Hoffnung wie in Solar- und Windkraft setzte Österreich damals in die Atomkraft, wurde doch in Zwentendorf zu diesem Zeitpunkt bereits am ersten Reaktor gebaut. Erst mit der Volksabstimmung 1978 sollte sich letztere Hoffnung als Illusion herausstellen.

Das Ende des Nachkriegsbooms

Doch nicht nur im Energiebereich waren die Folgen der Ölkrise zu spüren. Die Teuerungsrate erhöhte sich 1974 kurzzeitig auf 9,5 Prozent, den höchsten Wert seither. In einzelnen Monaten waren auch Werte über zehn Prozent zu beobachten – diese hatte es seit Anfang der 1950er nicht mehr gegeben. Experten der Nationalbank sprechen heute von einem „massiven Inflationsschub“, der eine Phase einer stark schwankenden Teuerungsrate zur Folge hatte.

Die Jahre des wirtschaftlichen Aufschwungs waren zu Ende, 1975 schrumpfte das BIP zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, bei der Arbeitslosenquote wurde erstmals in der Zweiten Republik ein Anstieg verzeichnet. Die Regierung unter Kreisky leitete eine Zeit der massiven Staatsverschuldung ein, um wieder aus der Rezession herauszufinden. „Ein paar Milliarden mehr Schulden“ waren für den SPÖ-Politiker bekanntlich weniger schlimm „als ein paar Hunderttausend Arbeitslose mehr“ – ein hoher Preis, fast ein halbes Jahrhundert vor der nächsten derartigen Krise.