100 Jahre NÖ Marchegg Geiselnahme Terror Cobra Gründung
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„100 Jahre NÖ“

Geiselnahme löst blutige Terrorwelle aus

Im September 1973 ist es in Marchegg zu einer Geiselnahme durch arabische Terroristen gekommen. Die Täter überfielen einen Zug und drohten, alle in die Luft zu sprengen. Doch das war erst der Beginn einer blutigen Terrorwelle im Land.

28. September 1973, 10.30 Uhr: Am Grenzbahnhof in Marchegg (Bezirk Gänserndorf) kam ein Zug aus Bratislava in der damaligen Tschechoslowakei an. Die beiden Zollbeamten Franz Weleba und Franz Bobits wollten die Reisepässe der jüdischen Zugspassagiere kontrollieren. Doch plötzlich hielten ihnen zwei Araber eine Pistole unter die Nase. „Sie haben uns in den Schlafwagen reingetrieben und die Pistole abgenommen“, schilderte Weleba in einem Interview.

Weleba konnte bei einem hinteren Ausgang aus dem Zug entkommen und um Hilfe rufen. Sein Kollege sowie fünf jüdische Emigranten aus der Sowjetunion wurden als Geiseln genommen. Einer Frau gelang aber mit ihrem kleinen Sohn bald die Flucht. Am Bahnhof kam es auch zu einem Schusswechsel, ehe sich die syrischen Terroristen mit den Geiseln im Bahnhofsgebäude verschanzten.

Forderung nach Stopp der Emigration

Die Araber forderten ein Flugzeug und den Stopp der Auswanderung russischer Juden über Österreich nach Israel. Denn ab 1969 erlaubte die Sowjetunion den russischen Juden die Auswanderung nach Israel. Als Transitland bot sich das neutrale Österreich an. Die Jewish Agency hatte – als Zwischenstation – das Schloss Schönau an der Triesting (Bezirk Baden) gemietet, wo die Emigranten, die per Bahn nach Österreich kamen, bis zum Abflug untergebracht wurden.

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Mit diesem Zug kamen die arabischen Terroristen nach Marchegg
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Die Araber verschanzten sich zunächst mit mehreren Geiseln im Gebäude des Grenzbahnhofs
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Schließlich fuhren die Täter mit vier Geiseln zum Flughafen
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Die Polizei verfolgte das Fahrzeug auf Schritt und Tritt
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Einer der beiden Terroristen
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Die Verhandlungen mit den Geiselnehmern zogen sich am Flughafen über 16 Stunden

„Bestimmte Organisationen im arabischen Raum haben das aber nicht gern gesehen“, erinnert sich Polizeioffizier Kurt Werle, der damals für die Sicherheit im Schloss verantwortlich ist. Hintergrund war der mit Beginn der 1970er-Jahre zunehmende Konflikt wegen der Siedlungs- und Einwanderungspolitik Israels gegenüber den Palästinensern. Trotzdem kamen bis 1973 mehr als 70.000 sowjetische Juden über Österreich nach Israel.

Bewachung war „Alibi-Aktion“

„Allmählich sickerte aber eine gewisse Gefährdung durch“, erzählt Werle. 1972 wurden u.a. am Wiener Ostbahnhof sechs palästinensische Guerillas verhaftet, die zugaben, Sprengstoffanschläge auf das Schloss Schönau geplant zu haben. Doch die Bewachung im Schloss war laut Werle angesichts dieser Situation „eine reine Alibiaktion, von einer effektiven Überwachung konnte keine Rede sein“.

Die steigende Zahl der Emigranten veranlasste die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit mit 1. Mai 1973 mit der Aufstellung einer kleinen Sondereinheit, dem Gendarmeriekommando Bad Vöslau. Dessen einzige Aufgabe war es, die Transporte und das Emigrantenlager zu sichern – allerdings nicht schon ab der Staatsgrenze, sondern erst ab dem Wiener Ostbahnhof. Dadurch kam es auch zum folgenschweren Terroranschlag im Bahnhof Marchegg.

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Die jüdischen Emigranten waren in den 1970er-Jahren im Schloss Schönau an der Triesting untergebracht, später kam hier die Spezialeinheit unter

Die beiden Entführer verlangten schließlich einen Fluchtwagen, mit dem sie mit den vier verbliebenen Geiseln zum Flughafen Schwechat gebracht werden wollen, außerdem ein bereitstehendes Fluchtflugzeug, ansonsten würden sie sich mit den Geiseln in die Luft sprengen. Die Polizei ließ die Täter zunächst gewähren, erzählt Werle, „weil wir in Marchegg keine Lösung herbeiführen konnten“.

„Mulmiges Gefühl im Bauch“

Doch am Flughafen bot sich das nächste Problem, nämlich „wenn die aussteigen und in eines der stehenden Flugzeuge einsteigen, das wäre eine ungute Situation gewesen“, sagt Werle. Stattdessen versuchte der Offizier mit den Terroristen Kontakt aufzunehmen und ging zu deren Auto. „Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, weil einer der Araber eine Kalaschnikow auf mich gerichtet hatte und in seinem Mund zwischen den Zähnen den Splint einer Granate gezwickt hatte.“ Doch irgendjemand musste eben Kontakt aufnehmen.

Geiselnahme am Grenzbahnhof Marchegg

Daraufhin begannen zähe, stundenlange Verhandlungen, die bis weit nach Mitternacht dauerten. Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) rief unterdessen einen Krisengipfel ein. Schließlich ging Kreisky auf die Forderungen ein und sicherte die Schließung des Transitlagers im Schloss Schönau an der Triesting zu, woraufhin die beiden Terroristen ohne Geiseln per Flugzeug Wien verließen. In den Morgenstunden des 29. September war die Geiselnahme unblutig beendet.

Internationale Empörung

Über Radio und Fernsehen verkündete der Kanzler mit stockender Stimme: Um das Leben der Geiseln zu retten und weil Österreich für die Sicherheit der jüdischen Emigranten nicht mehr garantieren könne, sehe man sich gezwungen, Schönau zu schließen. Doch die Zugeständnisse Kreiskys führten zunächst zu veritablen politischen Verstimmungen, Israel reagierte empört, in den USA und anderen Ländern wurde die Entscheidung mit Befremden aufgenommen.

Am 2. Oktober landete Israels Ministerpräsidentin Golda Meir in Wien, um in einem Vier-Augen-Gespräch Kreisky zur Weiterführung des Transitlagers zu bewegen. Der Bundeskanzler erläuterte daraufhin sehr bestimmt die Gründe der Bundesregierung, denn auch ohne den Terroranschlag wäre Österreich nicht in der Lage gewesen, die Sicherheit Schönaus weiter zu gewährleisten. Daraufhin flog Meir, ohne auch nur einen Kaffee zu trinken, zornig nach Israel zurück. Am 5. Oktober wurde Schönau geschlossen.

Kurt Werle verteidigt jedoch die Entscheidung Kreiskys: „Denn dieser hatte eben nur die Schließung Schönaus zugesichert, aber kein Ende der Emigration über Österreich.“ Ungeachtet von der Weltöffentlichkeit wurde dafür am 13. November die Rot-Kreuz-Station Wöllersdorf (Bezirk Wiener Neustadt) eröffnet. Ab sofort wurden die jüdischen Auswanderer zumeist in kleinen Gruppen via Österreich nach Israel gebracht.

Kein finaler Rettungsschuss

Außerdem ging es um den Schutz der Geiseln, betont Werle: „Es hat Stimmen gegeben, man hätte die Terroristen liquidieren müssen, aber das war alles blödes Gerede.“ Denn in Österreich gibt es im Gesetz – im Gegensatz etwa zu Deutschland – keinen finalen Rettungsschuss. „Es gibt nur Notwehr oder Nothilfe, und für beides muss zuerst ein Angriff erfolgen.“

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Die körperlichen Anforderungen an Beamte der Spezialeinheit sind seit jeher groß
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Regelmäßige Übungen standen für die Spezialkräfte auf der Tagesordnung
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Auch die Ausbildung im Nahkampf muss gelernt sein
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Alpine Einsatzübung
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Das Schloss Schönau war auch der erste Standort der Spezialeinheit
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Der Fuhrpark beim Papstbesuch 1988
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Personenschutz-Dienst 1979 am Flughafen Wien-Schwechat
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Personenschutz-Dienst 1979 vor dem Bundeskanzleramt in Wien
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Als Folge wurde aber die Sicherung bis an die Grenzbahnhöfe Marchegg und Hohenau ausgedehnt. Wobei das Kommando damals „immer nur auf einen Monat fixiert und dann wieder verlängert worden ist“. Die Spezialeinheit war anfangs also mehr oder weniger ein Provisorium. „Wir haben aber gesagt: Provisorien halten sich in Österreich am längsten, also wird das wahrscheinlich eine Dauereinrichtung werden“, ergänzt Werle. So kam es dann auch.

Hohe Fluktuation und viel Flexibilität

Die Beamten waren aber alle freiwillig beim Gendarmeriekommando Bad Vöslau. Ohne Zustimmung durften sie nur drei Monate zugeteilt sein. Das führte zunächst zu einer hohen Fluktuation. Auch bei der Bekleidung war Flexibilität gefragt. „Ursprünglich haben wir die Alpinausrüstung der Gendarmerie gehabt, graue Hose, den grauen Ski-Pullover mit Anorak, im Winter eine Überhose. Dann kam die Uniform des Bundesheeres im Zwiebelschalensystem.“

1974 übersiedelte das nunmehrige Gendarmeriebegleitkommando Wien von Schönau in die Burstyn-Kaserne des Bundesheeres nach Zwölfaxing (Bezirk Bruck an der Leitha) und wurde ab diesem Zeitpunkt direkt der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium unterstellt. Die Aufgabe blieb aber klar abgegrenzt. „Wir waren für nichts anderes zuständig als für den Begleitschutz und die Sicherheit des Objekts.“

Nächster Terroranschlag – mit drei Toten

Nur ein Jahr später folgte der nächste Terroranschlag, am 21. Dezember 1975 wurde die OPEC-Zentrale in Wien überfallen: Drei Menschen wurden erschossen, 70 Geiseln genommen. Die Tat hielt sowohl Österreich als auch die ganze Welt zwei Tage lang in Atem. Angeführt wurde die Gruppe, die sich „Arm der arabischen Revolution“ nannte, von dem venezolanischen Top-Terroristen Ilich Ramirez Sanchez, genannt Carlos. Als Drahtzieher hinter der Aktion wurde Libyen vermutet.

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Überfall auf die OPEC in Wien 1975
APA/UPI
Das Archivbild vom 26. Dezember 1975 zeigt eine mehrfach von Kugeln durchlöcherte Glastüre im Inneren des OPEC-Gebäudes in Wien
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Der Anschlag galt der OPEC-Konferenz
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Vor dem OPEC-Gebäude – gegenüber der Universität Wien – bezogen die Einsatzkräfte Stellung
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Überfall auf die OPEC in Wien im Dezember 1975
APA/EPA
Sanitäter tragen einen Mann aus dem OPEC-Gebäude in Wien, der bei dem Terroranschlag am 21. Dezember 1975 verletzt wurde
Abflug der OPEC Terrorosten und Geiseln vom Flughafen Schwechat Dezember 1975
APA/UPI
Ein Terrorist steigt in das Flugzeug, dass die Täter außer Landes bringen sollte

Bei dem Versuch der Polizei, das Gebäude zu stürmen, wurden ein österreichischer Kriminalbeamter und ein deutscher Terrorist verletzt. Mit Sprengstoff und Handgranaten drohten die Geiselnehmer das Gebäude in die Luft zu sprengen und forderten die Bereitstellung einer AUA-Maschine. Im Falle der Nichterfüllung der Bedingungen drohten die Geiselnehmer, Geiseln im 15-Minuten-Takt zu erschießen.

Terroristen entschuldigen sich

In dem sechseinhalbseitigen Kommunique, das im Radio in französischer Sprache verlesen werden musste, kritisierte die Gruppe die Friedenspolitik einiger arabischer Staaten gegenüber Israel, erklärten den Iran zum Agenten des amerikanischen Imperialismus und forderten die Nationalisierung des Erdöls. Die Terroristen bedauerten darin außerdem, dass sie gerade Österreich zum Schauplatz des Geschehens machen mussten.

Terroristen verlassen den Flughafen

Nach zähen Verhandlungen entschied Bundeskanzler Bruno Kreisky in der Nacht auf den 22. Dezember, die Terroristen ausfliegen zu lassen. In der Früh des 22. Dezembers stand ein Postautobus vor dem OPEC-Gebäude bereit und brachte das Kommando und 33 Geiseln zum Flughafen Wien-Schwechat. Die in Österreich wohnhaften OPEC-Mitarbeiter waren zuvor freigelassen worden. Für Aufsehen und Kritik sorgte später, dass sich Carlos am Flughafen mit einem Händedruck vom österreichischen Innenminister Otto Rösch (SPÖ) verabschiedete.

Dieser Anschlag sowie weitere tödliche Anschläge in Deutschland, bei denen der Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und der Generalbundesanwalt Siegfried Buback (beides im Jahr 1977) ermordet wurden, seien auch in Österreich ein Weckruf gewesen, erinnert sich Werle: „Man hat gesehen, wir sind wirklich keine Insel der Seligen. Eine Sondereinheit würde uns nicht schlecht anstehen.“

„Zeit, Klartext zu reden“

In einem Zeitungsinterview verwies der damalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit aber rasch auf das bestehenden Gendarmeriebegleitkommando Wien und sagte: „Wir haben ja in Zwölfaxing eine Spezialeinheit.“ „Ich habe mir gedacht, um Gottes willen, und dann zu meinem Kollegen gesagt, es ist höchste Zeit, dass wir ins Ministerium fahren und Klartext reden“, erzählt Werle. Denn den Anforderungen an eine Spezialeinheit konnte man damals „nicht genügen“.

Kritik an der Sondereinheit

Die Reaktion des Generaldirektors: „Meine Herren, machen sie ein Konzept.“ Der Aufbau war aber alles andere als einfach. „Es war nichts da. Weil man uns nicht gekannt hat, war die GSG 9 (Spezialeinheit der deutschen Bundespolizei, Anm.) anfänglich eher zurückhaltend und hat uns nur ein paar Blatt Papier überlassen.“ Auch die Ausbildungspläne des Bundesheeres halfen nicht weiter, weil ein Krieg etwas anderes „als eine Geiselnahme“ sei.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 8.7.2022

Auf dem Gebiet der Einsatztaktik waren laut Werle viele Fragen offen: Wie dringe ich in Räume ein? Wie nähere ich mich Objekten? Doch das Konzept überzeugte. 1978 wurde mit Beschluss der Bundesregierung das Gendarmerieeinsatzkommando Cobra gegründet. Am 1. April bezog es sein Quartier im Schloss Schönau.

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Anregungen wollte sich der Polizeioffizier auch bei der SAS (Special Air Service, Spezialeinheit der Britischen Armee, Anm.) in England holen, die ihm das Eindringen in Räume demonstrierten. Doch auf seine Frage, „ob dabei nicht die eigenen Kräfte sehr gefährdet sind“, bekam Werle die Antwort: „‚Das sind Soldaten, wenn es notwendig ist, müssen die für ihr Vaterland sterben.‘ Das konnte ich mit unserer Mentalität nicht in Einklang bringen.“

Der österreichische Weg

Werle entschloss sich deshalb für den „österreichischen Weg“, wie er im Interview mit noe.ORF.at sagt: „Zielorientiert, aber nicht menschenverachtend.“ Den Großteil der Ausbildung habe man als Team deshalb selbst gestaltet. „In der Ausbildung haben wir Situationen vorgegeben, es aber den Teilnehmern offen gelassen, wie sie das Problem lösen. Über die Fehler hat man anschließend diskutiert. So hatten alle Teilnehmer das Gefühl, wir haben gemeinsam etwas erarbeitet. Das schafft Vertrauen.“

Übungsalltag bei der Spezialeinheit Cobra

„Sehr gut“ für Anregungen waren die Delta Force – eine Spezialeinheit der US Army – und die Grenadiere, eine kleine Spezialeinheit des Kantons Aargau in der Schweiz. „Die übten sehr realitätsbezogen – Zugriffe auf Autobahnen, Schusswechsel in bewohntem Gebiet sowie Scharfschießen beim Eindringen in gekennzeichnete Täterräume.“ Begeistert hätten ihn auch die Fähigkeiten israelischer Offiziere.

Bundeskanzler Kreisky: „Macht’s die Fenster“

Darüber hinaus kamen in dieser Zeit auch neue Aufgaben hinzu wie der Personenschutz. Das betraf etwa Bundeskanzler Kreisky, der laut Werle zunächst aber nicht wollte, dass in seiner Wohnung beschusssicheres Glas eingebaut wird, weil das zu teuer sei. „Ich habe deshalb einen unserer Präzisionsschützen in ein gegenüberliegendes Wohnhaus hineingeschickt. Gleichzeitig hat jemand von uns am Frühstückstisch Platz genommen, den hat der Scharfschütze ins Visier genommen und davon ein Foto geschossen. Das Foto habe ich Kreisky gezeigt und seine Reaktion war: ‚Macht’s die Fenster.‘“

Den ersten Einsatz mit Geisellage hatte die Cobra im Juni 1980 in Graz. Ein 35-jähriger Mann war mit einem Gewehr in die Ordination eines Hautarztes eingedrungen und hatte 23 Geiseln genommen. Zunächst versuchte man den Täter hinzuhalten und zu ermüden. Am Ende wurde die Ordination gestürmt und der Mann erschossen. Bei diesem Einsatz wurden aber erste Mängel festgestellt, so funkten etwa die lokale Polizei und die Sondereinheit auf verschiedenen Frequenzen.

Blutiger Anschlag in Schwechat

Fünf Jahre später erschütterte der nächste Terroranschlag das Land – dieses Mal am 27. Dezember 1985 am Flughafen Wien-Schwechat. Die traurige Bilanz: Drei tote Passagiere, ein erschossener Terrorist, zwei schwer verletzte Palästinenser und etwa 50 weitere Verletzte. Drei Palästinenser hatten den Check-in-Schalter der israelischen Fluglinie El Al im Visier.

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Terrorüberfall am Flughafen Schwechat im Dezember 1935
APA/Robert Jäger
Drei Tote und mehr als 40 Verletzte: Das ist die Bilanz eines Terroranschlags am Flughafen in Schwechat
Terrorüberfall am Flughafen Schwechat im Dezember 1985
APA/Robert Jäger
Die Abflughalle des Flughafens in Schwechat am 27. Dezember 1985

Kurz nach 9.00 Uhr rollten die Terroristen Handgranaten in Richtung des Abfertigungsschalters, wo der Check-in gerade in vollem Gang war. Während die Sprengkörper detonierten, begannen die Terroristen aus ihren Kalaschnikow-Sturmgewehren zu feuern. Sie wollten die überlebenden Passagiere als Geiseln nehmen und das entführte Flugzeug beim Überflug über Israel sprengen.

Die Attentäter hatten aber die Sicherheitsmaßnahmen unterschätzt: Österreichische Polizisten und israelische Sicherheitsbeamte erwiderten sofort das Feuer, ein wilder Schusswechsel begann. Einer der Terroristen wurde dabei getötet, die beiden anderen gaben auf, der Terrorüberfall war zu Ende. Die Cobra-Beamten waren damals aber nicht involviert, „weil der Flughafen – mit Ausnahme der El Al-Flüge – Hoheitsgebiet der Polizei-Einsatzstelle (PEST) war“, erklärt Werle.

Erinnerungen an den blutigen Anschlag am Flughafen 1985

Flugzeugentführung gestoppt

Dafür ist die Cobra nach wie vor die einzige Antiterroreinheit der Welt, die eine Flugzeugentführung noch in der Luft beenden konnte. Im Oktober 1996 wollte ein Nigerianer ein russisches Flugzeug mit Schubhäftlingen entführen. An Bord waren damals aber auch vier Spezialkräfte, die den Täter noch während des Fluges überwältigen konnten. Für diesen Einsatz wurden die Beamten später vom russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin ausgezeichnet.

Mit solchen und vielen anderen erfolgreichen Einsätzen weckte die Spezialeinheit auch das Interesse aus dem Ausland, so war etwa der saudi-arabische Kronprinz zu Gast. Werle erinnert sich auch an eine Delegation der bewaffneten Polizei Chinas. Die Beamten seien so begeistert gewesen, dass der Polizeioffizier später selbst für drei Wochen nach China eingeladen wurde und ein Seminar über die Ausbildung hielt.

Tragischer Einsatz in Annaberg

Neben vielen erfolgreichen und spektakulären Einsätzen wie auch die Geiselbefreiung in der Justizanstalt Graz-Karlau gab es auch traurige, Stichwort Annaberg. Am 17. September 2013 erschoss der Wilderer Alois H. vier Menschen: Neben einem Sanitäter auch zwei Polizisten und einen Beamten der Cobra. „Das wirkt nach, das werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, sagt der Direktor für Spezialeinheiten, Bernhard Treibenreif Jahre später in einem Interview.

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Seit 1992 hat die Cobra ihren Hauptsitz in Wiener Neustadt

Seit 1992 hat die Cobra ihren Hauptsitz in Wiener Neustadt, dazu kommen sieben Außenstellen, sodass jeder Einsatzort in Österreich innerhalb von einer Stunde erreicht werden kann. Die 350 Cobra-Beamten werden jährlich zu 4.300 Einsätzen gerufen. Neben der Bekämpfung von Terrorismus betrifft das auch die Begleitung von Flugzeugen durch sogenannte Air Marshals, den Personenschutz, die Entschärfung von verdächtigen Gegenständen und die Observation.

Der Name des Einsatzkommandos geht übrigens auf die Fernsehserie „Kobra, übernehmen Sie“ zurück. Denn schon zu Beginn des Gendarmeriekommandos Bad Vöslau wurde laut Werle ein Funkrufname gesucht. „Wir wollten eigentlich etwas Unverfängliches, nichts martialisches“, erzählt Wehrle. Ein Journalist betitelte damals einen Artikel über die Spezialeinheit eben mit dem Seriennamen. Seither war das Einsatzkommando im Volksmund als Cobra bekannt.

„Sind sehr, sehr wachsam“

Heute gehört das Einsatzkommando zu den besten Anti-Terror-Einheiten der Welt. „Die globale Sicherheitslage in Österreich ist eine sehr gute, aber wir können uns von internationalen Entwicklungen, sprich Extremismus und Terrorismus, nicht verabschieden und sind hier sehr, sehr wachsam“, sagte der Direktor für Spezialeinheiten, Bernhard Treibenreif, anlässlich des 40-jährigen Jubiläums im Jahr 2018.

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Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
APA/Robert Jäger
Die Cobra-Beamten trainieren in regelmäßigen Abständen die verschiedenen Bedrohungsszenarien
Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
APA/Robert Jäger
Auch das Zuammenspiel aus der Luft wird geübt
König Jordanien Cobra
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Bei den Übungen sind immer wieder auch ausländische Gäste in Wiener Neustadt, wie der jordanische König (Mitte)
Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
APA/Robert Jäger
Im Einsatz müssen sich die Beamten aufeinander verlassen können
Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
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Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
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König Jordanien Cobra
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Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
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Polizisten der Sondereinheit „Einsatzkommando Cobra“ in einer Übungssituation in einem Stiegenhaus
APA/ROLAND SCHLAGER
Polizisten der Sondereinheit „Einsatzkommando Cobra“ in einer Übungssituation
APA/ROLAND SCHLAGER
Medientermin zum Einsatzablauf der Anti-Terror-Einheit Cobra rund um den Gedenktag des Terroranschlags in Wien
APA/Robert Jäger

Die Bedrohungsszenarien seien in all den Jahren dieselben geblieben, aber viele Täter agieren heute spontan. "Sie werden durch das Internet oder Foren aktiviert, und plötzlich bricht ein Sturm über die Bevölkerung herein. Als Polizei kann man darauf nur abrupt bzw. spontan reagieren“, ergänzte damals Gerald Haider, Pressesprecher der Cobra.

Die Spezialeinheit ist deshalb heute auch international stark vernetzt und Mitglied im ATLAS-Verbund, einem Netzwerk wichtiger Spezialeinheiten von 38 Mitgliedsstaaten. Über diese Plattform würden Erfahrungen und neue Bedrohungsszenarien laufend ausgetauscht, regelmäßig finden auch gemeinsame Übungen statt.

Die Cobra trainiert mit ausländischen Partnern eine Geiselnahme auf der Donau

Die körperliche und technische Ausbildung der Cobra-Beamten habe sich über all die Jahre nur wenig verändert, erzählt Werle. Die Taktik als auch die technische Ausstattung erlebten aber durchaus einen großen Wandel. Statt Fernglas und Spiegel operieren die Beamten heute mit Drohnen und Wandradaren. Speziell in diesem Bereich gilt es auch am „Puls der Zeit“ zu sein, denn wie laut Werle habe auch der Anschlag im November 2020 in Wien gezeigt: „Österreich ist keine Insel der Seligen.“