100 Jahre NÖ 1978 AKW Zwentendorf Volksabstimmung
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„100 Jahre NÖ“

Volksabstimmung zerstört Träume einer Region

Eine äußerst knappe Mehrheit der Bevölkerung hat sich 1978 gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf ausgesprochen. Während heute viele darüber froh sind, zerstörte die Entscheidung damals auch Träume und sichere Jobs – vor allem in der Region.

Die Ausstattung bis hinunter zur Schutzkleidung war bereits geliefert, etwa 200 speziell ausgebildete Techniker standen höchst motiviert bereit. Und auch die Brennstäbe waren schon mit dem Hubschrauber eingeflogen worden. Im AKW Zwentendorf (Bezirk Tulln) warteten damals alle darauf, dass der Startknopf gedrückt wird.

Doch am Abend des 5. November 1978 brach für die Mitarbeiter des Atomkraftwerks Zwentendorf und viele Gemeindebewohner eine Welt zusammen. Der Traum von einer strahlenden Zukunft war geplatzt, die jahrelange Spezialausbildung im Ausland für den erhofften Job in Österreich war nichts mehr wert. „Keiner hat gedacht, dass das mit nein ausgeht“, erinnert sich Karl Sieberer aus Zwentendorf, damals Elektrotechniker im Kraftwerk.

30.068 Stimmen entscheiden

Innenminister Erwin Lanc (SPÖ) gab an diesem Abend das Ergebnis bekannt. 1.576.709 Österreicher (49,5 Prozent) stimmten für die Atomkraft, 1.606.777 (50,5 Prozent) dagegen – die Gegner lagen mit nur 30.068 Stimmen vorne. Die Volksabstimmung ging denkbar knapp gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich und damit gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf aus.

Innenminister Lanc verkündet das Ergebnis der Volksabstimmung

Dabei hatte die Atomenergie – im industriellen Aufbruch der 1960er – so vielversprechend begonnen. Die Kernenergie galt in Österreich – wie im restlichen Nachkriegseuropa – als Technologie der Zukunft. Ihre friedliche Nutzung war politischer Konsens, aber auch die Mehrheit der Bevölkerung – quer durch alle sozialen und politischen Schichten – begrüßte die Energieform.

Österreichs Tor zur Atomenergie

Mit dem Bau des Reaktorzentrums Seibersdorf (Bezirk Baden) 1958 stieg Österreich schließlich in die Atomenergie ein. Ein Energieplan aus den 1960er-Jahren sah damals neben dem Bau von Wasserkraftwerken auch drei Atomkraftwerke in Österreich vor. Das erste hätte in Zwentendorf, das zweite in St. Pantaleon (Oberösterreich) und das dritte in St. Andrä (Kärnten) entstehen sollen.

Auch die anfangs skeptische heimische E-Industrie konnte die Große Koalition auf den gemeinsamen Kurs einschwören. Der wurde auch beibehalten, nachdem zuerst die ÖVP, dann die SPÖ jeweils absolute Mehrheiten erzielten. 1969 wurde Zwentendorf als Standort festgelegt. Im März 1971 wurde auf Drängen der Bundesländer von der Bundesregierung unter Kanzler Kreisky (SPÖ) der Baubeschluss gefällt.

Österreichs Einstieg in die Atomenergie beginnt in Seibersdorf

Noch im selben Jahr begannen in Niederösterreich die Bauarbeiten. Errichtet und betrieben werden sollte das Kraftwerk von der Gemeinschaftskernkraftwerk Tullnerfeld Ges.m.b.H. (GKT), an der der Bund und die Länder über ihre Energieversorger wie die EVN beteiligt waren. Österreichs ohnehin verspäteter Eintritt ins Atomzeitalter schien auf Schiene. Mit großem, ernstzunehmendem Protest rechnete kaum jemand.

„Wir waren ganz happy“

Damit blühte auch das Leben in Zwentendorf auf. „Wir waren ganz happy“, erinnert sich Maria Höchtl, die damals einen Fleischereibetrieb führte, „weil wir gewusst haben, wenn da so viele Leute herkommen, profitiert die ganze Gemeinde.“ Und so kam es auch, im Schnitt waren auf der Baustelle etwa 1.000 Arbeiter beschäftigt, zu Spitzenzeiten bis zu 2.500, ergänzt Karl Sieberer.

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1972 erfolgte der Spatenstich für das AKW. Wenige Jahre später regte sich Widerstand.
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Vom Heurigen bis zu den Gasthäusern hätten daran alle verdient. „Am Abend hast du als Einheimischer nicht hingehen brauchen, überall waren Arbeiter.“ Pensionen und Private vermieteten hingegen leerstehende Häuser oder Zimmer. „Manche haben, glaube ich sogar, die Speis vermietet“, erzählt Peter Grestenberger, damals Gendarm im Ort. Die Bevölkerung sei damals größtenteils positiv gestimmt gewesen.

Als Geld keine Rolle spielte

„Alle Leute haben Geld gehabt, Geld hat keine Rolle gespielt“, weiß Höchtl, die in ihrem Betrieb selbst groß investierte: Drei zusätzliche Mitarbeiter und vier Lehrbuben statt bisher einer. Denn ab sofort belieferten sie die Kantine auf der Baustelle. Dafür mussten auch Nachtschichten eingelegt werden, etwa wenn 200 Schnitzel geschnitten werden mussten. Für das Besucherzentrum wurden wiederum pro Tag an die 300 Wurstsemmeln bis pünktlich um 8.00 Uhr geliefert.

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Das fertig gebaute Atomkraftwerk im Jahr 1976

Und in der Region gab es Arbeit. „Ich hätte mir damals drei Jobs aussuchen können“, erzählt Sieberer, der sich als damals 22-Jähriger schließlich für das Kraftwerk entschied: „Das war eine völlig neue Technologie, für mich als Elektrotechniker war das eine super Sache, hat mich sehr interessiert.“ Als Mitarbeiter sei man damals auch sehr geschätzt gewesen und gut bezahlt worden.

Der Widerstand wächst

Ab 1975 wuchs aber die Anti-Atomkraft-Bewegung in Österreich. Es kam unter anderem zu einem Protestmarsch auf der Wiener Ringstraße. An vorderster Front war damals Carl Manzano dabei, langjähriger Direktor des Nationalparks Donau-Auen. „Wir sind deshalb gegen Atomkraftwerke, weil sie die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung gefährden“, so Manzano damals, vor 40 Jahren, im Interview. „Niemand kann uns garantieren, dass es nicht zu einem großen Unfall kommt.“

Das blieb auch in Wien nicht unbemerkt. Mit dem Versuch in die Offensive zu gehen, scheiterte die Kreisky-Regierung allerdings spektakulär. Im Herbst 1976 startete die „Informationskampagne Kernenergie“. Veranstaltungen in ganz Österreich sollten Bedenken bezüglich der Atomkraft zerstreuen – und wurden zum PR-technischen Desaster.

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Im Publikum saßen keine unschlüssigen Menschen, die nur genügend Informationen brauchten, um sich von den Vorteilen eines AKWs überzeugen zu lassen. Vielmehr kamen zu den Vorträgen und Podiumsdiskussionen mehrheitlich Gegnerinnen und Gegner der Atomkraft. Sie fanden in den Veranstaltungen eine Bühne, auf der sie ihre Bedenken und Kritik vorbringen konnten – und das unter breiter medialer Beachtung.

„Lausbuben“ gegen die Kernkraft

In den folgenden Monaten trugen die Kernkraftgegner ihren Protest mehrfach auf die Straße – inklusive Eklat am Nationalfeiertag 1977. Verärgert über antiparlamentarische Parolen und Transparente verweigerte Kreisky das Gespräch mit den Demonstranten und ließ ausrichten, er „habe es nicht notwendig, mich von ein paar Lausbuben so behandeln zu lassen“.

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Über die Jahre wuchs der Widerstand der Anti-Atom-Gegner

Bereits am 12. Juni 1977 waren etwa 6.000 Atomkraft-Gegner durch das Tullnerfeld zum Kraftwerk marschiert und hatten lautstark protestiert. Grestenberger, der das Kraftwerk damals intensiv bewacht hatte, stand mit einem Kollegen vor dem Tor: „Wir hatten befürchtet, dass es zu etwas kommen könnte, das war eine schwierige Situation, aber Gott sei Dank ist alles ohne Probleme abgelaufen.“

Feuerwehrschläuche gegen Demonstranten

Im Kraftwerk hatte man sich auch gerüstet und Feuerwehrschläuche ausgelegt, um im Notfall die Demonstraten mit Wasser zurückzudrängen. Doch die Aktion verlief friedlich. Unter den Teilnehmern waren etwa auch Mütter mit Kindern und Kinderwägen, aber auch „Männer, mit langen Haaren, die auf einer Gitarre gespielt haben und eine Ziege an der Leine hatten, also richtige Hippies“, erzählt Grestenberger.

Doch diese Entwicklung führte dazu, dass etwa die Brennelemente Anfang 1978 nicht auf der Straße geliefert, sondern eingeflogen wurden. Die Inbetriebnahme des Kraftwerks lief immerhin schon ab 1976. Zunächst wurde das Material von Frankfurt (Deutschland) mit dem Flugzeug zum Flughafen nach Linz-Hörsching gebracht und von dort per Hubschrauber nach Zwentendorf transportiert. Täglich landeten zwei Helikopter am Kraftwerksgelände.

Volksabstimmung als Ausweg

Die Politik sah sich letztlich aber gezwungen, die Bevölkerung darüber entscheiden zu lassen, ob sie für oder gegen die friedliche Nutzung von Atomenergie sind. Eine Volksabstimmung sollte somit klären, ob das Kernkraftwerk Zwentendorf an das Netz gehen würde. Eine demokratische Entscheidung würden die Aktivisten, die sich auch für mehr Demokratie und Partizipation aussprachen, wohl akzeptieren – so der Plan.

Kreisky machte sogar seinen Verbleib als Bundeskanzler vom Ausgang der Volksabstimmung abhängig. Sollte sie negativ ausgehen, würde er zurücktreten. Kreisky verknüpfte somit eine politische Frage mit einem Wirtschafts- und Umweltthema, weshalb es bei dieser Abstimmung nicht mehr nur um die Frage der Atomenergie ging.

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Mit der Zeit machten auch immer mehr Prominente gegen das Kernkraftwerk mobil, wie etwa der Schriftsteller Peter Turrini, der Musiker Georg Danzer und der Nobelpreisträger Konrad Lorenz in einer Pressekonferenz zwei Monate vor der Volksabstimmung im September 1978: „Ich geniere mich zu bekennen, dass ich jahrelang an Zwentendorf vorübergebraust bin, gesehen habe, wie das allmählich wächst und mir nichts dabei gedacht habe. So blöd sind die allermeisten von uns gewesen“, sagte Lorenz.

Vereint gegen gemeinsamen Gegner

Trotz vieler Unterschiede waren sich die verschiedenen Gruppen in ihrer Ablehnung der Kernenergie einig. Der Zweifel an der tatsächlichen Sicherheit eines AKW, die Sorge um mögliche Langzeitfolgen auch geringer Strahlenbelastung, und die – bis heute ungelöste – Frage, was mit dem radioaktiven Abfall geschehen soll: Diese Fragen vereinten sie in ihrem Widerstand gegen die Kernenergie.

Fleischhauerin Höchtl erlebte damals auch die aggressive Seite der Kraftwerksgegner. Denn als Betrieb hatte man sich bei einer Umfrage der GKT für das AKW ausgesprochen, in einer offiziellen Broschüre des Kraftwerks wurde damit geworben. Daraufhin begann eine Welle an Drohbriefen und Anrufen. „Wir wurden mit dem Umbringen bedroht und einer hat mir gesagt, wir sollen uns in den Kutter setzen und einschalten.“

Aufbruch in die Zukunft (Pro-Atomenergie-Film)

Obwohl sich die Ansichten radikal verhärtet hatten, war die Stimmung unter den Mitarbeitern weiter zuversichtlich. Sieberer begann – mit dem sicher geglaubten Arbeitsplatz im Rücken – im Ort ein Haus zu bauen. Und die Mitarbeiter warben eifrig für das Projekt. Im Auftrag der Kraftwerksbetreiber wurden an alle Haushalte Broschüren verteilt. In Wien trieb man drei Elefanten über die Mariahilferstraße, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Das war ein Aufsehen, wir machen Werbung pro Kernenergie.“

Vier Monate Ratlosigkeit

Umso härter traf dann alle das negative Ergebnis der Volksabstimmung. „Die nächsten drei, vier Monate hat große Ratlosigkeit geherrscht“, schildert Sieberer. Keiner wusste, wie es weitergeht. In der Gemeinde selbst hatten gut 55 Prozent für das Atomkraftwerk gestimmt. Das bis dahin rege Treiben am Kraftwerksareal stand plötzlich still.

Auch die Gemeinde wurde damals hart getroffen, als eines Tages ein Brief vom Finanzamt kam, erzählt Grestenberger, damals auch Gemeinderat: „Mit der Forderung, die Gemeinde muss fünf Millionen Schilling, die sie an Vorauszahlungen der Kraftwerksbetreiber erhalten hatte, zurückzahlen.“ Das Problem: Das Geld wurde bereits in den Jahren zuvor in die Infrastruktur investiert.

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Der Traum von der strahlenden Zukunft mit der sicheren Atomenergie war plötzlich ausgeträumt

So wurde etwa der Donauhof, eine Veranstaltungshalle oder eine neue Volksschule mit Hallenbad gebaut. „Wir haben das Geld nicht verprasst“, betont Grestenberger. Der Donauhof sei etwa auch wegen des Kraftwerks gewesen, „weil bei Bauverhandlungen gleich einmal 100 Leute zusammengekommen waren.“ Und aus Deutschland wusste man, dass infolge des Baus auch viele interessierte Besucher kommen werden, die man irgendwo verköstigen musste.

„Ängste der Leute geschürt“

Doch das Finanzamt blieb hart, über fünf Jahre musste Zwentendorf seine Ausstände zurückzahlen – bei einem Gemeindebudget von 16 Millionen Schilling pro Jahr, wie Grestenberger anmerkt: „Das hat uns sehr schwer getroffen.“ Im Nachhinein beklagt der Gendarm, dass vor der Abstimmung gezielt „die Ängste der Leute geschürt“ worden seien. Und: „Die Junge haben gesagt ‚Oma, du musst für das stimmen‘ und die hat dafür gestimmt, obwohl sie gar keine Ahnung hatte“, ergänzt Höchtl.

Ein Blick in das Abstimmungsergebnis von 1978 zeigt, dass die große Mehrheit der Tiroler und Vorarlberger gegen die Atomenergie in Österreich waren – obwohl in diesen Bundesländern keine Atomkraftwerke geplant gewesen waren. Doch vor allem in Vorarlberg hatte sich eine breite Bevölkerungsmehrheit gegen die Errichtung von AKWs in der Schweiz stark gemacht, deren Anliegen fanden damals aber kein Gehör. Bei der Abstimmung zu Zwentendorf fanden sie nun ein Ventil, um ihren Frust bezüglich der Atomenergie loszuwerden.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 18.7.2022

Die östlichen Bundesländer, die bei einem möglichen Unfall die Hauptlast der Kontamination zu tragen gehabt hätten, sprachen sich jedoch mehrheitlich für die Nutzung der Atomenergie aus. Die meisten Befürworter gab es im Burgenland und in Wien, also in jenen Bundesländern deren Landesenergieorganisationen nicht am Betrieb des Kraftwerkes beteiligt gewesen wären.

Roter „Schwarzer Peter“ gewinnt

Den „Schwarzen Peter“, den die politische Konkurrenz Kreisky umhängen wollte, hatte dieser aber geschickt genutzt. Denn der SPÖ-Politiker ließ daraufhin das Atomsperrgesetz beschließen, womit der Betrieb von Atomkraftwerken in Österreich gesetzlich verboten wurde und er im Jahr 1979 seinen bis dahin größten Wahlerfolg einfahren konnte.

Im AKW Zwentendorf begann am Tag nach der Volksabstimmung der Konservierungsbetrieb. Die Anlage sollte nach dem bereits absolvierten Probebetrieb, der jedoch noch ohne Kernkraft ablief, für einen späteren „Vollbetrieb“ intakt bleiben. Dieser sollte nach einer neuerlichen Volksabstimmung ein paar Jahre später, wenn die Stimmung wieder positiver wäre, starten.

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So sollte das geplante History Land aussehen

History Land rund um AKW

Zwischenzeitlich gab es auch Pläne, das Areal rund um das Atomkraftwerk sowie die nähere Umgebung in ein History Land zu verwandeln – ähnlich dem Disneyland, in dem die Menschheitsgeschichte präsentiert werden sollte. Das Projekt wurde vom Kärntner Bauunternehmer Robert Rogner vorangetrieben und vom Land unterstützt. Allerdings hätten der Park pro Jahr an die 1,5 Millionen Besucherinnen und Besucher benötigt, pro Tag wären das mehr als 12.000 Personen gewesen – eine für das Tullnerfeld viel zu hohe Zahl.

History Land statt Atomkraftwerk

1986 kam deshalb die Volkabstimmung wieder ins Spiel. Die Ökologiebewegung hatte sich beim Widerstand gegen den Bau des Donaukraftwerkes in der Hainburger Au zwar konstituiert, doch die Breite der Zustimmung war deutlich geringer als 1978. Zudem waren auch in anderen europäischen Ländern die Kernkraftwerke ohne größere Probleme gebaut und betrieben worden. Im Herbst sollte die neuerliche Abstimmung stattfinden, um auch in Österreich endlich Atomstrom erzeugen zu können.

Der Todesstoß für das Kraftwerk

Doch auch dieses Mal wurden die Pläne durchkreuzt. Am 26. April 1986 kam es zum Reaktorunfall von Tschernobyl in der Ukraine, die damals ein Teil der Sowjetunion war. Eine radioaktive Wolke erreichte zwei Wochen darauf Österreich. Der Bevölkerung, aber auch den politischen Verantwortungsträgern, wurde deutlich vor Augen geführt, wie groß die Gefahr ist. Ab diesem Zeitpunkt war nicht mehr an einen Betrieb des AKW Zwentendorf zu denken „und dessen endgültiges Schicksal besiegelt“, sagt Sieberer.

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APA3872409-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Die Steuerwarte des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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ABD0005_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Die Steuerwarte im Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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APA3872387-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Die Steuerwarte des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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APA3872087-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Detailansicht der Steuerwarte des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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ABD0011_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Au§enansicht des Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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ABD0012_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Innenansicht des Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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APA3872030-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Unterschiedliche SchutzanzŸge aufgenommen am Freitag, 01. April 2011, im AKW Zwentendorf. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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APA3872048-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Blick in den Reaktor des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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APA3872406-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Blick in den Reaktorraum des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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APA3872038-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Blick in die Kondensationskammer des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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ABD0008_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Blick in den Steuerstabantriebsraum im Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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ABD0003_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Brennstabwechsel- und Lagerbecken im Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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APA3872043-2 – 01042011 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ZU APA 440 CI – THEMENBILD – Blick in den Reaktorraum des Atomkraftwerkes Zwentendorf aufgenommen am Freitag, 01. April 2011. Dass …sterreichs Bevšlkerung im November 1978 gegen Atomkraft stimmte, bescherte dem Ort im Tullnerfeld ein Industriedenkmal, das jetzt unter dem Eindruck der Katastrophe im bau-Šhnlichen Typ in Fukushima (Japan) verstŠrkt im Rampenlicht steht. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
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ZU APA 114 – Das Atomkraftwerk im niederšsterreichischen Zwentendorf.   APA-Photo: Herbert Pfarrhofer
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ABD0002_20181030 – ZWENTENDORF – …STERREICH: ++ ARCHIVBILD/THEMENBILD ++ Au§enansicht des Atomkraftwerks Zwentendorf, aufgenommen am 1. Oktober 2008. Vor 40 Jahren, am 05. November 1978, entschied sich die Mehrheit der …sterreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. (ARCHIVBILD VOM 1.10.2008) – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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Der Konservierungsbetrieb wurde beendet und noch im Jahr 1986 begann der Verkauf von Kraftwerksteilen an fünf baugleiche Kernkraftwerke in Deutschland. Später wurde eine Öffnung in die doppelwandige Kondensationskammer des Kraftwerkes geschnitten, um die Kammer den Besuchern zugänglich zu machen. Damit ist eine Inbetriebnahme des Kernkraftwerks unmöglich, da an dem Durchbruch Strahlung austreten und somit das AKW keine Zulassung mehr bekommen würde. Dieser Durchbruch wird auch als „Todesstoß von Zwentendorf“ bezeichnet.

Kohle statt Atomenergie

Als Ersatz wurde im Jahr 1987 das Kohlekraftwerk Dürnrohr in Betrieb genommen. Der Standort wurde so gewählt, dass die Stromleitungen des Kraftwerks Zwentendorf genutzt werden konnten. Doch auch einige frühere Mitarbeiter des Atomkraftwerks fanden dort eine neue Arbeit, wie Karl Sieberer stolz erzählt: „Ich hatte Anfang der 80er-Jahre keine Lust mehr das AKW zu konservieren, Leitungen zu putzen und war der zweite Mitarbeiter, der im Kohlekraftwerk begann.“

Und trotzdem wird mehr als 40 Jahre nach der Volksabstimmung auf dem Kraftwerksgelände in Zwentendorf Strom erzeugt. 2005 kaufte nämlich die EVN das Gelände und ließ eine große Photovoltaikanlage errichten. Die Atomkraft ist unterdessen zu einem Thema geworden, das die Bevölkerung in weiten Teilen nicht mehr spaltet, sondern eint.