100 Jahre NÖ Massenkarambolage A2 Rotes Kreuz KfV
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„100 Jahre NÖ“

Massencrash „überfordert“ Rettungskräfte

158 Autos sind 1982 auf der Südautobahn (A2) zusammengekracht – die erste derartige Massenkarambolage in Österreich. Angesichts dieses Ausmaßes waren die Rettungskräfte „überfordert“. Die Versorgung glich damals noch einem besseren Erste-Hilfe-Kurs.

Bei Nebel und Schneetreiben ereignete in den frühen Morgenstunden des 8. Februar 1982 der erste Auffahrunfall an diesem Tag. Die Sichtweite war gerade einmal knapp 50 Meter. Kurze Zeit später krachte es bei der Autobahnauffahrt Vösendorf erneut, was eine Serie an Karambolagen nach sich zog. Der fünf Kilometer lange Abschnitt zwischen Vösendorf und Wiener Neudorf (beides Bezirk Mödling) Richtung Wien glich damals einem Trümmerhaufen.

„Ich habe selbst nur Rauch gesehen und versucht stehen zu bleiben“, erinnert sich Augenzeugin Ingrid Feitschinger in einem ORF-Interview. Das gelang der damals 42-Jährigen auch als erstes Auto direkt vor der Massenkarambolage. „Als ich dann nach vorne gelaufen bin, habe ich den Rauch von den brennenden Autos gespürt, aber es war kein Wirbel oder so. Die Leute haben versucht, den anderen zu helfen.“

Fotostrecke mit 16 Bildern

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Der Pannenfahrer Herbert Zechmeister alarmierte Feuerwehr und Polizei, und wollte nachkommende Autos warnen: „Ich habe die Warnblinkanlage eingeschaltet und versucht, die Leute aufmerksam zu machen, langsamer zu fahren. Das haben sie aber missachtet.“ Stattdessen sei er links und sogar rechts überholt worden, „und das viel zu schnell“. Bis auch diese Fahrer von den bereits ineinander verkeilten Autos gestoppt wurden – in Summe waren es 158 Fahrzeuge.

Unfallwracks blockieren Pannenstreifen

Drei Fahrzeuge fingen sogar Feuer und brannten komplett aus. Die Insassen konnten von den Ersthelfern noch rechtzeitig herausgezogen werden. 40 Beteiligte wurden teilweise schwer verletzt. Der Einsatz war vor allem deshalb chaotisch, weil viele Autofahrer auf den Pannenstreifen ausgewichen waren und so die Zufahrt der Einsatzkräfte behinderten.

„Wir waren alle etwas überfordert“, erinnert sich Gerhard Poyer, einer der ersten Sanitäter an Ort und Stelle, „so etwas hatte ich und, ich glaube, auch viele meiner Kollegen noch nicht miterlebt.“ Für die Rettungskräfte war die Lage zunächst auch sehr unübersichtlich, sagt Poyer, das wahre Ausmaß wurde erst allmählich sichtbar. „Die Leute liefen zu uns und haben uns gesagt, wo jemand liegt oder drinnen sitzt.“

1982: Massenkarambolage auf der Südautobahn

Wegen der sehr unübersichtlichen Lage bot auch die Berufsfeuerwehr Wien ihre Hilfe an. Doch der damalige Landesfeuerwehrkommandant Josef Kast gab stattdessen den Befehl, Feuerwehren der Bezirke Baden und Wiener Neustadt nachzualarmieren, damit der Einsatz durch heimische Feuerwehren abgewickelt werden kann.

„Mussten selbst Triage vornehmen“

Weil die Fahrspuren jedoch alle blockiert waren, mussten sich die Helfer zu Fuß – ein Fahrzeug nach dem anderen – nach vorne arbeiten. „Wir mussten selbst eine Art Triage vornehmen.“ Die medizinische Versorgung damals sei mit der heutigen aber in keiner Weise vergleichbar gewesen, betont Poyer: „Wir mussten viel improvisieren.“

Die Verletzungen waren zwar „teilweise enorm“, die Patienten konnte man damals aber nur stabilisieren, ruhigstellen und „mit einfachen Mitteln versorgen“. Blutende Wunden wurden mit einem Druckverband gestillt, Knochenbrüche geschient und Leute mit Kreislaufstillstand beatmet. Notarztwägen mit Medizinern gab es damals noch nicht. Deswegen konnten die Verletzten auch nicht mit Medikamenten wie Schmerzmittel versorgt werden.

100 Jahre NÖ Massenkarambolage A2 Rotes Kreuz KfV
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Die defekten Fahrzeuge blockierten an vielen Stellen die schnelle Zufahrt der Einsatzkräfte

Auch das System der Rettungshubschrauber wurde erst im Jahr 1983 eingeführt. Stattdessen mussten die Verletzten so schnell wie möglich ins Spital gebracht werden – aber unkoordiniert, wie Poyer erklärt: „Man hat die Leute hingebracht, hingebracht, hingebracht, bis es voll war, und dann ist man in das nächste Spital gefahren.“

Ausrüstung war damals „sehr spartanisch“

Ein weiteres Problem stellte die fehlende Ausrüstung der damaligen Autobahngendarmerie dar. Außer Pannendreiecken, Fackeln und Blinkleuchten hätte man damals kaum eine Möglichkeit gehabt, nachkommende Autolenker auf die Unfallstelle aufmerksam zu machen, erinnert sich der ehemalige Bezirksinspektor Helmut Frauenhofer. Die Ausrüstung sei wirklich „sehr spartanisch“ gewesen.

Außerdem mussten damals Fahrzeuge des Verkehrsunfallkommandos aus ganz Niederösterreich kommen. Deshalb wurde mit Vermessungen, Fotografieren und Unfallaufnahmen erst relativ spät begonnen. Gegen 9.30 Uhr konnte etwa noch kein Zeitpunkt für die Feuerwehr bekanntgegeben werden, wann mit den Aufräumarbeiten begonnen werden kann.

Millionenschaden

Die Autobahn war mehr als sechs Stunden gesperrt. Der Schaden wurde auf vier bis fünf Millionen Schilling geschätzt. Schuld an der Massenkarambolage waren zu hohe Geschwindigkeit und ein zu geringer Abstand, sagt Klaus Robatsch, Leiter des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV): „Das Risiko wurde damals sicher unterschätzt, man war sich dessen noch nicht so bewusst, obwohl die Todes- und Verletzungszahlen viel höher waren.“

1989: Hohe Sterberate von Jugendlichen im Straßenverkehr

In Niederösterreich starben 1982 im Straßenverkehr 511 Menschen (2021: 92 Tote), 11.578 (2021: 7.884) wurden verletzt. Zwar gab es damals auf Autobahnen und Bundesstraßen bereits Tempolimits von 130 bzw. 100 km/h. Doch wenige hielten sich damals auch an diese Regeln, sagt Robatsch und erinnert an den Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“, doch die Autos waren damals noch wesentlich unsicherer.

Freiheitsgedanke

Dieser Freiheitsgedanke wurde lange Zeit auch von der Politik mitgetragen. Zwar wurde bereits 1976 eine Gurtanlegepflicht eingeführt, allerdings ohne Strafe. Das kam erst ab 1984. Auch die Helmpflicht für Motorrad- bzw. Mopedfahrer wurde erst ab 1985 mit Sanktionen gesetzlich verankert. „Natürlich gab es andere Interessen, die ein stärkere Lobby hatten als die Verkehrssicherheit.“

Tempolimit 100 auf Autobahnen 1973
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Die Tempolimits, die damals auf Autobahnen und Bundesstraßen galten, wurden laut Experte Robatsch nur selten eingehalten

Bei einer Befragung 1978 gab die Hälfte der Autofahrer an, auf Autobahnen keinen Gurt zu verwenden, auf Freilandstraßen waren es zwei Drittel und im Ortsgebiet drei Viertel. In Bezug auf den Massencrash auf der A2 könne man trotz der 40 Verletzten von Glück im Unglück sprechen, auch weil es keine Toten gab. Und nur 25 Fahrzeuge waren so stark beschädigt, dass sie abgeschleppt werden mussten.

„Early Warners“ installiert

Dieser Unfall löste aber zahlreiche Verbesserungen sowohl bei den Einsatzkräften als auch bei der Autobahnverwaltung, der heutigen ASFINAG, aus. So erhielten die Gendarmeriefahrzeuge neben verstärkter Absicherungsausrüstung auch Dachaufsetzer mit „Early Warners“ (Frühwarngeräten). Auch die Einführung der Überkopfwegweiser geht auf diesen Unfall zurück.

1984: Modernes Sicherheitssystem soll vor Gefahren warnen

Der Autobahnabschnitt zwischen Baden und Wien war die erste Teststrecke, wo derartige Warnanlagen in Betrieb gingen. "Damit konnten wir Geschwindigkeitsbeschränkungen händisch schalten und in weiterer Folge auch Hinweise wie ‚Unfall‘ oder ‚Geisterfahrer‘ eintippen“, erinnert sich Gerhard Bachinger, Dienststellenleiter der Autobahnpolizei Tribuswinkel (Bezirk Baden).

Heute sind die Überkopfwegweiser in ganz Österreich im Einsatz. Sie werden aber nicht mehr von der Polizei, sondern von der Verkehrsleitzentrale der ASFINAG gesteuert. Zugleich wurden überall Leitschienen errichtet und Bodenmarkierungen angebracht, womit man etwa den nötigen Abstand besser einschätzen können soll.

„Sollte heute nicht mehr passieren“

Doch nicht nur die Infrastruktur auf der Straße verbesserte sich wesentlich, auch die Autos wurden durch Sicherheits- bzw. Fahrassistenzsysteme ergänzt. Und die Fahrzeuge können die Fahrbahn besser ausleuchten. „Wir haben heute so moderne Fahrzeuge, dass ein Unfall, der früher tödlich ausgegangen wäre, heute sogar zu einem unverletzten Fahrer oder Beifahrer führen kann“, sagt Robatsch.

Überkopfwegweiser auf der Autobahn mit Stau-Anzeige
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Dank moderner Warnanlagen habe sich die Verkehrssicherheit auf Autobahnen deutlich verbessert

Deshalb ist der Leiter des Kuratoriums für Verkehrssicherheit auch überzeugt, dass ein Massenunfall wie 1982 auf der Südautobahn „in diesem Ausmaß heute nicht mehr passieren“ würde. Zugleich seien auch die Unfallfolgen deutlich geringer.

Leidvolle Verkehrsgeschichte

Die Geschichte der Verkehrssicherheit lehrt laut Robatsch aber „leider“ auch, dass es „in den meisten Fällen schlimme Unfälle gebraucht“ hat, damit Maßnahmen ergriffen wurden. Ein Beispiel dafür sei die Reduktion der Alkoholgrenze von 0,8 auf 0,5 Promille 1998. Das geschah erst, nachdem drei Sportler einer Basketballmannschaft aus Baden starben, weil ihr Bus von einem betrunkenen Lenker gerammt wurde, „obwohl die Wissenschaft die Reduktion seit Jahren forderte“.

1998: Diskussion über niedrigere Promillegrenzen

Ein weiteres Beispiel betrifft die Absicherung von Baustellen. Anlass war ein Unfall im August 2000, als ein Lkw bei einer Baustelle auf der Westautobahn bei Pöchlarn (Bezirk Melk) ins Kippen kam und in den Gegenverkehrsbereich geriet. Der Bus mit 61 Schülerinnen und Schülern aus Deutschland an Bord wurde regelrecht aufgeschlitzt. Acht Schüler starben, 23 wurden teils schwer verletzt. Deshalb überwachen heute auch vermehrt Radaranlagen Baustellenbereiche, sagt Robatsch.

„Viel Spielraum“ für Verbesserungen

Trotzdem gibt es noch „viel Spielraum“ für Verbesserungen, betont der Verkehrsexperte. Denn Österreich liege im europaweiten Schnitt „nur im besseren Mittelfeld“. Handlungsbedarf gibt es etwa beim Thema Radverkehr. „Es gibt keine Gruppe, die gefährlicher unterwegs ist.“ Mit Anfang Oktober werden zwar u. a. die Sicherheitsabstände beim Überholen im Ort auf eineinhalb bzw. im Freiland auf zwei Meter erhöht, das Kuratorium hätte sich aber mehr gewünscht.

Bodenmarkierungen auf einem Radweg
APA/HANS PUNZ
Radfahrer seien derzeit die im Straßenverkehr gefährdetste Gruppe

Denn die gesamte Radinfrastruktur müsse effektiv adaptiert werden. „Radstreifen bedeutet meist eine Linie, die auf den Gehsteigbereich gepinselt wird.“ Für den Experten ist das aber zu wenig. Wie beim motorisierten Verkehr sei es auch beim Radverkehr notwendig, „Geld in die Hand zu nehmen, um die Infrastruktur gut zu organisieren“. Nur auf entsprechenden Radwegen könne man sicher unterwegs sein.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 1.8.2022

Das gleiche Thema betreffe gefährliche Stellen für Motorräder. Auch diese müssten noch besser markiert werden, um die Biker auf der Straße zu unterstützen. Denn fast jeder vierte Verkehrstote ist derzeit ein Motorradfahrer. „Vor allem Wiedereinsteiger sind betroffen, weil sie überfordert sind oder oft aus Sicht des Autofahrers denken.“

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KfV

Praktische Prüfung fehlt

Schärfere Vorgaben fordert der Verkehrsexperte auch beim Thema Moped. Derzeit müssen meist 15-Jährige nur eine theoretische Prüfung ablegen und ein paar Fahrstunden nehmen, „die in der Praxis teilweise nie stattfinden“, sagt Robatsch. Hier fordert er auch im Sinne der Verkehrssicherheit eine praktische Prüfung. Denn eine Untersuchung des Kuratoriums ergab, dass mehr als die Hälfte ein halbes Jahr nach der erhaltenen Fahrerlaubnis nicht die entsprechende Reife hat.

Das größte Sterberisiko haben nach wie vor junge Fahranfänger, weil sie zu wenig Erfahrung haben, zu schnell oder unter Drogeneinfluss fahren. Und fast jeder dritte Verkehrstote war nicht angeschnallt. Im Vorjahr starben auf Niederösterreichs Straßen 92 Menschen, 359 waren es österreichweit. Robatsch beklagt hier die mediale Wahrnehmung: „Wenn ein Flugzeug abstürzt, ist die Aufregung groß, aber dass auf den Straßen noch immer eine Person pro Tag stirbt, geht unter.“