Bartgeier
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„Menschen im Blickpunkt“

Der Herr der Vögel aus Haringsee

In der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee werden seit 1975 verletzte oder verwaiste Vögel behandelt und für ihre Rückkehr in die Wildnis trainiert. Dank der Station und ihrem Gründer Hans Frey konnte sich der ausgerottete Bartgeier wieder ansiedeln.

Der Bartgeier (Foto oben) lebt von dem, was alle anderen Tiere übriglassen. Seine Ernährung besteht zu 90 Prozent aus Knochen. Um 1900 wurde das letzte Tier in den österreichischen Alpen gesichtet – dann erst wieder in den 1980ern nach dem Aufzuchtprojekt von Tierarzt Hans Frey.

In den 70er Jahren ließ Frey die noch 30 verbliebenen Bartgeier-Exemplare aus europäischen Zoos nach Haringsee (Bezirk Gänserndorf) bringen. Mit der Zeit bildeten sich Paare und Jungtiere entstanden. Nach zehn Jahren war die Population so weit, dass man sie im Nationalpark Hohe Tauern wieder ansiedeln konnte. „Schrittweise kam immer wieder ein Alpenland dazu, nun haben wir einen soliden Bestand in Frankreich, der Schweiz, Italien und Deutschland“, erzählt Hans Frey.

Wenn sich Bartgeier in Eisenoxid wühlen

Der Bartgeier hat es – bei den vielen Vogelarten in der Station – Frey besonders angetan. „An sich ist der ja weiß wie eine Schneeeule, aber jeder Bartgeier färbt sich gezielt mit roter Farbe ein. Das ist eine Verhaltensweise, die wir das erste Mal hier in Haringsee dokumentieren konnten.“ Dazu badet der Bartgeier in Wasserstellen mit Eisenoxid oder wühlt sich sogar in Eisenoxid.

Warum die Tiere das tun, ist nicht restlos geklärt – wahrscheinlich geht es um Status. „Je besser, stärker sich ein Bartgeier fühlt, desto intensiver färbt er sich ein. Die subdominanten Partner färben sich viel weniger ein. Das stärkste Tier investiert sozusagen mehr Zeit ins Schminken“, erklärt Frey.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Tierarzt und Greifvogelexperte Hans Frey
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Hans Frey gründete die Vogelstation 1975 mit 31 Jahren. Auch als Pensionist hilft er immer noch mit.
Prinz Philipp in der EGS Haringsee 1993
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In den 90ern besucht Prinz Philip (Mitte, grüner Mantel), der im Vorjahr verstorbene Vater des britischen Königs Charles III., die Station
Bartgeier Jungtier
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Verstoßene oder verwaiste Bartgeier Jungtiere werden in Haringsee aufgepäppelt
Bartgeier
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Ein drei Jahre altes Bartgeier Weibchen trägt noch weißes Gefieder
Bartgeier
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Bis zu 2,8 Meter kann die Spannweite der Flügel betragen. Gefüttert werden Bartgeier einmal täglich mit Küke, Ratten, Mäusen oder Wild, das von Autos angefahren wurde

In der Eulen- und Greifvogelstation (EGS Haringsee) werden seit 47 Jahren verletzte Tiere aufgepäppelt, aber es wird auch ihr Verhalten erforscht. Bislang konnten etwa 7.500 Turmfalken wieder ausgewildert werden. Gegründet hat Frey die Station aus eigenem Bedarf heraus: „Ich war an der Veterinärmedizinischen Uni in Wien angestellt. Da konnten wir zwar Adler therapieren, aber nicht auf ihre Freilassung vorbereiten. Es war notwendig, dass wir Gehege machen“, so der heute 78-Jährige. Dass sein Beruf später einmal etwas mit Tieren zu tun habe, sei ihm schon als Kind klar gewesen.

„Mein Glück war, dass man da in den 70ern diese erste Phase hatte, in der man über Wildtiere Erfahrungen gesammelt hat. Wir wussten damals viel über die madagassische Schnecke, aber über die heimischen Wildtiere war viel zu wenig bekannt“, blickt Frey im Gespräch mit noe.ORF.at zurück.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 28.8.2022

Wenn Vögel glauben, Menschen zu sein

Frey steuerte zu diesem Wissen viel bei: Etwa, als er gemeinsam mit einem Bartgeier-Männchen ein Nest baute und Eier ausbrütete. „Der wurde vermutlich als Jungvogel verletzt und dann von Hand aufgezogen. Damit wird er vom Menschen geprägt und hat nur mehr Menschen als Artgenossen anerkannt.“ Mit Kunsteiern habe Frey den Vogel zum Brüten stimuliert – aber so ein Tier erwarte dann auch von seinem Partner, also Frey, dass er mitbrütet. „Diese Jungen fliegen heute noch in den Alpen.“

Die Prägung der Tiere auf Menschen sei eines der größten Probleme. Ein von Hand aufgezogener Steinadler beispielsweise attackiert so etwa Menschen, um sie aus seinem Territorium zu vertreiben. In Haringsee wird deswegen „kein Greifvogel, keine Eule, kein Storch per Hand aufgezogen“, so Frey. Die Tiere bekommen Ammen – also jene Tiere, die so verletzt oder beeinträchtigt sind, dass man sie nicht mehr in die Natur zurücklassen kann.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Schildkröte
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Nicht nur Tiere mit Flügeln: So gut wie alle europäischen Schildkrötenarten sind in Haringsee vertreten, die meisten wurden wegen Animal Hoardings ihrer Besitzer beschlagnahmt
Störche im Nest
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Störche leben in langjährigen Beziehungen – so auch dieses Paar in der Vogelstation
Turmfalken und Eulen
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Die meisten Vögel verbringen etwa ein bis zwei Monate hier, bis sie wieder stark genug sind, um in der Wildnis zu überleben
Eule
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Auch Dauergäste gibt es: Sind Tiere flug- oder lebensunfähig im Freien, bleiben sie in Haringsee und werden Adoptiveltern von verwaisten Jungtieren ihrer Art

Derzeit herrscht Hochsaison, wenn es um neue Patienten geht. „Von Juni bis August ändert sich hier eigentlich stündlich die Zahl der Tiere. Da werden die meisten Jungtiere gebracht.“ Bis zu 1.500 Tiere würden dann betreut, im Schnitt sind es das Jahr über 800. Dazu gehören auch Ziegen, Fischotter und Schildkröten – beim Besuch der Vogelstation empfiehlt es sich, nicht nur in den Himmel zu den Vögeln, sondern auch auf den Boden zu schauen, die Schildkröten tauchen nämlich aus allen Gebüschen auf. Genommen werden allerdings nur heimische Wildtiere, keine Exoten.

Heuer wurde erstmals ein verletztes Murmeltier gebracht – genau das sei an seinem Beruf so motivierend und erfüllend: „Man lernt wieder eine neue Tierart kennen und macht sich mit den Verhaltensweisen vertraut. Es ist jeder Tag anders, immer erwarten einen neue Herausforderungen.“