-ZU APA II- Der ehemalige Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer tritt nun auch als Prior von Maria Roggendorf zurŸck.  (Archivbild 09.04.1995) APA-Photo: Kelly Schšbitz
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„100 Jahre NÖ“

„Kriegslist“ stürzt Kardinal und Kirche in Krise

Im März 1995 ist der Wiener Erzbischof Kardinal Hans Hermann Groer des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden. Die Affäre stürzte die römisch-katholische Kirche in Österreich in die schwerste Krise seit 1945. Ausgangspunkt war eine mediale „Kriegslist“.

Am 26. März 1995 berichtete der ehemalige Groer-Schüler Josef Hartmann im Nachrichtenmagazin profil über seine mehr als 20 Jahre zurückliegenden Erlebnisse: Kardinal Hans Hermann Groer, damals noch Religionsprofessor am Knabenseminar Hollabrunn, habe ihn sexuell missbraucht. „Wir wussten natürlich, dass das ein Tabubruch ist“, erinnert sich der damalige Chefredakteur des profil, Josef Votzi.

Zwar gab es auch schon davor Geschichten über sexuellen Missbrauch in der Kirche. „Das Neue war, dass man nun einen hochrangingen katholischen Würdenträger damit in Zusammenhang brachte“, erzählt Votzi – in einer Zeit, in der die katholische Kirche in Österreich noch eine sehr starke Stellung innehatte.

27.3.1995: Schwere Vorwürfe gegen Kardinal Groer

Gerüchte unter den Internatsschülern

Gerüchte und Getuschel über mögliche Verfehlungen Groers habe es schon Jahre zuvor immer wieder gegeben, betont der Journalist, der selbst in Hollabrunn im Internat war. Mitschüler hätten die regelmäßigen Gespräche mit Groer unter vier Augen „wie den Teufel“ gefürchtet und gemieden. Groer galt als „zügelloser Grapscher und Greifer“, doch alles andere „war im Bereich der Spekulation“.

Doch darüber sprechen wollte vorerst niemand, selbst als der Papst Groer 1986 zur großen Überraschung aller zum Erzbischof von Wien ernannte. Ein hochrangiger Kirchenvertreter hätte in einem Hintergrundgespräch ein abgründiges Bild des Innenlebens und des engsten Kreises um den dann höchstrangigen Kirchenmann Österreichs gemalt, erzählt Votzi, doch die Recherchen verliefen im Sand.

Gestern abend fand im Wiener Stephansdom ein „Gebet fŸr Bischof und Kirche“ statt. Mit „standing ovations“ wurde der Wiener Erzbischof Kardinal Hans Hermann Groer von rund 1.000 GlŠubigen begrŸ§t. Viele GlŠubige seien dankbar fŸr die Mšglichkeit zum gemeinsamen Gebet als „Antwort in dieser Stunde der BedrŠngnis“ hie§ es in der BegrŸ§ung. Kardinal Groer dankte den Anwesenden nach der eineinhalbstŸndigen Feier mit einem „gro§en Vergelt’s Gott“ fŸr das "beharrliche und treue Gebet. UBZ.: Kardinal GROER beim Verlassen des Stephansdom.
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Nach Bekanntwerden der Vorwürfe fand im Wiener Stephansdom ein „Gebet für Bischof und Kirche“ statt. Mit „standing ovations“ wurde der Wiener Erzbischof Kardinal Hans Hermann Groer von rund 1.000 Gläubigen begrüßt

1992 war es schließlich ein Mitarbeiter der Erzdiözese Wien, „der Schwierigkeiten mit Groer angab“ und den Kardinal massiv belastet hat. Doch der ehemalige Groer-Schüler wollte bzw. konnte zu seinen Missbrauchsvorwürfen nicht öffentlich stehen und er wollte die Geschichte nicht freigeben. „Also war die nächste Chance dahin.“

Ein anonymer Brief

Anfang 1995 fand Votzi ein anonymes Kuvert in seiner Post. Darin lag der jüngste Hirtenbrief des Kardinals. Dick mit Filzstift unterstrichen war der von Groer darin aus der Bibel zitierte Satz: „Weder Knabenschänder noch Lustknaben werden in den Himmel kommen.“ Votzi stellt sich die Frage, „warum schreibt Groer so etwas und warum schickt mir jemand das?“

Für gewöhnlich seien solche Hirtenbriefe in einem politischen Magazin „kein Thema“ gewesen, betont Votzi. Doch in diesem Fall entschied er sich – gemeinsam mit Profil-Herausgeber Hubertus Czernin und Kollege Herbert Lackner – zu einer kleinen „Kriegslist“: „Wir platzieren eine Story mit dem ‚Lustknaben‘-Zitat aus Groers Hirtenbrief prominent im Blatt – als eine Art ‚Annonce‘ für Groer-Opfer.“

„Ein ehemaliger Lustknabe“

Und prompt landete einige Tage später eine Postkarte auf Votzis Schreibtisch. Der Weinviertler Josef Hartmann zeigte sich darin empört über den Hirtenbrief – unterschrieben war die Postkarte mit „Ein ehemaliger Lustknabe“. Der ehemalige Zögling fühlte sich von Groers Hirtenbrief so massiv provoziert, dass er mehr als 20 Jahre nach den Übergriffen bereit war, öffentlich über seine Erlebnisse zu sprechen.

2019: Josef Hartmann erzählt im ORF-Interview erstmals über seinen Leidensweg

Drei Wochen nach dem ersten Gespräch „fühlten wir uns ‚fit to print‘“. Hartmann hatte seine Aussage zum einen in einer „eidesstattlichen Erklärung“ unterschrieben. Andererseits erklärten sich bei Recherchen in Hartmanns Umfeld weitere Groer-Opfer bereit, mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch was bis zwei Tage vor Redaktionsschluss noch immer fehlte, war eine Stellungnahme des Beschuldigten. Doch Groer reagierte auf Anfragen nicht. „Die Reaktion war null“, so Votzi.

Stattdessen habe sich Helmut Schüller, damals als Jugendseelsorger und ehemaliger Zögling ein Vertrauter Groers, später Caritas-Chef, bei Votzi gemeldet. Unter vier Augen habe er ihn dringend ersucht, „die Story sein zu lassen, weil wir hier einer Fehlinformation aufsitzen. Das ist alles falsch.“ Unter den Journalisten löste das erneut Diskussionen aus, „ob wir uns sicher sind, aber wir haben es dann gemacht“.

100 Jahre NÖ 1995 Affäre Groer Kirche Krenn Religion
Profil
Das profil-Cover am 27.3.1995

Gesprächsthema Nummer eins

Als die Geschichte am 27. März 1995 mit dem Covertitel „Kardinal Hans Hermann Groer hat mich sexuell missbraucht“ in Druck ging, löste das eine Lawine an Repressionsversuchen, Ablehnung und Zuspruch aus – befeuert durch einen Zufall: Denn an diesem Wochenende fand die Weihe Andreas Launs zum Weihbischof von Salzburg statt. Alles, was im katholischen Österreich Rang und Namen hatte, war dort anwesend.

Sofort wurden die Hebel der Macht in Bewegung gesetzt. Der damalige ÖVP-Klubobmann Andreas Khol wollte die Veröffentlichung noch im Vorfeld durch eine gerichtliche Beschlagnahmung verhindern. Doch sein Versuch scheiterte ausgerechnet an Groer, der sich weigerte, den Antrag zu unterzeichnen. Khol empört sich laut Votzi noch Wochen später intern über Groer: „Ich habe alles getan, um das zu verhindern. Aber er unterschreibt den Beschlagnahme-Antrag nicht."

Ein „wütender“ Raiffeisen-Chef

Groer entschied sich, weiterhin zu schweigen. Statt ihm meldete sich der damalige Raiffeisen-Chef Christian Konrad, einer der Eigentümervertreter des Profil, lautstark zu Wort, der von den Vorwürfen ebenfalls aus der Zeitung erfuhr, erzählt Votzi: „Er war außer sich vor Wut, weil man einem Würdenträger nicht so an den Pranger stellen könne und er hat sogar überlegt, die Ausgabe einstampfen lassen“, entschied sich letztlich aber dagegen. Doch den Journalisten kündigte er an: „Wann des net hoit, fliagts alle drei.“

Doch die Geschichte hielt, und nach Hartmanns Outing wagten sich noch dutzende weitere Missbrauchsopfer aus der Deckung – sowohl aus dem Knabenseminar Hollabrunn als auch von anderen Geistlichen aus ganz Österreich. „Die Leute sind uns mehr oder weniger fast die Türen eingerannt, da ist etwas aufgebrochen und die Leute haben gesagt ‚Jetzt trau ich mich auch‘“.

Aus Anla§ der zur Zeit in Wien stattfindenden FrŸhjahrssitzung der Bischofskonferenz,fand heute abend im Stephansdom ein Gemeinschaftsgottesdienst der Oberhirten statt. UBZ: Kardinal Hans Hermann GROER [M] mit Salzburgs Erzbischof Georg EDER [R] beim Einzug in den Stephansdom.
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Aus Anlass der Anfang April 1995 in Wien stattfindenden Frühjahrssitzung der Bischofskonferenz fand im Stephansdom ein Gemeinschaftsgottesdienst der Oberhirten unter Kardinal Groer statt

Die katholische Kirche in Österreich hätte damit zu einem weltweiten Vorreiter in Sachen Aufklärung von Missbrauchsfällen werden können, entschied sich aber vorerst dafür, die beschuldigten Täter zu decken und seine Opfer zu diffamieren. Die Bischöfe stellten sich geschlossen hinter ihren Mitbruder, der zu all den massiven Vorwürfen nach wie vor eisern schwieg.

"Bubengeschichten“ und „kranke Seelen“

Der damalige Wiener Weihbischof Christoph Schönborn sagte im ORF-Interview: „Er schweigt zu diesen Vorwürfen, denn, ich glaube ich kann ihn hier verstehen, es ist die einzige Antwort auf solche diffamierenden, infamen Beschuldigungen, wie sie hier gegen ihn erhoben werden.“ Der St. Pöltner Bischof Kurt Krenn sprach in der Zeit im Bild 2 sogar von „Hollabrunner Bubengeschichten“ und von „kranken Seelen“, die sich möglicherweise falsch erinnern.

Bischof Kurt Krenn verteidigte in der ZIB 2 das Schweigen Groers und sprach von „Hollabrunner Bubendummheiten“

Und auch aus dem Vatikan gab es keine Konsequenzen, weiß Theologe Paul Zulehner: „Die wollten nicht zugeben, dass sie hier die Falschen gewählt haben.“ Außerdem habe man damals noch gedacht, „man kann zur Beichte und zum Therapeuten gehen und dann ist man geheilt und kann wieder eingesetzt werden“, sagt Zulehner. Diese Meinung sei damals auch noch in der Wissenschaft vertreten worden.

Ö3-Sendung als Dammbruch

Auch die anderen Medien hätten sehr vorsichtig auf die Geschichte reagiert, „eventuell auch weil Schönborn sehr heftig darauf reagiert hat und sogar von Nazi-Methoden gesprochen hat“, erzählt Votzi, wofür sich Schönborn Jahre später entschuldigt habe. Deshalb sei er mit Hartmann bewusst in die Ö3-Livesendung „Freizeichen“ gegangen, bei der Hörer auch anrufen konnten. „Das war der Dammbruch“, denn schon während der Sendung meldete sich eine Vielzahl an Opfern.

BILD ZU APA 407 II VON HEUTE –   Im O3-Freizeichen bekrŠftigte Josef Hartmann, ehemaliger Zšgling des Erzbischšflichen Knabenseminars Hollabrunn, seinen Vorwurf des sexuellen Mi§brauchs durch den Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer. In der Sendung deutete „profil“-Redakteur Josef Votzi an, da§ Hartmann mšglicherweise nicht der einzige Fall des sexuellen Mi§brauchs durch Kardinal Groer war. UBZ.: Nora FREY [l.], Josef VOTZI [MITTE] und Josef HARTMANN [r.] wŠhrend der Sendung heute nachmittag.
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Im Ö3-Freizeichen bekräftigte Josef Hartmann seinen Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs durch den Wiener Erzbischof Groer. In der Sendung deutete „profil“-Redakteur Josef Votzi an, daß Hartmann möglicherweise nicht der einzige Fall des sexuellen Mißbrauchs durch Groer war

In den folgenden Wochen und Monaten sollten sich die Ereignisse aber überschlagen. Am 6. April legte Groer überraschend den Vorsitz in der Bischofskonferenz zurück, nachdem er zwei Tage davor noch im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit wiedergewählt worden war. Am 13. April ernannte Papst Johannes Paul II. Weihbischof Schönborn zum Erzbischof-Koadjutor mit Nachfolgerecht.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Vormittag“, 16.9.2022

Das war der Beginn der Demontage Groers. Am 14. August nahm der Papst Groers Rücktritt an, am 14. September endete die Ära Groer. Schönborn wurde Erzbischof von Wien. Der Alt-Erzbischof zog sich nach Maria Roggendorf (Bezirk Hollabrunn) zurück, wo er vor seiner Berufung zum Wiener Erzbischof bis 1986 als Wallfahrtsdirektor gearbeitet hatte: als Prior des Hauses St. Josef.

„Wir sind Kirche“

Die Affäre Groer führte im März 1995 auch zu einem Kirchenvolksbegehren. Die Initiative „Wir sind Kirche“ sammelte mehr als 500.000 Unterschriften für eine Erneuerung der Kirche – was letztlich aber im Sand verlief. Zugleich kämpfte die katholische Kirche mit einem schweren Imageverlust – in den darauffolgenden Jahren traten mehrere 100.000 Katholiken aus der Kirche aus.

15.8.1995: Der langsame Rückzug von Kardinal Groer

Doch Missbrauchsvorwürfe sollten Groer auch seinen letzten Posten kosten. Anfang 1998 tauchten im Stift Göttweig, seinem Stammkloster im Bezirk Krems, neue Vorwürfe auf. In einem Buch erzählte der Göttweiger Prior, er sei von Groer missbraucht worden. Es folgte eine Apostolische Visitation. Das Ergebnis dieser kircheninternen Untersuchung ging an den Papst und wurde nie veröffentlicht. Doch der damalige Abt sprach von „schwerwiegenden Vorwürfen“, Groer musste sein Amt zurücklegen.

Die späte Einsicht der Bischöfe

Noch vor Abschluss der Visitation erklärten die Bischöfe Christoph Schönborn, Johann Weber, Georg Eder und Egon Kapellari in einer gemeinsamen Erklärung, dass sie zur „moralischen Gewissheit“ gelangt seien, dass die Vorwürfe gegen Groer „im Wesentlichen“ zutreffen würden. Drei Jahre nach dem Auffliegen der Affäre Groer fanden sie zu einem Eingeständnis der bitteren Wahrheit und einem ersten Wort der Entschuldigung gegenüber den Opfern.

Im selben Jahr bemühten sich die Bischöfe auch, ein Auftreten Groers während des dritten Papst-Besuches in Österreich im Juni 1998 zu verhindern. Mit Hilfe des Vatikans wurde der Kardinal ein halbes Jahr ins „Exil“ geschickt. Offiziell absolvierte er einen „Genesungsbesuch“ in einem Nonnenkloster nahe Dresden. Die Peinlichkeit eines Zusammentreffens zwischen Papst und Groer vor laufenden Kameras war damit abgewendet.

BILD ZU APA062  РPapst Johannes Paul II wird am 23.06.1988  von BP Kurt Waldheim und Kardinal Hans Hermann Groer am Flughafen Wien-Schwechat begr٤t.    APA-Photo: Robert Jaeger
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1988 wurde Papst Johannes Paul II noch von Bundespräsident Kurt Waldheim und Kardinal Hans Hermann Groer am Flughafen Wien-Schwechat begrüßt, zehn Jahre später wurde Groer während des Papstbesuchs ins „Exil“ geschickt

Danach wurde es in der Öffentlichkeit ruhig um Groer. 2003 erlag er im Alter von 83 Jahren in einem Spital in St. Pölten einem Krebsleiden. Angeklagt wurde der Kardinal nie, die Vorwürfe waren längst verjährt. Und zu den Vorwürfen hatte er sich bis zuletzt zumindest öffentlich nicht geäußert. Danach kehrte – mit Ausnahme des Kinderporno- und Homosexuellen-Skandals im Priesterseminar St. Pölten 2004 – etwas Ruhe ein.

Welle an Missbrauchsfällen

Doch 2010 – 15 Jahre nach der Affäre Groer – traf eine Welle an Missbrauchsfällen die heimische Kirche frontal und zwang sie zu einer neuen Offenheit. In Stiftsgymnasien, katholischen Kinderheimen, Nonnenklöstern und Pfarren soll es in der Vergangenheit zu Gewalt und sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gekommen sein. Angesichts rasant steigender Fallzahlen beriet die Bischofskonferenz über den Umgang mit den Vorwürfen.

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Warum die Vielzahl an Missbrauchsfällen erst 15 Jahre nach der Affäre Groer aufgekommen ist? „Das war doch etwas sehr Schambehaftetes“, sagt Journalist Josef Votzi. Zudem sei die Art und Weise, wie mit Josef Hartmann umgegangen wurde, „nicht für alle ermutigend“ gewesen. So wurde öffentlich behauptet, dass er für die Aussagen Geld genommen habe oder sich an Groer nur rächen wolle. „Und vielleicht war die Kirche 2010 für viele auch nicht mehr so bedrohlich.“

Finanzielle Hilfen für Opfer

Der Druck der Öffentlichkeit veranlasste Kardinal Schönborn letztlich dazu einzuräumen, dass in der Vergangenheit die Täter oft mehr geschützt worden seien als die Opfer. Im Auftrag des Groer-Nachfolgers begann die Klasnic-Kommission mit der systematischen Aufarbeitung von Fällen und mit der Entschädigung von Opfern. Der Rahmen der finanziellen Hilfe erstreckt sich von 5.000 bis 25.000 Euro und umfasst auch die Finanzierung von Therapiestunden.

2010: Die Klasnic-Kommission nimmt ihre Arbeit auf

Auf Verjährung im gesetzlichen Sinn wurde und wird bei der Anerkennung von Ansprüchen verzichtet. Seit 2010 entschied die Kommission in mehr als 2.600 Fällen zugunsten von Betroffenen. Dieses Modell wurde noch im Jahr 2010 von der Stadt Wien und später in ähnlicher Form von anderen Kommunen übernommen, um Betroffene von Gewalt in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt zu entschädigen.

Seit 2017 wird in Österreich zusätzlich eine Heimopferrente ausbezahlt. Sie gilt auch für Betroffene, die von Jugendwohlfahrtseinrichtungen in kirchliche Heime eingewiesen worden sind. In der ersten Vorlage im Ministerrat sollte die katholische Kirche zu finanziellen Beiträgen zur Heimopferrente verpflichtet werden. Im Gesetzestext war dann aber keine Rede mehr davon. Die unpfändbare Heimopferpension beträgt etwa 300 Euro monatlich.

Das erste „Spotlight“

Der Fall Groer sei jedenfalls das erste „Spotlight“ gewesen, welches das Dunkel von kirchlichen Missbrauchsfällen prominent journalistisch auszuleuchten suchte, so Votzi. Wobei der Journalist betont, dass all diese Geschichten „nie gegen die Kirche an sich gerichtet“ waren, wie von manchen Seiten bis heute dargestellt werde, „die hätte genauso in staatlichen Heimen spielen können.“

Und noch bis heute würden manche Würdenträger „sehr verkrampft“ mit dem Fall umgehen. Die Causa sei zwar auch mehr als 20 Jahre danach weder im Vatikan noch in Österreich untersucht und historisch aufgearbeitet. „Doch das Aufbrechen einer Untertanen-Mentalität war glaube ich gesellschaftspolitisch noch wichtiger als der konkrete, tragische Fall“, meint Votzi heute.

„Groer war so ein mächtiger Mann“

Und der Journalist erinnert sich an ein bewegendes Gespräch mit der Mutter von Josef Hartmann, die sich zu den Erlebnissen ihres Sohnes erst äußerten, als diese schon längst in der Öffentlichkeit bekannt waren – es brachte die damalige „Unantastbarkeit katholischer Würdenträger“ zu Tage. Ihr Sohn habe sich ihr zwar schon kurz nach den Vorfällen anvertraut, „aber was hätten wir tun sollen, wer hätte uns geglaubt? Groer war so ein großer, mächtiger Mann.“