– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Dišzese St.Pšlten . APA-PHOTO:HANS TECHT
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„100 Jahre NÖ“

Historischer Papstbesuch in Krisenzeiten

Seine 83. Auslandsreise führte Papst Johannes Paul II. im Sommer 1998 nach St. Pölten. Im neuen Regierungsviertel feierte er mit tausenden Gläubige eine Messe. Der Besuch fiel aber auch in eine der schwersten Krisen der katholischen Kirche und enttäuschte einige.

Ein dichtes Spalier von Menschen säumte die Straßen, als Papst Johannes Paul II. am 20. Juni 1998 nach einem kurzen Gebet im St. Pöltner Dom mit dem „Papamobil“ zum Landhaus fuhr. 25.000 Gläubige, unter ihnen auch einige tausend Menschen aus den Nachbarstaaten, kamen in das Regierungsviertel, um beim ersten Besuch eines Papstes in St. Pölten dabei zu sein.

Auch auffallend viele junge Menschen jubelten dem Oberhaupt der katholischen Kirche zu. Gemeinsam mit den Gläubigen, 40 Bischöfen und Äbten sowie 150 Priestern feierte der Heilige Vater im Landhauspark die Messe, deren Motto „Komm Schöpfer Geist“ war. „Es gehört zum Katholizismus einfach dazu, dass man sich freut und geehrt fühlt, wenn der Papst kommt“, sagt der heute 82-jährige Pastoraltheologe Paul Zulehner.

„Priestertum ist kein Auslaufmodell“

Johannes Paul II. betonte in St. Pölten das Miteinander in der Kirche und rief angesichts des Priestermangels zum Gebet für mehr Berufungen auf: „Das Priestertum ist kein Auslaufmodell, sondern eine Berufung mit Zukunft!“ Und der Papst unterstrich in seiner Predigt die Bedeutung der Familie und der christlichen Ehe: „Auch eure Lebensform ist Berufung.“

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– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besucht heute nachmittag die Erzdišzese St.Pšlten.WŠhrend sich GlŠubige auf den Besuch einstimmen sorgt das Reinigungspersonal fŸr den letzten Schliff.-electronic image-APA-PHOTO:Harald Schneider
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Während sich Gläubige auf den Besuch einstimmen, sorgt das Reinigungspersonal für den letzten Schliff
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. vor Beginn des Gottesdienstes heute nachmittag im St. Pšltner Landhauspark. APA-PHOTO:HANS TECHT
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Papst Johannes Paul II. wird im St. Pöltner Landhauspark von tausenden Gläubigen empfangen
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH –FEATURE- Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Erzdišzese in St.Pšlten.Zahlreiche junge Christen verbringen die Zeit bis zum Eintreffen de Papstes in bester Laune.APA-PHOTO:Harald Schneider
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Zahlreiche junge Christen verbringen die Zeit bis zum Eintreffen des Papstes in bester Laune
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – †bersicht des St. Pšltner Landhausparks heute nachmittag. APA-PHOTO:HANS TECHT
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Der Altar im Regierungsviertel
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Erzdišzese in St.Pšlten wo er wieder den Kontakt mit den GlŠubigen suchte.. APA-PHOTO:Harald Schneider
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Johannes Paul II. sucht den Kontakt mit den Gläubigen
–  ZU APA 324 VON HEUTE –  Das Logo fŸr den geplanten Papstbesuch wurde heute vormittag vorgestellt.    APA-Photo: PR
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Das Motto des Papstbesuchs
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Dišzese St.Pšlten wo er gemeinsam mit Bischof Krenn eine Messe zelebrierte. APA-PHOTO:HANS TECHT
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Gemeinsam mit Bischof Krenn (l.) zelebriert der Papst die Messe
–  ZU APA026 VON HEUTE – -    FEATURE    Das Plakat fŸr den kommenden …sterreich-Besuch von Papst Johannes Paul II.    APA-Photo: Hans Techt
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– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Dišzese St.Pšlten wo er unter anderen vom Niederšsterreichischen Landeshauptmann Erwin Pršll begrŸ§t wurde.. APA-PHOTO:Harald Schneider
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Landeshauptmann Erwin Pröll begrüßt den Papst
ZU APA 293 – Sepp Moosmann, der Designer der gesamten textilen Ausstattung fŸr den kommenden Papstbesuch, mit dem Messgewand und der Mitra, die der Papst in St. Pšlten tragen wird.   APA-Photo: Roland Schlager
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Sepp Moosmann, der Designer der gesamten textilen Ausstattung für den Papstbesuch, mit dem Messgewand und der Mitra, die der Papst in St. Pölten trägt
– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. flog heute abend nach seinem dreitŠgigen …sterreichbesuchvom Wiener Flughafen Schwechat nach Rom ab. APA-PHOTO:Harald Schneider
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Papst Johannes Paul II. wird nach seinem dreitägigen Österreichbesuch am Flughafen Wien in Schwechat verabschiedet
zu APA II-TEXT                Papst Johannes Paul II. flog heute abend nach seinem dreitŠgigen …sterreichbesuch vom Wiener Flughafen Schwechat nach Rom ab.   (ELECTRONIC  IMAGE)    APA-PHOTO : Harald Schneider
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Der Pastoralbesuch des Papstes sollte auch ein Bild einer lebendigen und geschlossenen Gemeinschaft widerspiegeln, denn der Besuch in Österreich erfolgte in einer für die katholische Kirche schwierigen Zeit, die von Missbrauchsvorwürfen und innerkirchlichen Konflikten geprägt war. Ausgangspunkt des Konflikts war das Ende der Amtszeit des Wiener Erzbischofs, Kardinal Franz König, im Jahr 1985.

„Der rote Kardinal“

König galt als moderater Vertreter des Reformflügels, war einer der bedeutendsten Wegbereiter der Ökumene und unterstützte vor allem die Kirche im kommunistischen Osteuropa. In Österreich wurde König von manchen auch „der rote Kardinal“ genannt, weil er maßgeblich zur Aussöhnung zwischen der katholischen Kirche und der Sozialdemokratie beitrug. Später sagt er dazu: „Ich habe darunter gelitten, dass dieser zum Teil hasserfüllte Gegensatz bestand. Als Bischof hatte ich dann die Möglichkeit zu sagen: ,Ich bin für alle da.‘“

1998: Euphorischer Empfang von Papst Johannes Paul II.

Doch in konservativen Kreisen – sowohl in Österreich als auch im Vatikan, allen voran vom damaligen Nuntius – wurde König als „zu liberal, zu weltoffen und zu links“ gesehen, erklärt Zulehner heute. Eine kleine, aber hochaktive Gruppe habe den moderaten Kirchenkurs in Rom immer wieder angeschwärzt, so Zulehner, und zwar so erfolgreich, dass der kirchliche Aufbruch in Österreich „von oben ruiniert wurde“.

Neuer Kirchenkurs

Stattdessen wurde in kirchlichen, aber auch adeligen und politischen Kreisen der Plan verfolgt, „über neue Bischofsernennungen die Kirche in eine neue Richtung zu leiten“, weiß der Kirchenexperte. Ganz oben auf der Liste standen etwa Alfred Kostelecky (Militär), Kurt Krenn (Wien, dann St. Pölten), Georg Eder und Andreas Laun (Salzburg) sowie Klaus Küng (Feldkirch), die Zug um Zug auch ernannt wurden. „Das war der erste Erschütterungsvorgang in der Kirche“, so Zulehner.

Darüber hinaus sollte Kurt Krenn – einer der „Hauptprotagonisten“ im Kirchenschwenk, wie Zulehner sagt, „ÖVP-nah und von der Politik gefördert“ – Erzbischof in Wien werden. Doch das verhinderte laut Zulehner die SPÖ-geführte Bundesregierung, „weil es eben ein Politikum gewesen wäre und den Frieden im Land destabilisiert hätte“. Rom hätte in diesem Fall sogar mit einem „non placet“ rechnen müssen – ein altes Recht aus Kaiserzeit, dass die Regierung der Ernennung zustimmen muss.

– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH – Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Erzdišzese in St.Pšlten wo er mit Bischof Kurt Krenn zusammentraf. APA-PHOTO:Harald Schneider
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Kurt Krenn (l.) gilt in den 1980er-Jahren als einer der „Hauptprotagonisten“ im Kirchenschwenk, der von Papst Johannes Paul II. (M.) unterstützt wurde. Rechts neben dem Papst steht Kardinal Christoph Schönborn, der Erzbischof von Wien.

Ein erzkonservativer „Marienverehrer“

Als Kompromiss und „Affront gegenüber König“ sollte der bis dahin nur in konservativen Kirchenkreisen bekannte „Marienverehrer aus dem Stift Göttweig“, Hans Hermann Groer, zum Erzbischof von Wien ernannt werden. Zuvor war Groer unter anderem für den Aufstieg des Weinviertler Dorfes Roggendorf (Bezirk Horn) zum Marienwallfahrtsort verantwortlich. Selbst Kardinal Franz König hatte davon nichts gewusst.

Viele Katholikinnen und Katholiken fühlten sich durch die intransparente Art und Weise der Bestellung vor den Kopf gestoßen – speziell jene Generation, die den Aufbruch des II. Vatikanums mitgestaltet hatte. „Rom war es gelungen, Österreich auf neuen Kirchenkurs zu setzen, aber ohne Unterstützung des Kirchenvolks“, sagt Zulehner. Von diesem Rückschlag sollte sich die Kirche nicht mehr erholen, auch wenn der Widerstand zunächst noch spürbar war.

Papst Johannes Paul II. (r) und der frŸhere Wiener Erzbischof Hans Hermann Groer (l) gehen am 19.2.1998 im Vatikan einige Dokumente durch (Archivbild). Groer, dem der sexuelle Mi§brauch von SchŸlern und Priestern angelastet wird, hat šffentlich um Vergebung gebeten. «Ich bitte Gott und die Menschen um Vergebung, wenn ich Schuld auf mich geladen habe», hei§t es in einer am Dienstag (14.4.1998) von der Apostolischen Nuntiatur in Wien veršffentlichten ErklŠrung des 78jŠhrigen Kardinals. Mit dieser vom Vatikan veranla§ten ErklŠrung soll offenbar ein Schlu§strich unter die seit drei Jahren schwelende «schwerste Krise der katholischen Kirche in …sterreich seit dem Krieg» gezogen werden. dpa COLORplus
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1986 wurde Hans Hermann Groer – zur Überraschung vieler – von Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Wien ernannt

„Über Leichen“ zum Bischofsamt

So musste Kurt Krenn bei seiner Weihe zum Wiener Weihbischof 1987 noch über einen „Menschenteppich“ in den Stephansdom getragen werden, weil Demonstranten sich ihm in den Weg gelegt hatten. „Man hat deshalb gesagt, er schreitet über Leichen zu seinem Amt“, erinnert sich Theologe Paul Zulehner. Doch Groer, der in scharfem Kontrast zur Ära des weltläufigen Kardinals König stand, entpuppte sich als Speerspitze der erzkonservativen Vertreter.

1987: Weihbischof Krenn muss „über Leichen“ in den Dom gehen

Zugleich kam Österreichs Kirche in der Ära Groer eine zweifelhafte „Vorreiterrolle“ zu: Jahre, bevor die katholische Kirche in den USA, in Irland, Großbritannien und anderen Ländern durch Missbrauchsvorwürfe und -skandale desavouiert wurde, stand Österreich diesbezüglich im Rampenlicht. Zunächst ging es um Vorwürfe des Versagens von Bischöfen in ihrer Leitungsaufgabe, weil des Missbrauchs verdächtige Priester etwa lediglich versetzt worden waren.

Ein historischer Tabubruch

1995 stand dann plötzlich ein Erzbischof selbst als mutmaßlicher Täter da. Im Nachrichtenmagazin „profil“ beschuldigte der ehemalige Zögling Josef Hartmann Groer des sexuellen Missbrauchs während dessen Zeit als Religionslehrer im Priesterseminar Hollabrunn. Der Kardinal weigerte sich, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Die Frage des Missbrauchs war praktisch eine Verstärkung der Irritationen, die es zuvor schon in der Kirche gegeben hatte“, meint Zulehner – auch deshalb, weil sich die Bischöfe hinter Groer versammelten und ihn verteidigten.

Und auch im Vatikan reagierte man ohne Konsequenzen. Johannes Paul II. beschränkte sich darauf, halbherzige Maßnahmen zu setzen, weiß Zulehner. Warum? „Die wollten nicht zugeben, dass sie hier die Falschen gewählt haben“ und „innerkirchlich war der Papst eher konservativ und wollte keine Unruhe haben.“

100 Jahre NÖ 1995 Affäre Groer Kirche Krenn Religion
Profil

Außerdem habe man damals noch gedacht, „man kann zur Beichte und zum Therapeuten gehen, dann ist man geheilt und kann wieder eingesetzt werden“, sagt Zulehner. Diese Meinung sei damals auch noch in der Wissenschaft vertreten worden.

Die Kirche stürzt tiefer in die Krise

In der Öffentlichkeit folgte jedoch ein Sturm der Entrüstung, Groer trat innerhalb eines halben Jahres von seinem Amt zurück und der Wiener Weihbischof Christoph Schönborn wurde im August 1995 Erzbischof von Wien. Die Ereignisse hatten die katholische Kirche allerdings arg gebeutelt, diese kämpfte fortan mit einem schweren Imageverlust – in den darauffolgenden Jahren traten mehrere 100.000 Katholikinnen und Katholiken aus der Kirche aus.

Aus Anla§ der zur Zeit in Wien stattfindenden FrŸhjahrssitzung der Bischofskonferenz,fand heute abend im Stephansdom ein Gemeinschaftsgottesdienst der Oberhirten statt. UBZ: Kardinal Hans Hermann GROER [M] mit Salzburgs Erzbischof Georg EDER [R] beim Einzug in den Stephansdom.
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Trotz massiver Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs stellten sich die Bischöfe hinter Kardinal Groer (M.)

Zudem entstand bereits in den Apriltagen in Tirol auch das „Kirchenvolks-Begehren“, eine Initiative mit innerkirchlichen Reformforderungen. Es wurde von mehr als einer halben Million Österreicherinnen und Österreichern unterschrieben. „Das zeigt, wie interessiert die Bevölkerung an der Kirche war und wie sehr sie die neue Ausrichtung irritiert hatte“, sagt Zulehner.

Der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Johann Weber aus Graz, setzte deshalb Initiativen zur Befriedung dieser Situation – etwa durch die „Wallfahrt der Vielfalt“ nach Mariazell unter dem Motto „Beten und streiten“ oder der für 1998 geplante „Dialog für Österreich“.

Missbrauchsvorwürfe 2.0

Zur Jahreswende 1997/98 – Groer hatte sich längst in „seinen“ Wallfahrtsort Maria Roggendorf zurückgezogen – brach eine zweite Affäre Groer auf. Diesmal ging es nicht um Missbrauch, sondern um homosexuelle Beziehungen zu Erwachsenen – etwa Mönchen des Stiftes Göttweig (Bezirk Krems), dem Groer vor seiner Bischofszeit angehört hatte. Einige Vorwürfe bezogen sich auch auf Groers Zeit als Erzbischof von Wien.

BILD ZU APA062  РPapst Johannes Paul II wird am 23.06.1988  von BP Kurt Waldheim und Kardinal Hans Hermann Groer am Flughafen Wien-Schwechat begr٤t.    APA-Photo: Robert Jaeger
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1988 wurde Papst Johannes Paul II. noch von Bundespräsident Kurt Waldheim (M.) und Kardinal Hans Hermann Groer (r.) am Flughafen Wien-Schwechat begrüßt, zehn Jahre später wurde Groer während des Papstbesuchs ins „Exil“ geschickt

Auch diesmal eskalierte die öffentliche Kritik dermaßen, dass sich am 27. Februar 1998 Erzbischof Schönborn (Wien) sowie die Bischöfe Eder (Salzburg), Weber (Graz) und Kapellari (Klagenfurt) zur Erklärung genötigt sahen: „Wir sind nun zu der moralischen Gewissheit gelangt, dass die gegen Alterzbischof Kardinal Hans Hermann Groer erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen zutreffen.“

Solches Eingeständnis war in der Kirchengeschichte bislang unerhört, aber da Groer weiter schwieg und keine strafrechtlichen Vorwürfe vorlagen, konnte nichts weiter geklärt werden. Auch der Papst machte keine Anstalten, den Kardinal zu sanktionieren. Nur zu einer nebulosen Verzeihungsbitte zeigte sich Groer bereit – und zog sich als gebrochener Mann ins Zisterzienserinnenkloster Marienfeld (Bezirk Hollabrunn) zurück.

Unerfüllte Reaktion des Papstes

Angesichts dieser Entwicklungen erwarteten sich viele Katholikinnen und Katholiken eine Stellungnahme des Papstes beim Besuch in St. Pölten – nicht nur zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Kardinal Groer, sondern auch zur Kritik von Laienvertretern an der Amtsführung des St. Pöltner Bischofs Kurt Krenn. Doch Johannes Paul II. ging auf diese Themen nicht konkret ein.

– PAPST JOHANNES PAUL II. in …STERREICH –Feature- Papst Johannes Paul II. besuchte heute nachmittag die Erzdišzese in St.Pšlten.Eine Kirchenkritische Gruppe forderteauf Transparenten die Absetzung von Bischof Krenn.APA-PHOTO:Harald Schneider
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Zum Unmut vieler Gläubigen sprach der Papst die innerkirchlichen Diskussionen nicht an

Diese Strategie habe letztlich auch Zweifel am Papst selbst genährt, sagt Zulehner gegenüber noe.ORF.at, denn das Motto des Papstbesuchs ging zwar Richtung Evangelium, doch seine „Wirkkraft“ sei gedämpft gewesen, „weil viele Leute gesagt haben, es gibt auch die Groer-Geschichte, den Missbrauch und wie er damit umgeht: Ist er wirklich der authentische Zeuge des unverstellten Evangeliums“.

Und schließlich verlief auch der von Bischof Weber initiierte „Dialog für Österreich“ im Sand. Gemeinsam mit Proponenten des Kirchenvolks-Begehrens hatte man sich mit großen Mehrheiten auf gemäßigte Forderungen zur Kirchenreform geeinigt, etwa das Überdenken des Zölibats. Doch von Rom wurde keiner dieser Forderungen entsprochen. „Der Dialog ist tot“, kommentierte Kurt Krenn wenig später die Ergebnisse in unfreundlichem Ton.

Skandal um Kinderpornos

Kirchenpolitisch am Ende war Krenn fünf Jahre später. Im Herbst 2003 kam es rund um das Priesterseminar St. Pölten der Diözese zu einem Skandal wegen homosexueller Handlungen und kinderpornografischer Fotos. Ein Priesteramtsanwärter, der Kinderpornos gehortet hatte, wurde rechtskräftig zu einer halbjährigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Zusätzlich gab es Gerüchte um homosexuelle Beziehungen im Priesterseminar, die später ebenfalls bestätigt wurden.

2004: Skandal um Kinderpornos im Priesterseminar St. Pölten

Krenn bezeichnete die Vorgänge als „Bubendummheiten“. Der Skandal rief massive inner- und außerkirchliche Kritik hervor. „So gesehen war das das volle Fass, dass er mit der Missbrauchsfrage und Homosexualität so locker und nicht ernsthaft umgegangen ist“, sagt Zulehner. Im Gegensatz zu vergangenen Jahren sei die Öffentlichkeit nun schon sensibilisierter gewesen, und auch Rom habe gemerkt, ihn nicht mehr halten zu können.

Euphorischer Papst-Empfang

Bis zum nächsten Besuch eines Papstes 2007 sollte etwas Ruhe einkehren. Am 9. September 2007 besuchte Papst Benedikt XVI. auf eigenen Wunsch das Stift Heiligenkreuz (Bezirk Baden). Hauptgrund war die Theologische Hochschule im Stift, die kurz davor zur Päpstlichen Hochschule ernannt worden war und seither den Namen Benedikts XVI. trägt. 15.000 Menschen kamen nach Heiligenkreuz, um den Papst im Wienerwald willkommen zu heißen.

2007: Papst Benedikt XVI. besucht das Stift Heiligenkreuz

Für das Zisterzienserstift war der Besuch ein historisches Ereignis und eine Bestärkung der Linie, die im Kloster und auch an der Hochschule vertreten wird. Benedikt XVI. lobte die Hochschule in Heiligenkreuz als profilierten Studienort, an dem "eine vertiefte Verbindung von wissenschaftlicher Theologie und gelebter Spiritualität möglich ist“. Von einem Erker des Stiftes aus segnete der Papst die Gläubigen.

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APAGIN01 – 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Papst Benedikt XVI. winkt aus einem Erker des Benediktinerstifs Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007. APA-FOTO: BARBARA GINDL
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Papst Benedikt XVI. winkt aus einem Erker des Zisterzienserstifts Heiligenkreuz
APAGIN05 – 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Papst Benedikt XVI. winkt aus einem Erker des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007 den Pilgern zu. APA-FOTO: BARBARA GINDL
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APAGIN08 – 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Papst Benedikt XVI. winkt von einem Erker des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007 den Pilgern zu. APA-FOTO: POOL/ROBERT JAEGER
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APAGIN21- 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II -Pilger mit Transparenten anl. des Besuches von Papst Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007. APA-FOTO: BARBARA GINDL
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Pilger mit Transparenten anlässlich des Papstbesuches
APAGIN12- 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Abt Gregor Ulrich Henckel-Donnersmarck (l.) begruesst Papst Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007 mit Handkuss. APA-FOTO: POOL/ROBERT JAEGER
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Abt Gregor Ulrich Henckel-Donnersmarck (l.) begrüßt Papst Benedikt XVI. im Stift Heiligenkreuz
APAGIN10- 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Papst Benedikt XVI. (m.) und Kardinal Christoph Schoenborn (l.) in der Kirche des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007. APA-FOTO: POOL/ROBERT JAEGER
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Papst Benedikt XVI. und Kardinal Christoph Schönborn (l.) in der Stiftskirche
APAGIN16- 09092007 – HEILIGENKREUZ – OESTERREICH: ZU APA-TEXT II – Papst Benedikt XVI. (m.) beim Gruppenbild mit Moenchen des Stiftes Heiligenkreuz im Wienerwald am Sonntag, 9. September 2007. APA-FOTO: POOL/ROBERT JAEGER
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Papst Benedikt XVI. beim Gruppenbild mit den Patres des Stiftes Heiligenkreuz

Neue Vorwürfe zwingen zu ungewohnter Offenheit

Die bisher letzte große Erschütterung folgte 2010 – 15 Jahre nach der Affäre Groer –, als eine weitere Welle an Missbrauchsfällen die heimische Kirche frontal traf und zu einer neuen Offenheit zwang. In Stiftsgymnasien, katholischen Kinderheimen, Nonnenklöstern und Pfarren soll es in der Vergangenheit zu Gewalt und sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gekommen sein.

Österreich sei der Weltkirche damals zwar um ein Jahrzehnt voraus gewesen, dennoch habe man die Zeit nicht genutzt. Laut Zulehner habe man gedacht, „das ist ein lokales Phänomen“. Mittlerweile wisse man und müsse sich „auch eingestehen, dass alle ein zu langsames Tempo mit Blick auf die Opfer“ hatten. Das betreffe nicht nur die Kirche, sondern auch staatliche Heime bzw. jene der Bundesländer, genauso wie Sportvereine und die Kultur.

Die Herausforderungen der Kirche

Der Glaube an sich durchlebe in Österreich, aber auch in Europa generell eine tiefgreifende Veränderung, meint der Religionssoziologe: Von einer Zeit, in der man „von der Geburt an katholisch war“, in eine Phase, in der man frei wählen kann und will. Die Bindung zur Kirche sei lockerer geworden, sagt Zulehner. Affären wie jene um Groer und Krenn seien letztlich Brandbeschleuniger. „Ein Anstoß, dass eine locker gewordene Kirchenbindung gekappt wird.“

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Trotzdem blickt Zulehner, der 1964 zum Priester geweiht wurde und von 1984 bis 2008 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien war, mit Optimismus in die Zukunft, „dass wir genügend Leute finden, die sagen ‚Mir ist das Evangelium um der Welt wegen so wichtig, dass ich wieder mitmache.‘“ Gerade in Niederösterreich gebe es ein „lebendiges, sehr gutes Kirchenvolk“, das die Segnungen der modernen Zeit schätze und für „Gerechtigkeit“ steht, aber „keine mittelalterliche Kirche des Gehorsams und Moralisierens“ will.

Als „schade“ bezeichnet er deshalb den Umstand, dass die Diözese St. Pölten, „nach den großen Bischöfen Memelauer und Zak der Reihe nach Bischöfe bekommen hat, die die Stärke des Glaubens, die Weltoffenheit und die Verbundenheit mit der Tradition nicht würdigen konnte“. Zulehner wünscht sich künftig wieder Bischöfe, die „wie früher im Kirchenvolk hohe Zustimmung haben“. Niederösterreich sei ein Kernland der katholischen Kirche, „und man sollte auch in Rom etwas liebevoller mit diesem Juwel umgehen“.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Vormittag“, 26.9.2022

Die drängendsten Fragen

Zölibat, der Umgang mit Frauen, die Demokratisierung der Kirche und Mitbeteiligung seien „wichtige Fragen“ und er möchte sie „nicht herunterspielen“, meint Zulehner offen, „ich möchte aber keine Zukunft haben, in der die Kirche reformiert ist, aber die Welt untergeht“. Diese innerkirchlichen Reformen müssen so schnell wie möglich gelöst werden, um „genügend Kraft zu haben“, sich den wirklich wichtigen Themen zu widmen.

Das betreffe den Klimawandel, die nächste Generation, die Migration, die Armen im Land und den Frieden in der Welt, „nachdem das Recht vor der Gewalt gerade kollabiert ist. Ich glaube nicht, dass wir Christen unseren Job machen, wenn wir uns nicht mehr um die Welt kümmern, sondern nur um uns selbst“. Papst Franziskus würde das derzeit auch so vorleben und verlangen. „Wenn es nur einen Gott gibt, ist jeder einer von uns.“