ZU APA 195 CI – Eine Kuh im Stall der „Bundesanstalt fŸr veterinŠrmedizinische Untersuchungen“ heute in Mšdling. APA-Foto: Roland Schlager
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„100 Jahre NÖ“

Tierkrankheit sorgt für Panik und Pannen

Die Tierkrankheit BSE hat 2001 für große Verunsicherung gesorgt. Rindfleisch war verpönt, viele Landwirte fürchteten um ihre Existenz. Als die Krise überwunden schien, bestätigte sich im Waldviertel der erste Fall in Österreich – mit einer peinlichen Verwechslung.

9. Dezember 2001: Seit den frühen Morgenstunden ist der erste BSE-Fall in Österreich amtlich. Auf der Bezirkshauptmannschaft Gmünd wurde die Sperre des betroffenen Bauernhofes ausgehängt – ein Betrieb mit 20 Kühen, 15 Masttieren, 14 Kalbinnen und elf Kälbern.

Über das Waldviertler Örtchen Groß-Höbarten (Bezirk Gmünd) brach das Unheil völlig unvermittelt herein: Der zwei Tage zuvor vom damaligen Gesundheitsminister Herbert Haupt verkündete erste BSE-Fall in Österreich stammte ausgerechnet von einem Bauernhof in der verschlafenen 157-Seelen-Ortschaft, und ausgerechnet aus einem „gut geführten bäuerlichen Betrieb“ mit gerade einmal 60 Rindern, wie der Minister später bei einem Lokalaugenschein mitteilte.

Gestörte, stille Jahreszeit

Damit war plötzlich nicht nur die heile heimische Rindfleischwelt aus den Fugen geraten, sondern auch ein ganzes Dorf in heller Aufruhr: Dutzende Journalisten und Übertragungswagen mit Satellitenschüsseln belagerten gerade in der stillsten Jahreszeit den amtlich gesperrten Bauernhof. Dem Bauern blieb damals nichts anderes übrig, als über die Felder das Weite zu suchen.

ZU APA CI TEXT – Der Waldviertler Bauernhof (l.) in Gross-Hoebarten (Niederoesterreich) aus dem jenes Rind stammte, das mit dem BES-Erreger infiziert war. APA-Foto: Herbert Pfarrhofer.
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Durch den ersten positiven BSE-Fall stand die Ortschaft Groß-Höbarten kurz vor Weihnachten im Mittelpunkt des Interesses

„Das war für mich ein schwerer Schlag“, erzählte Bürgermeister Alois Strondl (ÖVP) damals im ORF-Interview, „wie es wohl auch für die ganze Gemeinde ein tiefer Schock ist.“ Auch in der Bevölkerung konnte niemand nachvollziehen, warum der erste Fall ausgerechnet hier auftrat, „bei uns, in so einem kleinen Ort, wo die Bauern nur Futter aus der Natur füttern“, schilderte eine Frau.

Keine Insel der Seligen

Dabei blieb Österreich als „Insel der Seligen“ lange von der internationalen BSE-Krise verschont. In Großbritannien grassierte etwa Ende der 1990er Jahre eine wahre Epidemie, mehr als 1.300 Betriebe waren von der Tierseuche betroffen. Doch vor allem der humane Typ, an dem mehr als 100 Menschen starben, „hat in ganz Europa die Alarmglocken schrillen lassen“, erinnert sich der damalige Landesveterinärdirektor Franz Karner im Gespräch mit noe.ORF.at.

10.12.2001: Der BSE-Fall trifft Groß-Höbarten völlig unerwartet

Zugleich waren mit dem Jahreswechsel 2000/2001 immer mehr EU-Mitgliedsstaaten mit BSE konfrontiert, das katastrophale Ausmaße erlangte. Ausgehend von Großbritannien wurden auch Betriebe in Irland, Frankreich und den Niederlanden erfasst. Erst durch Tötung von tausenden erkrankten und ansteckungsverdächtigen Tieren konnte die Ausbreitung zum Stillstand gebracht werden.

Der Auslöser des Rinderwahnsinns

Infiziert hatten sich die Rinder in Großbritannien vor allem durch die Fütterung, konkret durch beigemischtes Tierkörpermehl, das als Eiweißlieferant damals noch erlaubt war. Allerdings wurde das Mehl „nicht ausreichend erhitzt“, erklärt der Experte, statt der nötigen 120 Grad waren es „nur 80 oder 90 Grad, weil die Betriebe dachten, damit Geld sparen zu können.“

Zur Folge hatte das allerdings, dass sich die Prionen – kleine, krankhaft veränderte Eiweiße, die als Auslöser des sogenannten Rinderwahns galten – nicht veränderten und infektiös blieben, so der Experte. Rinder, die an BSE, das für Bovine Spongiforme Enzephalopathie steht, erkranken, werden aggressiv, verlieren ihre Orientierung und verenden qualvoll, wenn sie nicht schon vorher getötet werden.

Für Menschen tödlich

Gefährlich ist die Krankheit, weil sich der Mensch beim Verzehr von BSE-verseuchtem Fleisch mit einer neuen Variante der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit anstecken kann, wie es damals in Großbritannien der Fall war. Als erste Maßnahme mussten deshalb ab Anfang 2001 auch in Österreich alle Schlachttiere auf BSE untersucht werden, denn „das Wissen über BSE war noch nicht sehr ausgeprägt“, sagt Karner.

APAHKT05 – 29102005 – SALZBURG – OESTERREICH: ZU APA 0070 CI – ILLUSTRATION zum Thema „3. BSE-Fall in Oesterreich“: Bei einem im Schlachthof Salzburg-Bergheim getoeteten Rind wurde am Freitag, 28. Oktober 2005, BSE festgestellt. Im Bild eine Untersuchung/Probentnahme im Schlachthof Salzburg-Bergheim, aufgenommen am 23.01.2001 im Rahmen einer Praesentation von Vorsichtsmassnahmen im Falle einer BSE-Erkrankung. APA-FOTO: FRANZ NEUMAYR
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Als Auslöser des Rinderwahnsinns gelten kleine, krankhaft veränderte Eiweiße im Gehirn der Tiere

In Niederösterreich wurde damals auch am Flughafen in Schwechat (Bezirk Bruck an der Leitha) ein Seuchenteppich ausgelegt. In jedem Landesteil hatte ein Amtstierarzt rund um die Uhr und auch am Wochenende Rufbereitschaft. Viehmärkte wurden noch genauer als sonst überwacht und alle Tierärzte, Landwirte und Tierhalter waren verpflichtet, jeden geringsten Verdacht umgehend bei der Bezirkshauptmannschaft und bei der Gemeinde anzuzeigen, betont Veterinärdirektor Franz Karner.

Peinliche BSE-Verwechslung

Als die Krise beinahe schon ausgestanden schien, trat der damalige Gesundheitsminister Herbert Haupt (FPÖ) am 7. Dezember 2001 vor die Presse und sagte: „Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir in Österreich einen hundertprozentigen BSE-Verdachtsfall haben.“ In einem Schlachtbetrieb im Bezirk Gmünd war ein Tier positiv getestet worden – ein Rind, das aus Groß-Höbarten stammt.

7.12.2001: Gesundheitsminister Haupt bestätigt ersten BSE-Fall in Österreich

Bevor dieser Ort in die Schlagzeilen kam, war es allerdings zu einer peinlichen Verwechslung gekommen, weil Tierproben vertauscht worden waren. Ein Betrieb aus dem Bezirk Melk wurde zunächst verdächtigt. Fast zwei Tage lang war der falsche Betrieb gesperrt. „Momentan glaubt man einfach, es ist aus, es geht nicht mehr weiter“, erzählte damals die betroffene Bäuerin. „An so etwas denkt man gar nicht“, ergänzte ihr Mann.

Selbst Staatsanwaltschaft schaltete sich ein

Doch auf Grund der vorhandenen DNA-Analyse der Gewebeprobe aus dem Gehirn bzw. der im Schlachthaus vorhandenen Häute konnte man die Probe schließlich dem richtigen Rind zuordnen, erinnert sich Karner. Tatsächlich dürften die Proben im Schlachthof vertauscht worden sein. Wie genau konnte auch die Staatsanwaltschaft nicht endgültig klären. Die Proben wurden von einem Tierarzt gezogen.

Der Schlachthofbesitzer wies damals jede Schuld von sich: „Es ist auszuschließen und unmöglich, dass unsere Mitarbeiter hier ein Verschulden treffen könnte.“ Doch Richard Pichler, damals Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Fleckviehzüchter betont: „Das sorgte für viel Wirbel, auch weil der betroffene Betrieb mitgewirkt hat, dass das nicht ganz koscher war.“

„Unglaubliche Schlamperei“

Der Verein gegen Tierfabriken (VgT) sprach damals von „einer unglaublichen Schlamperei in einem typisch österreichischen Schlachtbetrieb“. Immerhin hätten die Aktivisten schon im Frühjahr dokumentiert, wie in einem anderen Betrieb die Ohren samt Ohrmarken abgeschnitten und irgendwo abgelegt worden sein. Später nahm ein Schlachthausmitarbeiter von dort eines der Ohren, steckte es in einen Plastiksack und hängt das auf einen der Schlachtkadaver. Ein Zusammenhang mit den toten Tierkörpern ist so hinterher nicht mehr nachvollziehbar.

ZU APA 213 CI – Aktivisten des „Verein gegen Tierfabriken“ (VgT),  unter ihnen die GrŸne Abg. Madleine Petrovic wŠhren einer Protest-Kundgebung heute Vormittag am Stock im Eisenplatz in der Wiener Innenstadt.   APA-Foto: VgT
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Aktivisten des „Verein gegen Tierfabriken“ (VgT) während einer Protest-Kundgebung in der Wiener Innenstadt

Dass die Staatsanwaltschaft ermittle, bedeutete laut VgT auch, „dass kein einfacher Irrtum, sondern der Verdacht einer strafbaren Handlung vorliegt“. Trotz der vielen Ungereimtheiten konnte es jedoch den verantwortlichen Politikern „wieder einmal nicht schnell genug gehen, Entwarnung zu geben und von keinerlei Gefahr für die Konsumenten zu sprechen.“

Kritik übte der VgT auch daran, dass Gesundheitsminister Haupt davon sprach, dass in Österreich alle Tiere auf BSE überprüft werden. „Das ist unrichtig, denn die meisten Schlachtrinder erreichen nur das Alter von 15 bis 18 Monaten“, hieß es in der Aussendung. Getestet wurde aber erst ab 30 Monaten, weil vorher der Test angeblich nicht anspricht. Somit umfasse die vollzogene BSE-Test-Praxis nur einen geringen Teil der Schlachttiere bzw. des Risikos, war die damalige Kritik.

60 Tiere gekeult

Im Betrieb in Groß-Höbarten wurden als erste Maßnahme sofort alle Tiere gekeult. „Das Wissen über BSE war zunächst nicht so ausgeprägt“, weiß Karner. Später fand man heraus, dass nur die von der Krankheit befallenen Tiere getötet werden müssen, denn die Krankheit könne nicht durch Kontakt, sondern nur über die Nahrung übertragen werden. Anhaltspunkte, wie sich das Tier infiziert haben könnte, gibt es bis heute nicht.

2001: Starker Preisverfall belastet Landwirte

Die betroffene Kuh war mit 70 Monaten jedenfalls ein relativ altes Tier. Agrarlandesrat Josef Plank (ÖVP) meinte damals: „Wir müssen davon ausgehen, dass das Tier in die statistische Restwahrscheinlichkeit hineingefallen ist – Einzelfälle, wie wir sie momentan in ganz Europa antreffen.“ Laut Karner kann BSE nämlich auch durch eine spezielle Faltung in der Eiweißstruktur ausgelöst werden, „das ist aber nur bei älteren Tieren der Fall.“

„Rindfleisch war richtig verpönt"

Obwohl es in Niederösterreich letztlich nur eine Handvoll Fälle gab, war die gesamte Landwirtschaft im Export schon seit dem Jahresbeginn mit großen Einbußen konfrontiert. „Rindfleisch war damals eine Zeit richtig verpönt, denn die Leute hatten ja alle Angst"“, weiß Pichler, „man war bemüht, die Seuche so rasch wie möglich wieder loszuwerden.“ „Die Märkte standen still, viele Länder führten Sperren ein“, ergänzt Karner.

-APAJAE06 – 21062005 – WIEN -OESTERREICH:  ZU APA CI – Illustration zum Thema BSE: Rinderkšpfe im Fleischgro§markt Wien. (ARCHIVBILD) APA-FOTO:  HANS KLAUS TECHT
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Der Konsum von Rindfleisch war eine Zeit lang „richtig verpönt“, der Absatz für die Bauern brach stark ein

Die großen Befürchtungen, dass mit der von BSE befallenen Kuh „Lama“ auch Österreich tief in die grassierende BSE-Krise gezogen würde, bewahrheiteten sich aber nicht. Seither wurden nur acht weitere Fälle innerhalb der Landesgrenzen diagnostiziert. „Und es waren alles sehr alte Tiere“, sagt Karner. In Niederösterreich gab es den letzten Fall 2010, damals wurde BSE bei einem bereits toten Rind aus dem Bezirk Wiener Neustadt festgestellt.

„Wie ein Todesfall in der Familie“

Vielmehr blieb der Waldviertler BSE-Fall eine lokale Tragödie: Wenige Tage vor Weihnachten wurden der Familie alle Rinder auf amtliche Anordnung hin eingeschläfert. Erstmals musste das Fest der Liebe ohne Tiere im Stall begangen werden. „Das ist wie ein Todesfall in der Familie“, erklärte damals die Altbäuerin, merklich um Worte ringend.

Die Folgen der BSE-Krise sollten einige Bauern aber noch Jahre spüren, denn zehn Jahre lang fiel Österreich in die Risikostufe 2 („BSE unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen“), erst 2011 suchte die Republik beim Internationalen Tierseuchenamt (OIE) in Paris um den Status als Land mit vernachlässigbarem Risiko an.

2011: Landwirte aus dem Bezirk Gmünd klagen über Nachteile

BSE ist heute nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa kaum noch ein Thema. Das zeigt auch die Statistik: 2001 wurden 2.167 Fälle diagnostiziert, 2010 gerade einmal 44. „Alle Maßnahmen haben sich als sehr effektiv erwiesen“, resümiert Pichler, der von 2003 bis 2007 auch Obmann der Europäischen Vereinigung der Fleckviehzüchter war. Damit meint er das Fütterungsverbot für Tiermehl und die Entfernung von Risikomaterial, sprich Hirn und Rückenmark der Tiere.

„Schwergeburt“ sorgt für mehr Sicherheit

Mittlerweile würden Krankheiten bei Tieren generell besser überwacht bzw. spielt Tiergesundheit eine wichtigere Rolle. Höhepunkt war laut Pichler die Gründung des NÖ Tiergesundheitsdienstes im Jahr 1996 durch den damaligen Landesveterinär-Direktor Franz Karner. „Das war damals eine Schwergeburt, die Akzeptanz der Bauern und Tierärzte war enden wollend“, erzählt Pichler.

Grund war, dass die Tierärzte zunächst um ihr Geschäft fürchteten, wenn es weniger kranke Tiere gibt. Die Landwirte mussten fortan Kontrollorgane in ihren Betrieb lassen und dafür auch noch selbst bezahlen. Auch sie konnte man mit der Zeit aber überzeugen, vor allem weil solche präventiven Maßnahmen die wirtschaftlichen Risiken minimierten. „Es muss immer etwas passieren, damit etwas passiert", so Pichler.

Im Lehr- und Versuchsgut Oberholz der VeterinŠrmedizinischen FakultŠt der UniversitŠt in Leipzig wird ein Schwein mit einer Impfpistole geimpft, aufgenommen am 21.08.2009. Wissenschaftler und Studenten der FakultŠt nutzen die Einrichtung fŸr aktuelle Forschungsprojekte am Schwein. Unter anderem werden die Tiere stŠndig auf verschiedene Infektionen wie Schweinegrippe ŸberprŸft und gegen verschiedene Salmonellen und Viren geimpft. Foto: Waltraud Grubitzsch dpa/lsn +++(c) dpa – Bildfunk+++
dpa-Zentralbild
Mittlerweile achten Landwirte bereits früh auf die Gesundheit ihrer Tiere

Für Konsumenten sei das BSE-Risiko dank eines umfangreichen Testprogramms sehr gering, betonen die Experten. Im Vorjahr wurden insgesamt 18.614 Proben gezogen, von denen keine positiv war, 2010 waren es mehr als 200.000 mit zwei positiven Fällen. „Mit vereinzelten Fällen wird man immer wieder bei alten Tieren rechnen müssen“, so Karner, der aber keinen neuerlichen Ausbruch der Seuche erwartet.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 07.10.2022

Gegen Tiermehl-Verfütterung

Doch 2017 wurden die strengen Sicherheitsvorkehrungen in der EU wieder aufgeweicht. Weil kaum mehr Fälle vorkommen, ging man nicht nur von den flächendeckenden BSE-Tests ab, auch das Tiermehl-Verbot wurde gelockert. Seither darf es wieder verfüttert werden – zumindest an Fische, auch in Österreich. Bei Rindern, Schafen, Schweinen und Hühnern besteht das Tiermehlverbot hingegen weiterhin.

Pichler selbst warnt vor weiteren Lockerungen, wie sie auch für andere Tiere überlegt wurden. Österreich habe sich immer strikt dagegen ausgesprochen, die Verwendung von Tiermehl bei der Fütterung wieder zuzulassen, denn „das haben wir nicht notwendig. Das sind Wiederkäuer und da gibt es bessere Eiweißvorsorgemittel."