100 Jahre NÖ 2004 Ostöffnung Slowakei Tschechien Wolfsthal
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„100 Jahre NÖ“

Von der Todeszone ins Herz Europas

Durch den EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei 2004 ist Niederösterreich ins Herz Europas gerückt. Der Wirtschaftserfolg dieses historischen Schrittes ist unbestritten, grenzenlos zusammengewachsen ist man nicht. Es gibt aber positive Ausnahmen.

„Das war eine große Wende im Leben vieler Menschen“, erinnert sich Martin Varga. Heute lebt er in Wolfsthal (Bezirk Bruck an der Leitha), 2004 nur wenige Kilometer weiter östlich, in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. Für ihn und viele seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger sei es „das zweitwichtigste Ereignis“ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gewesen.

Gefeiert wurde das Ereignis nicht nur in Bratislava, sondern auch im österreichischen Vorort, Wolfsthal, das direkt an der Grenze liegt. Im Gegensatz zur aufstrebenden Hauptstadt drohte die kleinen Gemeinde am Rande Österreichs auszusterben, es gab nur noch 700 Einwohnerinnen und Einwohner.

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2004 hatte Wolfsthal gerade noch 700 Einwohner, der Ort drohte langsam auszusterben, weiß Bürgermeister Schödinger

Zwar gab es mit den Nachbarn schon „massive persönliche Kontakte“, wie Bürgermeister Gerhard Schödinger (ÖVP) erzählt – etwa zwischen einzelnen Organisationen, Vereinen oder den Weinbauern. Doch trotz der offenen Grenzen war es seit dem Zerfall der Sowjetunion nur „ein Leben nebeneinander, kein Gemeinsames, das große Zusammenwachsen hat noch gefehlt.“

Vereintes Europa mit zehn neuen Mitgliedsstaaten

Das „Nebeneinander“ sollte sich durch den EU-Beitritt Tschechiens und der Slowakei nun endgültig ändern. Am 1. Mai 2004 war – knapp 15 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ – das einst zerrissene Europa wieder fast vereint, als die Europäische Union an diesem Tag zehn neue Mitglieder aufnahm. Es war die größte Erweiterungsrunde in der Geschichte der EU. In den nun 25 Staaten feierten Millionen Menschen das Ereignis ausgelassen mit Feuerwerken und Konzerten.

So wurde auch an den Grenzen Niederösterreichs zur Slowakei und nach Tschechien gefeiert. Punkt Mitternacht wurde am Grenzübergang zwischen Raabs an der Thaya (Bezirk Waidhofen an der Thaya) und Jemnice die Europafahne gehisst. Grenzkontrollen gab es keine, stattdessen wurden entlang der Grenze gemeinsam Holzfeuer entzündet. „Auf diesen Augenblick habe ich immer gewartet“, erinnert sich ein Tscheche im ORF-Interview an diese Nacht.

1.5.2004: Kuriose Feiern entlang der Grenzübergänge

80 Kilometer weiter östlich wurde zwischen Poysdorf (Bezirk Mistelbach) und Mikulov ein Maistrich gezogen. Mit dem Weinviertler Brauch wurden heimliche Liebschaften öffentlich gemacht. Und zwischen Retzbach (Bezirk Hollabrunn) und Hnanice kamen mehr als 3.000 Besucherinnen und Besucher, um miteinander zu frühstücken. Trotz der Freude über den EU-Beitritt blieben einige realistisch: „Eine große Veränderung gleich nach dem Beitritt erwarte ich nicht, das braucht alles Zeit.“

Drei Länder, drei Kulturen, drei Identitäten

Mit einem Drei-Länder-Tag in Hohenau an der March (Bezirk Gänserndorf) und damit im Dreiländereck feierte das offizielle Niederösterreich am 1. Mai 2004 die vollzogene EU-Erweiterung. Der feierliche Akt in einem 1.000 Menschen Platz bietenden Festzelt wurde gemeinsam mit den Nachbarn Tschechien und Slowakei begangen, der ORF Niederösterreich übertrug live. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Ein Blick auf drei Länder – drei Kulturen – drei Identitäten“.

1.5.2004: Drei-Länder-Tag in Hohenau an der March

Als Vertreter der unmittelbaren Nachbarn Niederösterreichs, Tschechiens und der Slowakei traten beim Drei-Länder-Fest ehemalige Botschafter der beiden Länder ans Rednerpult. Jiri Grusa meinte, dass Humor eine der Eigenschaften sei, die von Tschechien ins größere Europa eingebracht werde. Die Slowakei sei „voll von Energie“, betonte Magda Vasaryova.

Die Rolle der Regionen in Europa bezeichnete Grusa, der auch ehemaliger Bildungsminister Tschechiens war, als „immer schon wichtig“. Selbst in Zeiten des „Eisernen Vorhanges“ sei der Kontakt „nie abgebrochen“. Sie habe „ein bisschen Tränen in den Augen“, gestand Vasaryova. „Wir waren 50 Jahre getrennt. Sie können sich nicht vorstellen, wie froh wir sind“, sagte Vasaryova, die 2004 slowakische Botschafterin in Warschau war, zum Vollzug der EU-Erweiterung.

„In keinster Weise interessiert“

„Für uns war die Grenze absolut Tabu", erinnert sich auch Schödinger, „wir sind nicht einmal in die Nähe gegangen.“ Man habe nichts gesehen, nichts gehört, „und es hat uns auch in keinser Weise interessiert.“ Und auch nach der Öffnung sei noch nicht viel passiert, die Unterschiede seien noch zu groß gewesen, meint der Ortschef: „Es gab nichts Ablehnendes, aber auch keine dicke Freundschaft.“ Das sei erst mit dem EU-Beitritt „ins Laufen gekommen“.

Der 1. Mai 2004 sei für die Menschen, die Regionen und für Europa deshalb ein historischer Tag, sagte der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) in seiner Festrede. Nachbarn würden zu Partnern, die Nachbarländer hätten wieder eine Perspektive. Der Tage werde jedenfalls in die Geschichtsbücher eingehen, meint Pröll, „aber es liegt an uns zu bestimmen, welche Geschichte in diesen Geschichtsbüchern dazugeschrieben wird.“

„Eiserner Vorhang“ teilt Europa

Mit dem Beitritt der zehn neuen Mitglieder festigte die EU ihre Position als damals zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Erde. Etwa 74 Millionen Bürgerinnen und Bürger kamen hinzu. In der EU lebten im Jahr 2004 fast 455 Millionen Menschen. Die Zahl der offiziellen Amtssprachen erhöhte sich von elf auf 20. Acht Staaten Mittel- und Osteuropas – Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien – sowie die zwei Mittelmeerinseln Malta und Zypern traten der Europäischen Union bei.

Grenzenlos und doch nicht

Ganz ohne Grenzen kam das neue Europa vorläufig aber nicht aus. Nach wie vor blieben die Personenkontrollen bestehen. Für die Ein- und Ausreise brauchte man also weiterhin einen Reisepass oder einen Personalausweis. Aber, und das ist neu: In Zukunft soll an der Grenze nach dem „one stop“-Prinzip kontrolliert werden. Man wurde also nur mehr einmal angehalten: Zunächst galt diese Regelung aber nur für die Slowakei.

Freier Personenverkehr, so wie innerhalb der bisherigen EU-Staaten, war noch Zukunftsmusik. Die Grenzen wurden von Grenzgendarmen und auch vom Bundesheer bewacht. Der Assistenzeinsatz an der slowakischen Grenze sollte die nächsten Jahre noch fortgesetzt werden. Auch beim Arbeitsmarkt blieb vorerst alles beim Alten: Für die nächsten sieben Jahre benötigten alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten wie bisher eine Arbeitsbewilligung für Niederösterreich.

2012: Zwei Länder, ein Arbeitsmarkt

Mit dem Beitritt der neuen EU-Staaten war es aber möglich, Waren für den persönlichen Bedarf zollfrei einzukaufen. Die bisher gewohnten Zollkontrollen fielen weg. Ein Freibrief für Schmuggler war das aber nicht, denn Beamte durchsuchten weiterhin fallweise an der Grenze oder im Landesinneren verdächtige Autos. Für Alkohol galten pro Kopf Limitierungen von 90 Litern Wein, 110 Litern Bier und zehn Litern Spirituosen. Beschränkungen gab es auch bei Zigaretten.

Optimistischer Osten, skeptischer Westen

Die osteuropäische Bevölkerung war im Jahr 2004 – was die Erwartungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung betraf – ungleich optimistischer als die EU-Bürgerinnen und -Bürger im Westen. Dort überwogen die skeptisch eingestellten Bewohnerinnen und Bewohner. In den neuen EU-Mitgliedsländern wurde eine möglichst große politische Integration befürwortet, in den Alten wurde lediglich die wirtschaftliche Zusammenarbeit gewünscht.

15 Jahre nach dem Fall des „Eiserner Vorhanges“ hatten die Österreicherinnen und Österreicher „sehr unterschiedliche Bilder“ von den ehemaligen Ostblock-Ländern und neuen EU-Mitgliedern. Durch die Jahrzehnte des Kommunismus sei viel Wissen über die gemeinsame Vergangenheit verloren gegangen, sagt Schödinger, vor allem auf österreichischer Seite. Oft hätten Vorurteile die Vorstellungen über die Nachbarländer dominiert.

Leben statt sterben

Doch in Wolfsthal erkannte man die Öffnung schon früh als Chance, und das durchaus im eigenen Interesse. Denn im Gegensatz zur aufstrebenden Hauptstadt Bratislava, „deren Entwicklung sich schon früh abzeichnete“, droht die kleinen Gemeinde am Rande Österreichs ja langsam zu verschwinden.

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Die slowakische Hauptstadt Bratsislava ist in Sichtweite von Wolfsthal

Noch im selben Jahr wurde etwa im Kindergarten eine slowakische Sprachförderung gestartet. „Es ging nicht darum, dass die Kinder super Slowakisch sprechen“, erklärt Schödinger, der selbst mit einer Slowakin verheiratet ist. Ziel sei es gewesen, „dass die Sprache für die Kinder später kein Fremdkörper ist“. Seither gibt es die slowakische Begleitsprache.

Doch das alleine hätte Wolfsthal damals nicht geholfen, gibt Schödinger zu, der 2005 Bürgermeister wurde. „Ich wusste, wenn es so weiter geht wie bisher, dann haben wir bald keine Schule, keinen Kindergarten, nichts mehr im Ort.“ Deshalb sei es „unbedingt“ notwendig gewesen, „irgendetwas zu unternehmen, um unsere Attraktivität zu steigern und unsere Gesellschaft zu verjüngen.“

Bauplätze locken Slowaken an

Als erste Maßnahme wurden deshalb auf zwei Hektar Grund 22 Bauplätze aufgeschlossen, und zwar nicht am Ortsrand, sondern mitten in der Gemeinde. Denn der Bürgermeister strebte immer die Durchmischung von angestammten Einwohnerinnen und Einwohnern und den Neuankömmlingen an, wie er selbst sagt. Die freien Bauplätze seien damals nur auf einer Tafel vor dem Gemeindeamt kundgetan worden.

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Wolfsthals Bürgermeister Schödinger ließ 22 Bauplätze aufschließen, die bei Slowaken gefragt waren

Besonders interessiert an den Baugründen zeigten sich slowakische Familien. „Der erste, der angefragt hat, war ein Einwohner unseres Nachbarstaates. Er wollte wissen, ob das auch für ihn gilt. Ich habe daraufhin gesagt, dass er natürlich genauso herzlich willkommen ist." Das sei der Startschuss gewesen, dass schließlich immer mehr Menschen aus der Slowakei einen Bauplatz erwerben wollten, schildert Schödinger. Selbst slowakische Medien waren über die Initiative überrascht und berichteten darüber.

Der alteingesessenen Bevölkerung sei diese Initiative nicht einfach zu kommunizieren gewesen, „aber ich habe versucht, über mehrere Jahre hinweg unserer Bevölkerung zu erklären, wo wir eigentlich hinwollen, warum wir das machen und es war unbedingt notwendig, irgendetwas zu unternehmen“. Schödinger hatte damals auch keine Mehrheit im Gemeinderat, „aber vielleicht war das auch gut, ich habe damals so viel wie noch nie geredet“.

Der „Knackpunkt“

Der „Knackpunkt“ war laut Schödinger schließlich der 20. Dezember 2007, als die östlichen Nachbarländer auch dem Schengenraum beitraten. „Das war die wirkliche Öffnung“, denn damit fielen auch die letzten Kontrollen zwischen den Staatsgrenzen weg. Am Grenzübergang Berg – der Nachbargemeinde von Wolfsthal – wurden damals symbolisch die Grenzbalken zerschnitten. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Slowaken schon längst in Wolfsthal angesiedelt.

APAHOG01 – 20122007 – PETRZALKA – SLOWAKEI – ZU APA-TEXT AI: Anlaesslich der Erweiterung des Schengen-Raumes um Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Polen, die drei baltischen Staaten und Malta finden am Donnerstag, 20. Dezember 2007, an der oesterreichischen EU-Aussengrenze zahlreiche Feiern statt. Bild zeigt: Premierminister der Slowakei Robert Fico (l) und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer beim Durchsaegen eines symbolischen Grenzbalkens am Grenzuebergang Berg/Petrzalka. APA-FOTO: GEORG HOCHMUTH
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Anlässlich der Erweiterung des Schengenraumes durchsägten der slowakische Premierminister Robert Fico (l.) und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) symbolisch den Grenzbalken am Grenzübergang Berg/Petrzalka

Initiativen, um die über Jahrzehnte getrennten Regionen entlang des Eisernen Vorhangs wieder zusammenzuführen, wurden seit 2004 auch vom Land gestartet – im Gesundheitsbereich etwa Kooperationen zwischen Spitälern oder das Gesundheitszentrum „Healthacross“ in Gmünd, im Tourismus etwa der „Iron Curtain Trail“, am Arbeitsmarkt oder zwischen den Blaulichtorganisationen.

„Doch eine Ebene darunter, in den Gemeinden vor Ort, hat es trotz aller Anstrengungen nicht so funktioniert“, betont Migrationsforscher und Historiker Niklas Perzi. Dort sei man noch nicht so zusammengewachsen, „wie man sich das damals gewünscht hätte. Die Erwartungen in der Politik waren und sind sicher andere“. Viele Einheimische würden die Region nach wie vor als „Entwicklungsland“ sehen, doch in Südböhmen sei etwa im Sommer kulturell „viel los, was im Waldviertel noch kaum wahrgenommen wird“.

Geteilte Stadt als Spezialfall

Ein Spezialfall sei die seit Ende der Monarchie geteilte Stadt Gmünd bzw. Ceske Velenice, die ebenfalls noch nicht wirklich zusammenwuchsen. Direkt hinter der österreichischen Grenze siedelten sich zwar eine Reihe an Nagelstudios und Frisören an, „diese Dienste nimmt man gern in Anspruch, aber das war es dann auch schon“, weiß Perzi, der hinzufügt, dass die Bevölkerung nach wie vor von Ressentiments geprägt sei.

2012: Reportage aus Gmünd fünf Jahre nach dem Schengen-Beitritt Tschechiens

Die Staatsgrenzen der beiden neugegründeten Republiken Österreich und Tschechoslowakei waren 1919 im Vertrag von Saint-Germain geregelt worden. Österreich als Verlierer des Ersten Weltkrieges musste den von den Alliierten und ihren Verbündeten vorgelegten Vertrag unterschreiben. „Die Tschechen haben uns dieses Gebiet weggenommen, wir müssen es uns wieder zurückholen“, hieß es bald von Politikern und in der Bevölkerung. Der Vertrag wurde als „Schandfriede“ bezeichnet.

Ansiedelung und Vertreibung

Knapp 20 Jahre später wurde das Gebiet tatsächlich „zurückgeholt“. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Velenice im Herbst 1938 an Gmünd angeschlossen. Die tschechischen Bewohner wurden gewaltsam vertrieben. Der Stadtteil wurde mit deutschsprachigen Menschen besiedelt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die Grenzen wieder hergestellt und die deutsche Bevölkerung gewaltsam aus Velenice vertrieben.

Doch auch viele Tschechen mussten ihre Häuser zurücklassen. Das tschechische Regime wollte möglichst wenige Menschen in der Nähe Österreichs haben, die noch eine Beziehung zu Gmünd hatten. Besiedelt wurde die Stadt mit Tschechen aus dem Landesinneren. 1951 wurde die Grenze mit dem Eisernen Vorhang befestigt. Wer aus der Tschechoslowakei nach Österreich fliehen wollte, drohte erschossen zu werden.

Health Across Gesundheitszentrum
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Das grenzüberschreitende Gesundheitszentrum Healthacross in Gmünd wurde 2021 eröffnet

„Diese Geschichten haben wir auch“, entgegnet Wolfsthals Bürgermeister Schödinger, aber mit regelmäßigen und gemeinsamen Treffen, Diskussionen und Ausflügen in die ehemaligen Orte seien diese „sehr gut“ abgebaut worden, auch wenn dabei „Wunden aufgerissen wurden“. Deshalb sei auch nach der Öffnung nicht sofort „die große Liebe in die Slowakei ausgebrochen“, aber im Rückblick könne man sagen, „es hat uns sehr gut getan“.

Wohnqualität und günstige Preise

Mittlerweile sind mehr als 40 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner in Wolfsthal slowakische Staatsangehörige. Einer davon ist Martin Varga. 2014 zog er mit seiner Familie wegen der besseren Wohnqualität und der niedrigeren Grundstückspreise nach Niederösterreich – ins von Bratislava sieben Kilometer entfernte Wolfsthal. Er lebt nicht nur hier, er engagiert sich auch politisch und ist mittlerweile Gemeinderat der ÖVP.

Auch der Ort konnte von den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern profitieren, denn mittlerweile sei im Kindergarten keine Rede mehr von einer Schließung, im Sportverein gibt es derzeit 80 Kinder. Derzeit leben hier etwa 1.300 Menschen, maximal 1.500 sollen es werden. „Die Gemeinde soll sich bei dieser Größe einpendeln und alle Einwohner sollen hier gut und gemeinschaftlich miteinander leben können“, sagt der Bürgermeister.

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Von der Schließung des Kindergartens ist in Wolfsthal mittlerweile keine Rede mehr

„Die Grenzöffnung und das Inkrafttreten des Schengenraums haben uns geholfen, dass wir wieder mehr Einwohner in Wolfsthal haben“, erklärt Bürgermeister Schödinger die zwei wichtigsten Faktoren für die neuen Entwicklungen. „Natürlich musste anfangs sehr viel Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung geleistet werden, denn viele im Ort waren skeptisch“, erzählt er.

Heute sehen aber die meisten in Wolfstahl den Zuzug positiv, es habe sich gut entwickelt, wird gegenüber noe.ORF.at versichert. „Von den Eltern her würde ich sagen, der Großteil lernt sehr wohl Deutsch im Ort, es sind auch sehr viele Zuzügler, die schon sehr gut Deutsch können. Englisch ist Standard bei ihnen, also die Kommunikation funktioniert ganz gut“, schildert Sabine Rieppl. Sie ist selbstständige Unternehmerin und wohnt mit ihrer Familie in Wolfsthal.

Bestehende Hindernisse

In den anderen Grenzregionen sei gerade die Sprachbarriere das größte Hindernis. Im Gegensatz zu Kärnten oder Tirol, wo in den Schulen Slowenisch oder Italienisch unterrichtet wurde und wird, war Tschechisch oder Slowakisch am Eisernen Vorhang kein Thema, sagt Perzi, „weil es nicht notwendig war“. Doch auch mehr als 30 Jahre nach dem Fall gebe es nur wenige Ausnahmen – mit der Folge, dass „auch weiterhin kein Bevölkerungsaustausch möglich“ ist.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 17.10.2022

Mehr Integration könne – neben sprachlichen Fortschritten – nur über die Gemeinden bzw. Vereine vor Ort geschehen, ist Perzi überzeugt. Und Bürgermeister Schödinger ergänzt, dass bei lokalen Politikern oft „kein Mut“ vorhanden sei: „Wenn ich etwas umsetzen will, muss ich meine Vorstellungen in die Bevölkerung bringen und erklären, warum ich das mache.“

Zwischen Österreich und der Slowakei würde man die Staatsgrenze heute „gar nicht mehr registrieren“, erzählt Schödinger stolz. Trotz so mancher medialer und politischer Forderungen, man sollte Grenzzäune kaufen und erhöhen – „das sind sinnlose Aussagen“ – betont der Bürgermeister: „Für meine Kinder und mich ist die europäische Integration die Chance unseres Lebens und ich möchte sie deshalb keine einzige Minute missen.“