47. Tischtennis WM, Weltmeisterschaft, Palais Omnisport Paris Be
Dominic Ebenbichler
Dominic Ebenbichler
„100 Jahre NÖ“

Ein Ballkünstler verzaubert die Sportwelt

Es war eine für Österreichs Sport historische Leistung: 2003 krönt sich Werner Schlager völlig unerwartet zum Tischtennis-Weltmeister. Es folgte eine schier unglaubliche Popularität in China. Heute übt er auch Kritik an den Entwicklungen im Sport.

25. Mai 2003: Werner Schlager reißt die Hände in die Höhe, der Schläger fällt ihm aus der Hand, die Sensation ist perfekt. Im Hintergrund bricht im Palais Omnisport in Paris-Bercy tosender Jubel aus. Das Publikum – 13.000 Zuschauerinnen und Zuschauern – ist nicht länger auf den Sitzen zu halten und würdigt den Sieger mit Standing Ovations.

Schlager hatte sich soeben, nach hart umkämpften sechs Sätzen und mit einem 4:2-Erfolg gegen den Südkoreaner Joo Saehyuk, zum Tischtennis-Einzelweltmeister gekürt. Dass er damit Sportgeschichte geschrieben hatte, war bereits wenig später klar. Schlager war seit Richard Bergmann 1937 der erste Österreicher, dem das gelang. Und noch heute ist er der letzte nicht-chinesische Tischtennis-Weltmeister.

2003: Werner Schlager schreibt Sportgeschichte

„Jedem wieder einmal gezeigt“

Mit 31 Jahren stand Schlager damals am Höhepunkt seiner Karriere. In seinem Gesicht war eine Mischung aus Freude und Unglauben abzulesen. „Ich kann mit meiner Leistung glaube ich mehr als zufrieden sein“, sagte der Wiener Neustädter nur trocken in einer ersten Reaktion direkt nach dem Sieg und ergänzte: „Ich habe es jedem wieder einmal gezeigt.“

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Werner Schlager (AUT) Achtung – Nutzungsrechte nur fuer oesterreichische Kunden – ATTENTION – COPYRIGHT FOR AUSTRIAN CLIENTS ONLY
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Werner Schlager überraschte bei den Weltmeisterschaften 2003 die Tischtennis-Welt
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Mehrmals stand er bereits vor dem Aus, …
Werner Schlager (AUT) Achtung – Nutzungsrechte nur fuer oesterreichische Kunden – ATTENTION – COPYRIGHT FOR AUSTRIAN CLIENTS ONLY
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… doch u.a. mit neuen Service-Varianten kämpfte er sich zurück ins Spiel
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Dominik Ebenbichler
Die Sensation ist perfekt, Schlager Weltmeister
Trainer Ferenc Karsai, Werner Schlager (AUT), Jubel Achtung – Nutzungsrechte nur fuer oesterreichische Kunden – ATTENTION – COPYRIGHT FOR AUSTRIAN CLIENTS ONLY
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47. Tischtennis WM, Weltmeisterschaft, Palais Omnisport Paris Be
Dominik Ebenbichler

„Ich rate jedem, die erste viertel Stunde nach einem Match nicht den Mund aufzumachen“, sagt Schlager heute, weil in diesem Moment „so viele Emotionen drinnen liegen“, die das eigene Weltbild verfälschen und missverstanden werden können. Bei seiner Aussage damals habe aber auch mitgeschwungen, dass der Tischtennis-Sport in der Öffentlichkeit nicht so angesehen war, „wie man das gerne hätte“ und ihm ab der Schulzeit auch immer wieder Steine in den Weg gelegt worden waren.

Vom Zuschauer zum Sportler

Der Grundstein zu seinen späteren Erfolgen legte Schlager schon im Alter von nur fünf Jahren. Zum Tischtennis sei er über seinen Vater gekommen, der Hobbyspieler war, erzählt er: „Der kleine Werner wollte Zeit mit seinem Vater verbringen und ich habe ihn begleitet.“ Schnell sei damals aber klar geworden, dass Schlager „recht gut“ spielt, ebenso wie sein Bruder Harald. Daraufhin konzentrierte sich sein Vater auf die Förderung seiner Söhne.

1988: Ein Bundesligist verstärkt sich mit Werner Schlager

Weil das Geld für einen Tischtennistisch fehlte, zimmerte Schlagers Vater selbst einen zusammen. Einige Monate wurde darauf trainiert, „bis das Geld für einen halbwegs guten, gebrauchten Tisch gereicht hat, der nicht immer zusammengefallen ist“, erinnert sich der heute 50-jährige Werner Schlager. Er entwickelte sich schnell zu einem der besten Nachwuchstalente und war schon als Jugendlicher unter den besten zwölf Spielern Europas.

Raffinierter Taktiker

Bei der Jugend-Europameisterschaft 1989 in Luxemburg gewann Schlager Silber. In den 1990er Jahren war er regelmäßig bei Weltmeisterschaften und auf der Pro Tour im Einsatz. Sein erstes großes Ausrufezeichen setzte Schlager bei der WM 1999, als er Dritter wurde. Schlager galt als raffinierter Taktiker und gefährlicher Aufschläger. Sein Spielstil war ruhig, fokussiert, konzentriert und für seine Gegner oft schwer auszurechnen.

Karl Jindrak, Werner Schlager (beide AUT)
Daniel Raunig
Werner Schlager 1997 bei den Austrian Open mit seinem langjährigen Doppelpartner Karl Jindrak

In Paris 2003 machten sich diese Eigenschaften bezahlt. Schlager nahm eine Hürde nach der anderen, während der Deutsche Timo Boll – die damalige Nummer eins der Welt – bereits in Runde zwei ausschied. „Alles starke Spieler, aber keiner, bei dem ich gesagt hätte ‚Gegen den spiele ich nicht gern‘“, erinnert sich Schlager daran, dass es keinen „Angstgegner“ gegeben habe. Das Publikum hatte den Niederösterreicher schnell ins Herz geschlossen.

Im Viertelfinale vor dem Aus

Doch auf dem Weg ins Finale stand Schlager mehrmals vor dem Aus. Im Viertelfinale lag er gegen den chinesischen Titelverteidiger Wang Liqin 1:3 zurück und musste beim Stand von 6:10 gleich vier Matchbälle abwehren. „In so einer schlechten Position darf man aber nicht nachdenken, was passieren kann, sonst ist es vorbei.“ Stattdessen habe er nur gedacht: „Wie schaffe ich den nächsten Punkt.“

Schlagers krimireicher Weg zum WM-Titel

Und das mit Erfolg. Der stoisch ruhige Schlager kämpfte sich zurück und gewann am Ende noch mit 4:3. Danach zeigte auch der sonst so ruhige Niederösterreicher Emotionen – eine „Achterbahn der Gefühle“, wie Schlager heute sagt. Im Rückblick sei es zwar „fast nicht nachvollziehbar, wie ich das damals geschafft habe.“ Doch es war der Grundstein für den späteren Erfolg: „Jetzt ist alles möglich.“

Der nächste Krimi im Halbfinale

Doch schon im Halbfinale folgte mit dem amtierenden Olympiasieger Kong Linqhui der nächste chinesische Gegner – und erneut ein wahrer Krimi. In entscheidenden siebenten Satz hatte Schlager zunächst zwei Matchbälle, dann musste er selbst einen abwehren. Schließlich nutzt er seinen dritten Matchball zum Sieg.

Eine wesentliche Rolle habe damals auch seine junge Liebe zu seiner heutigen Frau gespielt, erinnert sich Schlager: „Meine Gedanken haben sich vor allem darum gedreht, wann ich meine Freundin wiedersehe, wann wir Zeit zusammen verbringen können.“ Das habe ihm Druck genommen und die Sicherheit gegeben, „angstfreier zu spielen“, denn „egal wie das Match ausgeht, es wartet die große Liebe.“ So habe er zum richtigen Zeitpunkt die richtige Leistung abrufen können.

Favorit im Finale

In das Finale gegen den zweiten Überraschungsspieler, den Südkoreaner Joo Saehyuk, sei er dann erstmals „als Favorit hineingegangen“, erinnert er sich. Der Grund: Saehyuk war als Defensiv-Spieler gefürchtet, mit Chen Weixing hatte Schlager aber einen Teamkollegen mit einem ähnlichen Spielstil. Der Österreicher war also perfekt auf seinen Finalgegner vorbereitet.

Die österreichische Delegation erlebte das Finale jedenfalls live und hautnah vor Ort mit. Der damalige Sportdirektor, Hans Friedinger, setzte alle Hebel in Bewegung, um für das Finale eine Loge zu ergattern. „Wir haben eine Unsumme dafür bezahlt“, erinnerte sich Schlagers langjähriger Doppelpartner, Karl Jindrak, vor wenigen Jahren. Das Geld machte sich allerdings mehr als bezahlt, denn schließlich wurde man Augenzeuge eines historischen Triumphes.

Schlager gewann mit 4:2 und brachte nicht nur sich, sondern auch den heimischen Tischtennis-Sport in die Schlagzeilen. Zugleich bedeutete der Sieg auch den Sprung an die Spitze der Weltrangliste. Im selben Jahr wurde Schlager zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt. Und er wurde sogar mit einer eigenen Briefmarke geehrt. Es war die erste, die – mit Ausnahme von Staatsoberhäuptern – einer lebenden Person gewidmet wurde.

Werner Schlager mit seiner Schlager-Briefmarke September 2003 im Haus des Sports in Wien
APA/Günter R. Artinger
Werner Schlager wurde sogar mit einer eigenen Briefmarke geehrt

Von seiner Heimatstadt habe er einen Rundflug um Wr. Neustadt und eine Sachertorte bekommen, erinnert sich Schlager. In der breiten Bevölkerung sei der Erfolg „nicht so erkannt“ worden, meint er. Im Rückblick habe das aber auch Positives, weil er in seiner Heimat ein normales Leben leben konnte. „Das war wichtig, um nicht abgehoben zu wirken und am Boden zu bleiben.“ Speziell nach seinen Auftritten in China, „denn so wie die umgingen, war es schwierig nicht die Bodenhaftung zu verlieren.“

Roter Teppich in China

In China, wo Tischtennis Volkssport ist, wurde Schlager zum Topstar. „Wir sind auf Händen getragen worden, am Flughafen wurde ein roter Teppich ausgerollt, die Ampeln umgeschaltet, das war wie ein Staatsbesuch“, erzählt Schlager. Eine tolle Erfahrung sei das gewesen, die seinem jungen Ego „natürlich geschmeichelt“ hat. Schlager wurde dadurch auch zu einer Werbeikone im Reich der Mitte.

31.5.2003: Werner Schlager wird in seiner Heimat empfangen

„Wenn ich nicht Weltmeister geworden wäre, wäre es für mich jetzt wesentlich schwieriger“, sagt Schlager über seine Einkünfte, denn die CoV-Pandemie sorgte für eine Zäsur. 2021 wurden die Kontrakte von den Chinesen nicht mehr verlängert. „Die Pandemie hat mich da voll getroffen. Natürlich lebe ich noch von meinen Sponsoren und Auftritten, aber es ist jetzt nicht mehr die goldene Zeit.“

Der leise Abschied

Der WM-Erfolg sollte aber kein Einzelfall bleiben. Auch danach folgten mehrere Titel bei Europameisterschaften, bei Euro-Top-12-Turnieren und 2008 in der Champions League mit seinem Verein SVS Niederösterreich. Doch ausgerechnet bei der Heim-EM in Schwechat 2013, in der von ihm gegründeten „Werner-Schlager-Academy“, musste der Sportler zuschauen. Zu belastend seien damals die Streitigkeiten über Fördergelder gewesen, sagt er. Das war das leise Ende seiner Karriere.

Seither habe sich die Situation im Tischtennis verändert. Schlager sieht sich deswegen nur noch selten Matches an: „Es reizt mich nicht mehr, es gibt nichts Neues. Alles, was es jetzt gibt, habe ich schon gesehen. Ich würde mir wünschen, dass im Tischtennis viel mehr Kreativität aufpoppt.“ Die International Table Tennis Federation (ITTF) habe jedoch schon zu seiner aktiven Zeit begonnen, das Spiel zu vereinfachen und gleichmäßiger zu machen.

100 Jahre NÖ 2003 Tischtennis Schlager WM Sieg
ORF
Ausgerechnet bei der Heim-EM 2013 in der von ihm gegründeten „Werner-Schlager-Academy“ war Schlager nur Zuschauer

„Spiel ist fader geworden“

„Sie haben die Bälle größer gemacht, das Service entschärft, das Zählsystem verändert“, zählt Schlager beispielhaft auf. Dadurch sei die Vielseitigkeit eingedämmt worden. „Das hat alles dazu beigetragen, dass der Sport uniformer wird. Er ist nicht mehr so interessant, das Spiel selber ist fader geworden.“ Schlager rät zum Gegensteuern, etwa zur Zulassung anderer Materialien. „Damit es wieder attraktiver wird, damit die Leute wieder die Vielseitigkeit dieses Sports bewundern können.“

Heute widmet sich Schlager vor allem dem Mentoring, etwa von Felix Wetzel, der bei Vizemeister Wiener Neustadt spielt. Selbst greift Schlager nur noch selten zum Schläger. Und wenn er es dann „selten, aber doch“ im Training noch einmal wissen möchte, „dann sind die nächsten drei Tage zum Vergessen“, sagt er. Der Körper würde einem mit einem gewissen Alter „schnell die Grenzen aufzeigen.“

Ein Herzensprojekt scheitert

Ein Engagement in der Funktionärswelt des Europa-, Welt- oder heimischen Verbands ergab sich bisher nicht. Jedoch startete Schlager einige Jahre nach dem WM-Erfolg, 2009, mit einem Partner in Schwechat das Projekt „Werner Schlager Academy“ (WSA) und hatte dort die sportliche Leitung der im Hallenkomplex Multiversum integrierten Ausbildungs- und Trainingsstätte internationalen Formats über.

2011: Werner Schlager präsentiert Jugend-Nachwuchszentrum

Ziel sei es gewesen einen Bereich der Jugendförderung abzudecken, der vom Verband nicht umfasst war, etwa die Lücke zwischen Jugend- und Profisport, so Schlager. Und so ein Zentrum täte dem Tischtennis-Sport auch heute gut, nicht nur in Österreich sondern weltweit. „Doch das war leider politisch nicht gewollt“, sagt Schlager. Das vom Weltverband als Hotspot ausgezeichnete Trainingszentrum gibt es nicht mehr.

Finanzierungslücken läuteten das Ende der WSA ein. Sie meldete 2015 Insolvenz an und beendete 2016 den Betrieb. Beim WSA-Projekt sei er „sehr gekränkt und abgewatscht worden. Ich habe mein Lehrgeld zahlen müssen.“ Nachfolgend wurden ihm Untreue und Betrug vorgeworfen.

Gerichtsverfahren belastet Schlager

Im November 2021 begann diesbezüglich ein Prozess wegen mutmaßlichen Förderbetrugs. Schlager sagte aus, er habe sich bei dem Großprojekt weder mit Finanzierungsfragen noch Förderanträgen befasst und sei damals in erster Linie Leistungssportler gewesen. Zwar gab es für ihn im Frühjahr 2022 einen Freispruch, dass die Urteile in dem zu Beginn gegen zwölf Angeklagte gerichteten Verfahren noch nicht rechtskräftig sind, belaste jedoch ihn und seine Familie.

Multiversum-Prozess in Wien
APA/GEORG HOCHMUTH
Der Prozess wegen angeblichen Förderbetrugs, der im Frühjahr mit Freisprüchen endete, war für Schlager belastend

Die Verhandlung war für Schlager „ein Wahnsinn, eine Katastrophe“. Er habe dabei aber auch wichtige Erfahrungen machen dürfen, die er nicht missen wolle: „Die haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich jetzt bin. Jetzt halte ich sicher mehr aus und bin wesentlich erfahrener als noch vor zehn Jahren. Ich bereue es gar nicht, dass ich die Entscheidung getroffen habe, das zu probieren."

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Vormittag“, 14.10.2022

Hobby- statt Spitzensport

Seine Liebe zum Tischtennis gab er längst an seine Kinder weiter, doch im Gegensatz zu ihm sollen sie keine Spitzensportler werden. „Weil der Durchbruch bei den wenigsten klappt und ich weiß, wie viel Druck und Leid damit verbunden ist, um Leistungssport wirklich ernst zu nehmen.“ Viel wichtiger sei ihm deshalb, dass seine Kinder Sport mit Spaß verbinden.

„Ich habe im Keller einen Tisch mit einem Roboter aufgestellt. Wenn sie daran Spaß haben, lasse ich sie ein paar 100 Bälle spielen.“ Dabei werden bei Schlager manchmal Erinnerungen wach, wie er und sein Bruder Harald am Dachboden mit ihrem Vater trainierten – und der Weg zu WM-Gold begann.