APAGIN12 –  23062007 – GRAFENEGG – OESTERREICH:  Mit einer Sommernachts-Gala ist am Freitagabend, 22. Juni 2007, die Open-Air-Konzertarena „Wolkenturm“ im Schlosspark Grafenegg offiziell eroeffnet worden.!!BILDER SIND BEI NENNUNG DES URHEBERS HONORARFREI!! APA-FOTO: PHILIPP HORAK/GRAFENEGG
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„100 Jahre NÖ“

Die Premiere einer visionären Kampfansage

Ein historisches Schloss, ein malerischer Park und eine Open-Air-Bühne – das sind die Grundzutaten, die seit 2007 die großen Opernstars nach Grafenegg bringen. Der Anfang war mit einer klaren Vision, vielen Fragezeichen und skurrilen Bühnenplänen verbunden.

„Heute Abend schwebe ich auf alle Fälle auf Wolken“, sagte Tassilo Metternich-Sandor, Schlossherr in Grafenegg (Bezirk Krems) bei der Eröffnung der Open-Air-Konzertarena Wolkenturm im Juni 2007. Und das, obwohl die Premiere der Sommernachtsgala von einem heftigen Wolkenbruch begleitet wurde.

Pünktlich zu Beginn hatte teils starker Regen eingesetzt und bis zum Ende angehalten. Die Pelerine war im Schlosspark Grafenegg das „Kleidungsstück des Abends“ der 1.670 Gäste. So manche Besuchende meinten, dass offensichtlich der Wolkenturm falsch verstanden wurde. „Da sind ein paar zu viele Wolken da“, sagte etwa der damalige Generaldirektor der Raiffeisen Zentralbank, Walter Rothensteiner.

In Spiellaune

Trotz strömenden Regens ließen sich davon weder Besucherinnen und Besucher noch Künstlerinnen und Künstler beirren, die Veranstaltung ging reibungslos über die Bühne. Die Akustik erfüllte alle Erwartungen. Alfred Eschwe am Dirigentenpult ließ das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich mit Schwung und Präzision aufspielen. Nach einer Schar erlesener Solisten zeigte sich auch Rudolf Buchbinder, Intendant des Musikfestivals Grafenegg, in schönster Spiellaune.

2007: Ein Wolkenbruch eröffnet den Wolkenturm

Der Weg dorthin war weit und mit vielen Baustellen verbunden – im wahrsten Sinn des Wortes. Die begannen bereits nach dem Zweiten Weltkrieg bzw. nach der Zeit der russischen Besatzung 1955, erklärt Metternich-Sandor – „in der Grafenegg schon sehr, sehr gelitten hat, das war danach eigentlich eine Ruine.“

„Was mache ich mit dem Kasten?“

Das 1294 erstmals urkundlich erwähnte Schloss Grafenegg war über Jahrhunderte hinweg Sitz edler Herren und zu deren Vergnügen gehörten auch musikalische Darbietungen. Öffentliche Vorstellungen gab es allerdings erst in den 1970er Jahren. „Mein Vater überlegte damals ‚Was mache ich mit dem Kasten.‘“ Als Wohnhaus war das Schloss „nicht mehr zeitgemäß“, so Metternich-Sandor. Es war in schlechtem Zustand, „er wollte aber eine sinnvolle und langfristige Nutzung finden“.

Schloss Grafenegg
Alexander Haiden
Das Areal rund um Schloss Grafenegg wird seit Anfang der 1970er Jahre kulturell genutzt

Gerhard Großberger, Gutsverwalter von Grafenegg, überzeugte damals den Schlossbesitzer Franz Albrecht Metternich-Sandor, den Vater von Tassilo Metternich-Sandor, von seiner Idee, Konzerte in Grafenegg zu veranstalten. In kleiner regionaler „und amateurhaften Art und Weise“ traten immer wieder Künstlerinnen und Künstler auf, das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich tritt ebenfalls seit damals in Grafenegg auf.

Ab 1976 fand alljährlich auch der Grafenegger Advent statt. Konzerte wurden in den Folgejahren etwa im Gartensaal oder in der Reitschule gespielt. Unter anderen war auch Rudolf Buchbinder damals einer der Protagonisten der Konzerte. „Aber das alles war privat organisiert“, so Schlossherr Metternich-Sandor und für die Zukunft „wäre das einfach zu aufwendig geworden“.

1977: Ein besinnlicher Advent im Schloss Grafenegg

Zugleich waren rund um die Jahrtausendwende größere Investitionen notwendig, „die für Private keinen Sinn gemacht haben“. Eine „glückliche Fügung“ sei es damals gewesen, dass zu diesem Zeitpunkt das Land seine kulturelle Strategie weiterentwickeln wollte. Denn das Ziel der Eigentümerfamilie sei immer gewesen, die Kultur fortzuführen, „die Frage war nur wie und in welcher Form“.

Die Grundsteine für „den heutigen Erfolg“ waren damals laut Metternich-Sandor viel Vertrauen und eine große Vision: „Denn dort, wo heute der Wolkenturm steht, war eine Wiese mit einer Senke drinnen.“ Und trotzdem sollte auf diesem Areal etwas Großes entstehen.

1998: Ein Schlosskonzert in Grafenegg

Einstimmig für Kulturzentrum

Anfang des Jahres 2005 stand das Schloss Grafenegg im Mittelpunkt der Landtagssitzung. Der Antrag eines Generalkonzepts, die Anlage zu einem internationalen Kulturzentrum auszubauen, wurde von allen Fraktionen unterstützt. 13 Millionen Euro sollten dabei vor allem in den Ausbau und die Verbesserung der Infrastruktur bzw. des 31,6 Hektar großen Schlossparks investiert werden.

Laut den visionären Plänen, wie Metternich-Sandor sagt, sollte bereits im Jahr 2007 das Schloss Kulisse für ein internationales Musikfestival werden. Außerdem werde das Schloss als Sommerresidenz für die NÖ Tonkünstler genützt. Verantwortlich für die Umsetzung des Konzeptes war und ist die Grafenegger Kulturbetriebsgesellschaft, der der Schlossherr und die Kulturabteilung des Landes angehören.

Rudolf Buchbinder, Schloss Grafenegg, Copyright www.peterrigaud.com
Peter Rigaud
Starpianist Rudolf Buchbinder gilt als wichtiger Impulsgeber und Erfolgsgarant

Der Erfolgsgarant

Ein wichtiger Impulsgeber und Erfolgsgarant sei damals die künstlerische Leitung durch Starpianist Rudolf Buchbinder, einer der prominentesten Repräsentanten heimischer Musikkultur, gewesen, unterstreicht der Schlossherr: „Er hatte die Kontakte in die internationale Musikwelt, sodass auch Künstler, die wir uns erhofft hatten, bereit waren zu kommen.“

Ziel war es damals immerhin, Schloss Grafenegg als international konkurrenzfähiges Pendant zu den Festspielen in Wien oder Salzburg zu etablieren. Das Projekt unterstrich auch das Selbstbewusstsein des Landes. Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP), der damit in Europa auf kultureller Ebene „ganz vorne mitspielen“ wollte, sah Buchbinder als einen „ganz wesentlichen Faktor für das Festival“.

2006: Die Pläne für das Musikfestival

„Höchste Qualität“ strebte auch der Starpianist für das internationale Musikfestival an. Auf ein Festivalmotto verzichtete Buchbinder aber bewusst: „Die oberste Maxime ist allerhöchste Qualität. Ich will die Musiker nicht in eine Zwangsjacke stecken.“ Grafenegg soll eine Ergänzung für alle anderen Kulturstandorte im Land werden, man wolle sich nicht „zu Tode konkurrieren“, so der Landeshauptmann.

„Garantiere, hier wird eine Bühne sein“

Der weltweit bekannte Name Buchbinders erwies sich gerade am Anfang als notwendig. Metternich-Sandor erinnert sich an mehrere Besuche von großen Orchestern aus den USA und Großbritannien: „Die standen auf der grünen Wiese, wir haben gesagt, hier werdet ihr spielen, und sie haben nur komisch geschaut.“ Doch Buchbinder habe damals gesagt: „Ich garantiere euch, hier wird eine Bühne sein.“

Die Frage war nur, auf welcher Bühne? Etwa 15 Konzepte wurden damals eingereicht, manche davon muteten auch etwas skurril an, wie der Schlossherr zugibt: Manche wollten „das hinten im Park verstecken oder vollkommen vergraben“. Eine Bühne sollte gar „mit einem Deckel“ geplant werden, „der zugeklappt werden kann, wenn die Bühne nicht genutzt wird“.

Eine einzigartige Bühne

Letztendlich wollte man aber eine Bühne, „die sichtbar ist und selbstbewusst dasteht“. Wie eben der Wolkenturm – eine bis zu den Baumwipfeln ragende Open-Air-Bühne im antiken Stil, entworfen von den Architekten Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs. Dem Publikum – der Komplex bietet fast 1.700 Sitzplätze und 400 Rasenplätze – wurde eine „eindrucksvolle Atmosphäre“ versprochen.

Grafenegg Wolkenturm
ORF.at/Gerald Heidegger
Der Wolkenturm gilt wegen seiner Architektur und Akustik als einzigartig

Die ansteigenden Terrassen der Zuschauertribünen und die Rückwand des Bühnenraums gehen fließend in die Böschung des Parkes über. Ein luftiger Solarkörper wird zum Überbau für die neue Open-Air-Bühne. Nach dem Motto „Wie man sieht, so hört man“ soll der Besucher, die Besucherin das Gefühl haben, im Park zu sitzen, und akustisch – durch Direktschall ohne elektronische Verstärkung – ein erstklassiges Hörerlebnis geboten bekommen.

Beim Konzept sei darauf geachtet worden, dass die Anlage „als Teil des Parks“ im Endausbau betrachtet werden könne. Auch galt es zu berücksichtigen, dass sich „ein Solist nicht auf der Bühne verirrt“, gleichzeitig aber „auch große Auftritte“ möglich sind, erläuterte Fuchs. Die Gesamtkosten bezifferte Pröll damals bereits mit fünf Millionen Euro für die Errichtung des Wolkenturms, 15 bis 20 Millionen Euro für die Neue Reitschule und drei Millionen Euro als Festivaletat.

Schloss als Stil-„Mischmasch“

Das Schloss entspricht – im Gegensatz zur antiken Bühne – seit dem 19. Jahrhundert dem romantischen Historismus. Trotzdem passt für Metternich-Sandor alles zusammen, denn das Schloss sei ohnehin „nicht aus einem Guss, sondern ein Mischmasch an Stilen“ – von Renaissancetürmen über barocke Pavillons, gotische Mühlen und Biedermeierhäusern. Der Wolkenturm sei somit „kein Bruch, sondern eher eine Fortsetzung der Tradition, dass immer etwas dazukommt“.

100 Jahre NÖ 2007 Grafenegg
Das Schloss bzw. das Areal ist laut dem Schlossherren ein „Mischmasch“ an verschiedenen Stilen

Von Anfang an gab es rund um das Projekt aber auch Kritiker und Zweiflerinnen. Der Schlossherr erinnert sich vor allem noch an das „riesige Loch“ im Boden. Viele der Spaziergängerinnen und -gänger im Park seien damals am Bauzaun gestanden und hätten den Kopf geschüttelt. Selbst Metternich-Sandor konnte sich das alles nicht so richtig vorstellen: „Wenn man kein Architekt ist, dann können Sie noch so viele Bilder und Animationen sehen, richtig vorstellen können Sie es sich nicht.“

Wird das tatsächlich fertig?

Immer wieder kamen Fragen: "Wird das tatsächlich fertig? Gelingt es in der geplanten Zeit? Und schafft es auch die akustischen Voraussetzungen? Doch als sich das Loch rund um die Bühne langsam wieder schloss, „war eine erstaunliche Begeisterung für das Objekt und damit auch für das Projekt da, was ich so nicht erwartet habe“.

Baustelle Wolkenturm Grafenegg
Grafenegg
Die Bauarbeiten für die Freilichtbühne im Jahr 2006

Alle Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Der Wolkenturm löste sogar bei den Sängerinnen und Sängern immer wieder Lobeshymnen aus. Selbst der verantwortliche Akustiker war nach der Konzertpremiere begeistert – was Metternich-Sandor überraschte, „denn als Experte hätte er das ja vorhersehen müssen“. Die Berechnungen hätten das auch gezeigt, antwortete der Akustiker, „aber letztlich sei immer auch etwa Glück dabei, man hört, was man sieht.“

Die Festivalpremiere

Nach der Eröffnung des Wolkenturms stieg von 23. August bis 9. September das internationale Musikfestival. In der ersten Auflage wurden 19 Konzerte im Ambiente des Schlosses geboten. Zu erleben waren Orchesterkonzerte und Recitals internationaler Ensembles und Solistinnen und Solisten. Dafür wurden 15.000 Eintrittskarten zu Preisen von sechs bis 89 Euro aufgelegt. Immerhin war die Vorgabe des Landes: „Kultur auf höchstem Niveau, aber leistbar für alle.“

2007: Erfolgreiche Premiere einer kulturellen Kampfansage

Eröffnet wurde das Festival von der amerikanischen Sopranistin Renee Fleming mit einem Arienabend, begleitet von den NÖ Tonkünstlern unter der Leitung von Kristjan Järvi. Intendant Rudolf Buchbinder bezeichnete das Ambiente des Schlossparks Grafenegg gern als „Garten Eden“. Diesmal präsentierte sich das Paradies eher als Regenwald.

„Over the rainbow“

Pünktlich zu Konzertbeginn tröpfelte es vom verhangenen Himmel und die Wolkenturm-Arena machte ihrem Namen erneut alle Ehre. Nach der Pause begann es dann zu schütten, und das Publikum schlüpfte – wie schon bei der Gala im Juni – in weiße Pelerinen. Fleming applaudierte den wetterfesten Besuchern und gab als dritte augenzwinkernde Zugabe „Over the rainbow“. Kaum war der letzte Ton verklungen, hörte auch der Regen auf.

Ähnliche Situationen sollten sich beim Musikfestival aber nicht wiederholen: Denn das Ausbauprojekt umfasst neben dem Open-Air-Bühnenbau auch die Errichtung eines zusätzlichen Konzertsaals, der an die Alte Reitschule angeschlossen wurde. Seit 2008 werden die Wolkenturm-Konzerte bei Schlechtwetter in das Auditorium verlegt.

Ein Konzept mit Zukunft

Das Festivalkonzept schien aufzugehen: Grafenegg ist anders. Der versprochene Garten Eden blieb dem Publikum zwar verborgen, und auch den von Buchbinder immer wieder als willkommen genannten jungen Musikfreund in zerrissenen Jeans suchte man noch vergeblich. Doch der Publikumsgeschmack fand Berücksichtigung, bilanzierten die Veranstalter.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 28.10.2022

„Das Programm ist so, dass niemand davonlaufen muss“, betonte Buchbinder und ergänzte: „Ich hatte mir einiges erwartet und erhofft, aber ich bin selbst überrascht, wie groß die Resonanz schon im ersten Jahr war.“ Die Akzeptanz des Festivals zeige sich schließlich auch in Zahlen. Mit mehr als 13.000 Konzertbesuchern lag die Gesamtauslastung bei 96 Prozent.

Platz für die Jugend

Im Jahr 2008 wurden zudem die Sommerkonzerte initiiert, welche seither dem Grafenegg Festival vorgelagert sind. Zum Tonkünstler-Orchester Niederösterreich gesellte sich ab 2009 mit dem European Union Youth Orchestra (EUYO) ein weiteres Residenzorchester. Darauf aufbauend wurde Grafenegg in den Folgejahren mehr und mehr zum Ort der Jugendförderung – eine Entwicklung, die 2018 in der Gründung des Campus Grafenegg gipfelte.

Tonkünstler Orchester
Udo Titz
Die NÖ Tonkünstler sind seit Jahrzehnten mit Grafenegg verbunden

Der kulturpolitische Entschluss, am Areal des Schlossparks Grafenegg einen internationalen Kulturstandort zu entwickeln, veränderte die Bedeutung des Orts komplett. Kamen anfangs noch knapp 15.000 Besucherinnen und Besucher zu den Festivalkonzerten, so waren es in den Jahren ab 2015 schon etwa 50.000. Beim diesjährigen Festival waren es 41.000 Zuschauerinnen und Zuschauer.

Ganze Region zieht mit

Dabei steigen nicht nur in Grafenegg die Besuchszahlen. „Es ist natürlich eine Erfolgsgeschichte für die Gemeinde“, sagt Bürgermeister Anton Pfeifer (ÖVP). „Das hat auch positive Effekte auf Grafenwörth, Feuersbrunn (beide Bezirk Tulln), Straß – sogar über die Donau nach Angern (beide Bezirk Krems) und Traismauer (Bezirk St. Pölten). Das betrifft eine gesamte Region.“

Viele Konzertgehende sind bei den Heurigen in der Umgebung anzutreffen. Zu Beginn der Veranstaltungen vor 15 Jahren habe das noch anders ausgehen, schildert Gastwirt Markus Haag: „Am Anfang war es sehr verhalten, gebessert hat es sich dann wirklich mit den Künstlern selbst. Die sind rübergekommen und haben das irgendwie in den richtigen Fokus gerückt. Dann sind auch Gäste gekommen mit Zimmern, und so hat sich das Jahr für Jahr gesteigert.“

Gegenseitige Sicherheit

Der Vertrag zwischen der Familie Metternich-Sandor und dem Land läuft noch bis 2070. Eine „gute Lösung für alle“, betont der Schlossherr, weil damit auch für beide Seiten Planungssicherheit gegeben sei. Dass das Festival so groß wird, „hätte ich nicht erwartet“, gesteht er, aber dass es erfolgreich werde, davon sei er – auf Grund der Vision des Landes und des Engagements von Rudolf Buchbinder – ausgegangen: „Es hätte mich überrascht, wenn es nicht funktioniert hätte.“