Ein Plakat mit der ÇStop FrackingÈ steht am 03.06.2014 in BrŸnen (Nordrhein-Westfalen) am Niederrhein in einem Feld. Der Landtag beschŠftigt sich am 04.06.2014 mit dem Thema Fracking im grenznahen Raum. Foto: Martin Gerten/dpa +++(c) dpa – Bildfunk+++
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„100 Jahre NÖ“

Als OMV-Pläne die Gemüter erhitzten

2012 hat die OMV im Weinviertel Pläne zur Förderung von Schiefergas vorgestellt. Doch der Widerstand in der Bevölkerung und Gesetzesänderungen beendeten das Projekt, bevor es richtig begonnen hatte. Laut Kritikern trug die OMV dazu auch selbst bei.

Herrnbaumgarten – unter der Erde der knapp 1.000 Einwohner großen Gemeinde vermutet der Mineralölkonzern OMV 2012 eine Quelle neuen Reichtums: Schiefergas. In Herrnbaumgarten wie auch in Poysdorf (beides Bezirk Mistelbach) waren deshalb zwei Probebohrungen geplant. Die Kosten: 130 Millionen Euro.

Der Grund: Schon damals war absehbar, dass die konventionellen Gasförderstätten immer weniger Gas hergeben. Also sollte Schiefergas das Problem lösen. Laut den Plänen der OMV, die 50 Bohrplätze bis nach Wien vorsahen, hieß es damals, dass die Vorräte rund um Poysdorf Österreich etwa 30 Jahre mit Gas versorgen könnten. Wie viel Schiefergas wirklich im Boden lagert, ist bis heute schwer zu sagen.

Mobilisierungswelle

Unbestritten mobilisierte das Projekt innerhalb kurzer Zeit die Massen. Umweltschutzorganisationen protestierten, die Bürgerinitiative „SCHIEFESgas“ sammelte mehr als 10.000 Unterschriften, erinnert sich deren Sprecher Johann Kleibl: „Wir haben jede Woche Stimmen bekommen, die Leute haben unterschrieben, uns moralisch unterstützt und sind zu Veranstaltungen gekommen.“

OMV kündigt Schiefergas-Probebohrungen im Weinviertel an

Die Befürchtungen: Das Grundwasser ist gefährdet, die Folgen für die Umwelt sind nicht absehbar. Vor allem die Methode des Frackings ist umstritten – dabei wird Gas, das in undurchlässigem Gestein gespeichert ist, verfügbar gemacht. Dazu muss man Wasser, Sand und Chemikalien unter hohem Druck in den Untergrund pressen. Das Gestein bricht auf und wird gasdurchlässig, ein Stützmittel hält die Risse offen, wodurch das Gas aufgefangen werden kann.

Kritiker fürchteten, dass sich die teils krebserregenden Chemikalien mit dem Grundwasser vermischen und dieses langfristig unbrauchbar machen. Niederösterreichs Umweltanwalt Harald Rossmann zeigte sich ebenso besorgt: „Zum einen werden hier Stoffe verwendet, die sehr giftig sind.“ Zum anderen könne nicht ausgeschlossen werden, dass bei Bohrungen in diesen Tiefen Radioaktivität austritt. „All diese Fragen sind nicht ausreichend geklärt.“

Verwüstete Landstriche

In den USA löste diese Art der Förderung Jahre zuvor einen wahren Boom aus. Auf der Jagd nach schnellem Geld traten Tausende Grundbesitzer ihren Boden bzw. die Schürfrechte an Gaskonzerne ab – mit katastrophalen Folgen. Durch die Schiefergasförderung wurden Boden und Grundwasser mit Chemikalien verseucht, teilweise wurden ganze Landstriche verwüstet.

Fracking Schiefergas Poysdorf Weinviertel OMV
Das Jonah Gasfield in Wyoming (USA) nachdem die Bohrtürme verschwunden sind

„Die Schiefergas-Förderung, wie es derzeit in der Praxis funktioniert, geht nur unter Einsatz von ganz vielen Chemikalien, damit das Gas an die Oberfläche kommt“, betonte damals auch Jurrien Westerhof von Greenpeace. Das Abwasser, das dabei freikomme, sei schwer „mit allen möglichen Schwermetallen und Chemikalien belastet, in Wirklichkeit ist das Sondermüll und muss entsorgt werden.“

Saubere Form des „Frackings“

Die OMV wollte ab 2013 zwei Probebohrungen in Herrnbaumgarten und Poysdorf durchführen, allerdings mit einer neuen, sauberen Form des „Frackings“, versprach OMV-Österreich-Geschäftsführer Christopher Veit: Einerseits wolle man tiefer bohren als in den USA, andererseits „werden wir hier nur Chemikalien verwenden, die umweltverträglich sind.“

Der Erfinder des angeblich sauberen Frackings im Interview

Unterstützung kam von Herbert Hofstätter vom Lehrstuhl für „Petroleum and Geothermal Energy Recovery“ an der Montanuniversität Leoben (Steiermark). Zwar verstehe er die Ängste der Bürger, doch die Horrorbilder aus den USA hätten mit der Realität in Europa nichts zu tun: Die für Fracking interessanten Gesteinsschichten würden in Österreich viele tausend Meter unter dem Grundwasser liegen – ganz im Gegensatz zu Nordamerika, wo in geringerer Tiefe gefrackt wird.

Stärke und Kaliumkarbonat als Wundermittel

Das von Hofstätter entwickelte Verfahren namens „Bio Enhanced Energy Recovery“ will ohne Chemikalien auskommen und arbeitet stattdessen mit Maisstärke und Kaliumkarbonat, die auch in der Lebensmittelindustrie und als Düngemittel eingesetzt werden. „Das ist 100 Prozent umweltkompatibel“, sagt Hofstätter damals im Interview mit noe.ORF.at.

Dieses Verfahren hätte auch im Weinviertel zum Einsatz kommen sollen. Mit Infoveranstaltungen versuchte die OMV ab Jänner 2012 die Bevölkerung von der Unbedenklichkeit zu überzeugen. Doch als der OMV-Österreich-Geschäftsführer bei einem Event in Poysdorf vor versammeltem Saal demonstrativ Maisstärke aus einem Glas trank, um deren Unbedenklichkeit zu unterstreichen, war die Stimmung bereits gekippt.

Intransparente Infopolitik

Bürgerinitiativen und Umweltschutzgruppen blieben skeptisch, vor allem wegen der von Beginn an intransparenten Informationspolitik der OMV, sagt Kleibl: „Wir sind als Bürger quasi überfallen worden, es hat keine Informationen gegeben.“ Im Gegensatz zu den Gemeinden, die durchaus Bescheid wussten. „Man hatte das Gefühl, die will man sich an Bord holen.“

Rüttelfahrzeug der OMV
OMV Aktiengesellschaft
Die Fahrzeuge, die Seismik-Messungen durchgeführt haben, verursachten bei den Bürgern Skepsis und Sorgen

Der Fehler der OMV: Der Konzern verließ sich auf seine über Jahrzehnte aufgebaute Reputation im Weinviertel, die man nicht aufs Spiel setzen werde, hieß es. Doch viele Bürger fühlten sich übergangen. Bei der Infoveranstaltung brachte es ein Teilnehmer – im Dialekt – auf den Punkt: „Die haben geglaubt, die Bauern können sie mit einem Bier und Würstel über den Tisch ziehen.“ Kleibl war deshalb auch überrascht, dass „ein Milliardenkonzern solche plumpen Sachen macht.“

Als Bürgerinitiative sei man außerdem als Aktivisten punziert und „nicht wirklich ernst genommen“ worden, ergänzt Kleibl. Und auch die Lokalpolitik in Poysdorf habe die Anliegen anfangs „nicht hören wollen.“ Kein Bedarf, hieß es laut Kleibl. Doch die Kritiker ließen sich nicht abbringen und informierten auf eigene Faust Bürgerinnen und Bürger. Die OMV, die dem ORF Niederösterreich anfangs noch Interviews gab, reagierte fortan meist nur noch mit schriftlichen Stellungnahmen.

OMV-Event bestärkt Gegnerinnen und Gegner

Die Informationsveranstaltung in Poysdorf sei – im Nachhinein betrachtet – „der größte Gewinn für uns“ gewesen, sagt Kleibl. Denn dadurch habe es einen großen Zufluss an Leuten gegeben, „die mit uns nichts am Hut hatten, denen Umweltschutz aber wichtig war.“ Dank der „OMV-Veranstaltung“ habe sich die Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer „schlagartig verdoppelt oder verdreifacht“.

Hitzige Info-Debatte zwischen OMV und Bürgern

Dabei gab es damals keineswegs nur Gegner in der Region, vielmehr hatte das Thema Poysdorf gespalten. Die einen erhofften sich Wohlstand und Arbeitsplätze, die anderen fürchteten sich vor Umweltzerstörung und dem Wertverlust ihrer Häuser. „Da sind Leute nicht mehr gemeinsam am Wirtshaustisch gesessen, Freundschaften zerbrochen“, sagt er.

Unklare Linie im Bund

Auch in der Bundespolitik war man sich über die Möglichkeiten durch das Schiefergas uneins: Von Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) kam „ganz klar ein Nein zum Abbau mit dem derzeitigen Verfahren“, sowohl „aus Umweltschutz- als auch aus Klimaschutzgründen spricht alles dagegen“. Die Gefahr sei zu groß, dass das Grundwasser verseucht werde. „Das ist unser wichtiges Gut und wir wollen die Menschen schützen.“

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) wollte das Fracking hingegen „jetzt nicht prinzipiell verbieten“. Vielmehr plädierte er dafür, das Verfahren zu prüfen und verwies auf eine Erfahrung in Österreich mit dem Erdbau. Letztlich werde die Behörde „eine Entscheidung treffen“, und dafür sollte in letzter Konsequenz Mitterlehner selbst zuständig sein.

Der Kipppunkt für die OMV-Pläne

Der Kipppunkt in dieser Diskussion waren laut Kleibl Medienberichte im Februar, wonach Elemente des Frackings schon zuvor bei der konventionellen Förderung angewendet worden seien – und zwar bis zu 30 Mal. Ziel war es, bestehende Öl- und Gasfelder noch besser ausbeuten zu können – nach international üblichem Stand der Technik, wie die OVM zugab. Die Montanbehörde hatte das auch genehmigt, gesetzlich war somit alles erlaubt.

Hat die OMV schon gefrackt?

„Aber damit hat die OMV alles verspielt, weil wie soll man so vernünftig zusammenarbeiten“, sagt Kleibl. Bis dahin sei davon keine Rede gewesen und plötzlich sei auch die Politik „munter geworden“. Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) forderte im März 2012 eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für Bohrungen, die bis dahin nicht notwendig waren. Anfang Juli wurde auf Bundesebene ein Gesetz beschlossen, dass so eine Prüfung vorsah.

„Keinen wirtschaftlichen Sinn“

Wenig später zog die OMV Konsequenzen. OMV-Österreich-Geschäftsführer Christopher Veit betonte im Herbst bei einer Pressekonferenz: „Wir haben seit einigen Monaten das Schiefergasprojekt eingestellt.“ Der Grund sei vor allem eine Evaluierung der UVP-Novelle, wonach das Projekt „keinen wirtschaftlichen Sinn mehr“ macht. Es gebe deshalb „zurzeit keine Pläne, Schiefergas in Österreich zu verfolgen.“

Die Entscheidung beendete die Schiefergas-Träume im Weinviertel, noch bevor sie begonnen hatten. Für Kritik sorgte innerhalb der Bürgerinitiative, dass der OMV-Konzern nicht auf die Anliegen der Bürger reagiert hatte – „Die Proteste waren ihnen wurscht“ – sondern erst handelte, nachdem die Prüfung gesetzlich notwendig wurde.

OMV legt Schiefergas-Pläne auf Eis

Rund um Poysdorf feierte man das als großen Erfolg, erinnert sich Kleibl: „Es ist endlich einmal ein Beweis erbracht worden, dass auch die Bevölkerung, wenn sie zusammensteht, etwas unternehmen kann gegen solche Konzerne. Für uns gibt es nur eine Heimat und die wollten wir verteidigten.“ Das kurze Kapitel Fracking in Österreich wäre damit beendet – eigentlich.

Comeback der Fracking-Debatte

Denn zehn Jahre später kam der Krieg Russlands in der Ukraine und ganz Europa wollte plötzlich weg von Putins Gas. Besonders betroffen ist Österreich, das 80 Prozent seines Gases aus Russland bezieht. Die Preise für Erdgas klettern in die Höhe – und aufwendige Fördermethoden zahlen sich wieder aus. Noch wichtiger als die Kosten ist vielen Abnehmern neuerdings aber ohnehin das Label „Not made in Russia“.

Die mittlerweile zurückgetretene Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) brachte deshalb Anfang Mai 2022 eine Alternative ins Spiel: Man solle die heimische Gasproduktion erhöhen – und sich dabei auch dem Fracking nicht verschließen. Und zuletzt beauftragte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Staatsholding ÖBAG, das Potenzial der Gasförderung in Österreich zu analysieren. Dazu gehören auch „unkonventionelle“ Fördermethoden, damit ist Fracking gemeint.

OMV Anlagen
ORF.at/Carina Kainz
Finanzminister Brunner lässt derzeit das Potenzial der Gasförderung in Österreich zu analysieren, das betrifft auch Schiefergas

„Wir wollen in ein paar Jahrzehnten klimaneutral sein“, kritisiert Kleibl diese Vorstöße. Wenn man jetzt mit dem Fracking anfängt, könne man die Klimaziele gleich vergessen. Anstatt die Milliarden autoritären Regimen in den Rachen zu werfen, müsste man erneuerbare Energie ausbauen, lokale Arbeitsplätze schaffen, uns unabhängiger machen.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 14.11.2022

Teuer und umweltschädlich

Helfen würde laut Kleibl auch ein Blick in die USA, denn dort habe sich neben all den ökologischen Schäden gezeigt: Fracking ist deutlich teurer als die konventionelle Erdgasförderung. Bei hohen Preisen über 100 US-Dollar pro Fass Öl wird so viel wie möglich gefördert. Sinkt der Preis stark, werden die Fracking-Bohrlöcher vorübergehend stillgelegt.

Doch werden die alten Bohrlöcher schlecht abgedichtet, was in den USA passiert, kann dadurch weiter Methan entweichen, das als Treibhausgas 30-mal schädlicher ist als CO2. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 dürfte der Frackingboom in den USA bis zu einem Drittel zur jährlichen globalen Methanemissionen beigetragen haben.

Kein Selbstversorger

Zudem kam die EU-Kommission 2012 zu dem Schluss, dass Europa über Frackinggas nicht zum Selbstversorger werden könne – und selbst im besten Fall könne die Abhängigkeit von Importen nur auf 60 Prozent gesenkt werden. Auch in Österreich gibt es seitens der OMV keine neuen Frackingpläne. „Das lässt sich nicht über Nacht machen“, erklärte OMV-Konzernchef Alfred Stern – eben weil es vor zehn Jahren keine Probebohrungen gab.

OMV-Pilotprojekt Geothermie
ORF/Felix Novak
Anstatt auf Fracking setzt die OMV seit 2022 auf Geothermie – Heißwasser aus 2.900 Meter Tiefe

Sollte man sich jetzt für Fracking entscheiden, könne die Förderung von Erdgas frühestens 2030 beginnen – also nur eine Dekade vor der angestrebten Klimaneutralität. Dann würden nur zehn Jahre für die Nutzung bleiben. „Das ist so ähnlich, wie wenn Sie mit 95 beschließen, sich noch ein neues Haus zu bauen“, verglich Stern im Frühjahr.

Wenn es politisch wirklich gewollt und morgen die Genehmigung für Fracking im Weinviertel erteilt wäre, könnte aber schon in ein bis zwei Jahren Gas fließen, sagte Herbert Hofstätter von der Uni Leoben im Frühjahr. Dass das selbst in Zeiten der Gaskrise unrealistisch scheint, weiß er selbst. Allerdings bedauert der Experte, dass die Bevölkerung 2012 nicht richtig informiert worden sei.

Die Skepsis bleibt

Auch deshalb verfolgt man bei der Bürgerinitiative „SCHIEFESgas“ die Debatte trotz aller politischer Bekundungen mit Skepsis. Denn auch in der „stillen“ Phase seit 2013 sei das Thema „nie tot“ gewesen. So wurde etwa 2014 ein Patent zum „sauberen Fracken“ angemeldet, 2017 eine erste Tiefenbohrung und 2018 weitere Seismik-Messungen im Bezirk Tulln und im Marchfeld durchgeführt.

Weinlese Falkenstein Ruine Weinviertel Weinbau
ORF
Sollte Fracking tatsächlich möglich werden, wäre der Tourismus im Weinviertel Geschichte, warnen Kritikerinnen und Kritiker

Angesichts der Energiekrise wurde in den vergangenen Monaten in Niederösterreich plötzlich wieder über Fracking diskutiert – vor allem seit einem Vorstoß der FPÖ, die „Bio-Fracking“ – also mit Maisstärke und Kaliumkarbonat – im Weinviertel ins Spiel brachte. „Selbst wenn man mit Marmelade frackt, sind viele andere Umweltprobleme noch da, wie die Bodenversiegelung oder der hohe Wasserverbrauch“, kontert ein Kritiker.

Aus für Tourismus

Den Tourismus, auf den das Weinviertel so stolz ist, könnte man sich dann aufmalen, sagt Kleibl. Und ein Mitstreiter meint gar: „Solange wir von fossilen Stoffen abhängig sind und wir auf dem vermeintlichen Schatz sitzen, so lange ist die Gefahr für uns immanent. Erst wenn wir Gas nicht mehr brauchen, ist die Diskussion endgültig vorbei.“

Der Sprecher der Bürgerinitiative Kleibl glaubt hingegen nicht an ein Comeback des Frackings im Weinviertel. Er ist überzeugt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner im Ernstfall noch viel vereinter gegen Fracking kämpfen würden. Denn die Anwohner haben sich nun eben selbst informiert. Und wie schon vor zehn Jahren werde man „die Heimat verteidigen.“