Flammenturm
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„100 Jahre NÖ“

2017: Gasexplosion im Marchfeld schockt Europa

Bei einer Explosion in der Gasstation Baumgarten an der March (Bezirk Gänserndorf) im Dezember 2017 starb ein Mitarbeiter, 22 Menschen wurden verletzt. Der Vorfall schockte zudem ganz Europa, denn die Station gilt als eine der wichtigsten in der Versorgung.

Als „eine höllische Detonation“ beschreibt Anrainer Herbert Mandl die Explosion am 12. Dezember 2017, bei der er sofort an die 1945 über Hiroshima abgeworfene Atombombe dachte: „Alles hat gezittert.“ „Es hat sich angehört, als wäre ein Flugzeug abgestürzt", schildert Anrainerin Gerda Ruggenthaler, „der Boden hat zehn Minuten vibriert.“

Die folgenschwere Explosion ereignete sich kurz vor 9.00 Uhr. Augenzeugen, die von einer bis zu 100 Meter hohen Stichflamme sprachen, die bis nach Wien zu sehen war, meldeten zunächst einen Wohnhausbrand. Doch rasch wurde der tatsächliche Grund sichtbar: Der Feuerball war bei der Gasstation in Baumgarten ausgelöst worden.

Heftige Gasexplosion schockt Europa

Sechzig Mitarbeiter befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Gelände des Gasknotenpunktes. Ein 32-jähriger Techniker war sofort tot, 22 weitere Menschen erlitten Verbrennungen und Rauchgasvergiftungen, ein Schwerverletzter wurde mit dem Rettungshubschrauber ins AKH nach Wien geflogen. Zudem musste eine nahegelegene Werkstatt der Lebenshilfe mit 60 Menschen evakuiert werden.

Autos beginnen zu brennen

Die Hitzeentwicklung war so groß, dass Autos, die rund um das Areal standen, zu brennen begannen, erzählt Bezirksfeuerwehrkommandant Georg Schicker: „Als wir mit dem Feuerwehrauto gekommen sind, waren die Blaulichter oben schon fast versengt, obwohl die Entfernung noch sehr groß war. Man kann sich diese enorme Hitze, dieses Pulsieren der Flamme kaum vorstellen.“

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Geschmolzene Autos
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Durch die enorme Hitzeentwicklung der Explosion schmolzen Autos am Parkplatz der Anlage
Rauchwolken
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„Brand aus" konnte nach der Explosion in Baumgarten noch am selben Tag gegeben werden
zerstörtes Gebäude nach der Explosion
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Die Gasstation ist die größte Import- und Übernahmestation für Erdgas in Österreich. Einen Tag nach der Explosion ging sie wieder in Betrieb.

Die Anlage wurde laut dem Betreiber, der Gas Connect, einer OMV-Tochter, nach der Explosion in einen Sicherheitsmodus geschaltet. Die nationale Erdgasversorgung wurde über die Speicher gedeckt. Der Transit durch Österreich Richtung Süden und den Südosten Europas war aber beeinträchtigt. „Die benachbarten Fernleitungsbetreiber wurden umgehend informiert, damit rechtzeitig Maßnahmen eingeleitet werden können“, hieß es damals seitens des Unternehmens.

Europaweite Drehscheibe

Baumgarten ist eine der bedeutendsten Drehscheiben für die europäische Gasversorgung. Die Anlage entstand 1959 aus der ursprünglichen Förderstation des Gasfeldes Zwerndorf und wurde zur größten Import- und Übernahmestation für Erdgas in Österreich. 2017 wurden etwa 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas umgeschlagen. Allein ein Drittel des für Westeuropa bestimmten Erdgases aus Russland läuft über den Knoten.

2018: Große Pläne der OMV für die Gasstation Baumgarten

In Baumgarten wird das Erdgas aus Russland, Norwegen und anderen Ländern übernommen, geprüft, für den Weitertransport verdichtet und anschließend über die großen Transitleitungen nach Deutschland, Italien, Frankreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn gebracht und über das Primärverteilsystem in die österreichischen Bundesländer transportiert. Das Verteilerleitungsnetz in Österreich erstreckt sich über nahezu 40.000 Kilometer.

Panik an den Börsen

Die Explosion sorgte deshalb an den internationalen Börsen für Panik. Die Großhandelspreise für Erdgas stiegen nach den ersten Agenturmeldungen über die Explosion in Europa deutlich an. Ein Mitgrund dafür war wohl auch, dass die Ursache zunächst völlig unklar war. Bei einer Pressekonferenz des Krisenstabes betonte ein Polizeisprecher aber, „dass wir von keinem Terroranschlag ausgehen“.

Ein Betreten der Station war laut Gas-Connect-Sprecher Andreas Rinofner zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich. Neben 240 freiwilligen Helfern der Feuerwehr waren deshalb auch Polizeihubschrauber im Einsatz, um die Situation aus der Luft beurteilen und mit Live-Bildern bei der Suche nach dem Brandherd helfen zu können.

ABD0112_20171212 – BAUMGARTEN AN DER MARCH – …STERREICH: ++ HANDOUT ++  Eine Explosion in der Gasstation in Baumgarten in der Gemeinde Weiden a.d. March (Bezirk GŠnserndorf) hat DienstagfrŸh, 12. Dezember 2017, nach Polizeiangaben ein Todesopfer und 18 Verletzte gefordert. Im Bild: Eine Luftaufnahme des UnglŸcksortes. – FOTO: APA/LANDESFEUERWEHRKOMMANDO N…/MATTHIAS FISCHER
APA/MATTHIAS FISCHER
Auf Live-Aufnahmen aus der Luft zeigte sich den Einsatzkräften das gesamte Schadensausmaß

Nach und nach wurde das wahre Ausmaß sichtbar. Die Explosion hatte sich demnach im westlichen Bereich der Anlage ereignet, wo die Filterseperatoren standen. Das Feuer hatte sechs Objekte erfasst, die zum Teil in Vollbrand gerieten. Die Ausdehnung der Explosion auf dem 17 Hektar großen Areal beschrieb Gas-Connect-Geschäftsführer Stefan Wagenhofer mit etwa 100 mal 100 Metern.

Die Suche nach der Ursache

Der Brand war laut Feuerwehr erst am Nachmittag unter Kontrolle, daraufhin nahmen Brandermittler ihre Arbeit auf und es zeichneten sich langsam erste Hinweise ab. So handelte es sich laut dem Geschäftsführer um einen Bereich, in dem es zuletzt eine Bautätigkeit gegeben hatte. Deshalb ging man fortan von einem technischen Gebrechen als Ursache aus.

ABD0094_20171212 – BAUMGARTEN AN DER MARCH – …STERREICH: Eine Explosion in der Gasstation in Baumgarten in der Gemeinde Weiden a.d. March (Bezirk GŠnserndorf) hat DienstagfrŸh, 12. Dezember 2017, nach Polizeiangaben ein Todesopfer und 18 Verletzte gefordert. Im Bild: Lšscharbeiten an der UnglŸcksstelle. – FOTO: APA/ROBERT JAEGER
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Ein Drittel aller Feuerwehrmänner des Bezirkes waren am 12. Dezember 2017 rund um die Gasstation im Einsatz

Bis zur Wiederherstellung der regulären Gasversorgung würde es nach Einschätzung der OMV „Tage, nicht Stunden“ dauern, hieß es zunächst. Die Gasleitungen nach Italien, Deutschland und Ungarn konnten aber schon über Nacht wieder in Betrieb genommen werden. In Österreich wurde hingegen auf die laut der Regulierungsbehörde E-Control gut gefüllten Gasspeicher zurückgegriffen.

Defekt im Filtersystem

Mit Tagesanbruch konzentrierte sich in der Erdgasstation also alles auf die Ursachenforschung und Schadensbegutachtung. Forensische Sachverständige waren ebenso an der Arbeit wie Vertreter von Versicherungen und „Experten aus den eigenen Reihen“, hieß es. Dabei bestätigten sich die ersten Vermutungen: Es gab einen Defekt im neuen Filtersystem. Ein abgeplatzter Deckel führte zur Explosion.

„Durch die Untersuchungen hat sich bestätigt, dass wirklich der Filterseparator, der neu montiert worden war, Ursache oder Ausgangspunkt des Brandes war“, sagte Wagenhofer damals gegenüber noe.ORF.at. Dieser Filterseparator habe einen Deckel, der abgeplatzt und dadurch auf einen anderen Anlagenteil geschlagen war, „wodurch es zu einer Entzündung kam, Gas ausgetreten ist und es schließlich zum Brand gekommen ist.“

ABD0115_20171212 – BAUMGARTEN AN DER MARCH – …STERREICH: ++ HANDOUT ++ Eine Explosion in der Gasstation in Baumgarten in der Gemeinde Weiden a.d. March (Bezirk GŠnserndorf) hat DienstagfrŸh, 12. Dezember 2017, nach Polizeiangaben ein Todesopfer und 18 Verletzte gefordert. Im Bild: Eine Luftaufnahme des UnglŸcksortes. – FOTO: APA/LANDESFEUERWEHRKOMMANDO N…/MATTHIAS FISCHER
APA/MATTHIAS FISCHER
Die Gasstation in Baumgarten erstreckt sich über 17 Hektar, der Unfall passierte im westlichen Teil der Anlage

Der Tote, ein TÜV-Mitarbeiter, hatte zu diesem Zeitpunkt Überprüfungen der neuen Anlagenteile durchgeführt. Während der Abnahme sei der Unfall passiert. Es habe eine „enorme Hitzeentwicklung“ gegeben, so ein Unternehmenssprecher, möglicherweise mehr als 1.000 Grad. Dass der Deckel wegen einer Materialschwäche heruntergeschlagen wurde, schloss Wagenhofer aus. „Die genaue Ursache, der Verschluss des Deckels, wird noch analysiert“, hieß es.

Kritik an der Betriebsfeuerwehr

Während unter den Mitarbeitern in den Tagen danach weiterhin große Betroffenheit herrschte, wurde auch Kritik laut – etwa, dass es am Gasknotenpunkt in Baumgarten keine Betriebsfeuerwehr gibt. Laut Bezirksfeuerwehrkommandant Georg Schicker gebe es hier „noch Luft nach oben. Ich glaube, dass wir in der Organisation der Einsatzführung doch noch Einiges zu tun haben.“

Diskussion um die Betriebsfeuerwehr

Laut Richtlinie des Bundesfeuerverbandes sollen Betriebsfeuerwehren spätestens zehn Minuten nach der Alarmierung am Unfallort sein – einsatzbereit. Die Gasstation Baumgarten wird jedoch von der Betriebsfeuerwehr der OMV in Gänserndorf mitbetreut – etwa 15 Kilometer entfernt. Die Vorgabe kann somit nicht eingehalten werden und das könne laut Schicker „natürlich schon zu Verzögerungen auf Grund der Anfahrtszeit führen.“

Die Vorgaben der Behörden in puncto Sicherheit seien alle eingehalten worden, zudem gebe es auch Abkommen mit den örtlichen Feuerwehren, „deshalb kann ich die Kritik nicht ganz nachvollziehen“, konterte Wagenhofer. Allerdings zeigte man sich zu den Vorschlägen gesprächsbereit. Der Vorfall soll gemeinsam analysiert und die Lehren gezogen werden, „denn so einen Vorfall können wir nur gemeinsam bewältigen“, hieß es.

Staatsanwaltschaft leitete Verfahren ein

Die Staatsanwaltschaft Korneuburg leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung mit Todesfolge ein. Bei den Ermittlungen wurde festgestellt, dass ein Sicherungsbolzen der Filteranlage nicht ordnungsgemäß angebracht war. Außerdem wurde eruiert, dass die Filteranlage zuvor in Kärnten abgebaut und in Baumgarten an der March aufgebaut wurde.

Die Ursache für die Explosion steht fest

Während bisher immer von einem technischen Defekt die Rede war, schien nun auch menschliches Versagen eine mögliche Ursache zu sein. Der Geschäftsführer von Gas Connect Austria, Stefan Wagenhofer, blieb bei seiner Argumentation der „Verkettung unglücklicher Umstände“. Es könne nicht nur ein Grund alleine der Auslöser für die Explosion sein, sagte er in einer ersten Stellungnahme.

Zwölf Angeklagte vor Gericht

Fast vier Jahre nach der verheerenden Explosion mussten sich schließlich zwölf Angeklagte am Landesgericht Korneuburg verantworten. Der Vorwurf: Sie sollen von Mitte 2016 bis zum 12. Dezember 2017, dem Tag der Gasexplosion, einen Filterseparator nicht ausreichend überprüft haben. Dadurch sei dieser immer unzureichend verschlossen gewesen. Bei dem mit brennbarem Erdgas gefüllten Filterseparator, von dem die Explosion ausging, habe auch ein Sicherungshebel gefehlt.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 2.12.2022

Zudem sei eine Druckklappe beim Verschluss ebenfalls falsch verschraubt gewesen, heißt es von der Staatsanwaltschaft Korneuburg. Durch den Innendruck platzte der Deckel des Filters ab, der daraufhin gegen einen weiteren Filter prallte und dort ebenfalls den Deckel abriss. Daraufhin strömten die Gase der beiden Filter aus und entzündeten sich.

Fahrlässiges Handeln

Die zwölf Personen hätten laut Anklage der Staatsanwaltschaft also durch fahrlässiges Handeln die Explosion verursacht. Den Beschuldigten wurde fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst vorgeworfen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft entstand ein Sachschaden in der Höhe von 50 Millionen Euro.

Turbulenter Prozessstart mit zwölf Angeklagten

Ebenfalls vor Gericht standen vier Unternehmen, bei denen die Angeklagten zum Zeitpunkt der Explosion teilweise auch beschäftigt waren. Die Unternehmen sollen etwa bei der Kontrolle der Montage und der Dokumentation Fehler begangen sowie den Arbeitnehmerschutz nicht ausreichend wahrgenommen haben. Die Staatsanwaltschaft beantragte hier die Verhängung von Verbandsstrafen.

Fünf Schuld- und viele Freisprüche

Im Mai 2022 endete der Prozess für vier Angeklagte mit bedingten Haftstrafen im Ausmaß von jeweils zehn Monaten. Acht der zwölf Beschuldigten wurden freigesprochen. Als erschwerend gewertet wurden laut der Richterin die große Anzahl der Verletzten und der hohe Sachschaden. Mildernd wirkten sich u.a. das Wohlverhalten seit der Tat sowie die lange Verfahrensdauer aus.

Für ein Unternehmen, das die betroffene Anlage installiert hatte, gab es zudem eine bedingte Geldstrafe von 125.000 Euro. Mildernd wirkte sich aus, dass der Verband u.a. seither ein Vieraugenprinzip bei Schnellverschlussprüfungen eingeführt hatte, um künftig ähnliche Taten zu verhindern. Die anderen Unternehmen wurden freigesprochen. Alle Urteile sind nach wie vor nicht rechtskräftig.