Ein Borkenkäfer krabbelt über die Unterseite einer Fichtenrinde
APA/dpa/Roland Weihrauch
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„100 Jahre NÖ“

Käfer bedroht Waldviertel und dessen Namen

Ein kleiner Käfer bedroht seit Jahren bzw. Jahrzehnten das Waldviertel und dessen Namen: der Borkenkäfer. 2018 fielen dem Schädling zwei Millionen Festmeter Holz zum Opfer. Schuld an der Ausbreitung sind der Klimawandel und Fehler in der Forstwirtschaft.

„Natürlich blutet einem das Herz“, erzählt Stefan Traxler, Waldbesitzer aus Eggersdorf (Bezirk Waidhofen an der Thaya), beim Lokalaugenschein von noe.ORF.at. Bestände, die bereits 30 bis 40 Jahren gewachsen waren und eigentlich „das Zukunftsholz“ sein sollten, mussten alle geschlägert werden, während der Preis für Fichtenholz im Keller lag: „Das ist alles Hackgut und minderwertig.“

Hohe Temperaturen und wenig Niederschlag – das Jahr 2018 bot geradezu paradiesische Zustände für den Borkenkäfer. Quer durch das Waldviertel richtete der Schädling erhebliche Schäden an. Bei Raabs an der Thaya (Bezirk Waidhofen an der Thaya) war der Befall so groß, dass man kaum noch mit der Waldarbeit nachkam. Deshalb wurden etwa spezielle Holzerntemaschinen eingesetzt, die beim Fällen und Entasten so schnell wie zehn Forstarbeitende sind.

2018: Borkenkäfer verursacht großflächige Kahlschläge im Waldviertel

Denn damit sich der Käfer nicht noch mehr ausbreitet, mussten die befallenen Bäume möglichst rasch gefällt und aus dem Wald gebracht werden – auch wenn diese auf den ersten Blick noch gesund aussehen, erzählte Franz Fischer von der Landwirtschaftskammer: „Kahlschläge zu machen verbietet normalerweise das Forstgesetz, aber wir müssen es jetzt machen, wir werden nicht gefragt."

Lagerplätze sind Mangelware

Das Holz wurde auf Lagerplätze transportiert, doch selbst diese waren bald Mangelware. „Die Lagerplätze sind deshalb so wichtig, weil das Holz möglichst weit vom Wald weg muss“, sagte Fischer. „Es bringt nichts, die Bäume umzuschneiden und sie im Wald liegen zu lassen, sonst würde sich der Borkenkäfer weiter vermehren.“ Deswegen müssen Lagerplätze mindestens 500 Meter vom Wald weg sein, „damit der Borkenkäfer nicht mehr in den Wald zurück kann“.

Schlägerungen wegen Borkenkäfern
ORF
Wegen des erheblichen Schädlingsbefalls mussten 2018 im Waldviertel viele Dutzend Hektar Wald gerodet werden

Damit das befallene Holz nicht noch mehr an Wert verliert, musste es außerdem vom Lagerplatz so rasch wie möglich in ein Sägewerk gebracht werden. 2017 gab es in Niederösterreich 1,5 Millionen Festmeter Käferschadholz, 2018 waren es bereits über zwei Millionen. Das große Aufräumen im Wald war wegen des schwerwiegenden Borkenkäferbefalls für die Forstwirtinnen und -wirte ein Wettlauf mit der Zeit.

Ob man damals einfach zu spät auf den Borkenkäfer reagiert hatte? Kurzfristig nein, sagt Forstexperte Rainhard Hagen: Bei Schadflächen von 15 bis 40 Hektar, „wo alle Fichten rot und das Holz abgestorben war“, sei es „ganz, ganz schwer bis unmöglich“, das Schadholz entsprechend schnell aus dem Wald zu bekommen. „Das war ein Teufelskreis, da war es nicht möglich, anders zu reagieren.“

Fichten als „leichte Beute“

Seit Beginn der Statistik sei der Borkenkäferbefall noch nie so stark gewesen. Das liege einerseits am Klimawandel bzw. an der Trockenheit, wodurch sich der Schädling 2018 gleich in vier Generationen explosionsartig vermehren konnte. Andererseits sind im Waldviertel generell großflächige Fichtenmonokulturen zu finden, die nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt worden waren und nun für den Schädling „leichte Beute“ waren.

2019: Forstexperte Werner Löffler spricht über die Schwächen im Wald und die Ausbreitung des Borkenkäfers

Den Forstwirten könne man das aber nicht vorwerfen, betont Hagen: „Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg einfach notwendig war, schnell einen Wald wieder hochwachsen zu lassen, die Wälder waren durch den Krieg ausgeräumt, da hat man damals natürlich versucht, eine schnellwachsende Baumart schwerpunktmäßig einzusetzen, die fast überall wachsen kann.“

Die Fehler seien ab den 1990er Jahren gemacht worden, erklärt der Forstexperte, „indem die Wälder nicht entsprechend durchforstet, also gepflegt, wurden und die Bäume auch stabil oder stabiler gegen Schadereignisse wie Stürme herangezogen wurden.“ Heute sei das ein Gebot der Stunde, genauso wie eine gute Durchmischung von Nadel- und Laubbäumen, „die mit höheren Temperaturen besser zurechtkommen“.

Fichtenwald leidet unter Borkenkäfern
LK NÖ
Reine Fichtenwälder, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt wurden, förderten die Ausbreitung des Borkenkäfers

Vorboten des Klimawandels

Mit den ersten Versuchen, Wälder klimafitter zu machen, begann Hagen, der viele Jahre in der Forstdirektion des Landes beschäftigt war, bereits Anfang der 1990er Jahre. Schon damals zeigten sich die Vorboten des Klimawandels. Im Weinviertel, wo die Niederschläge laut Hagen ohnehin am unteren Limit sind und „ein ewiger Kampf zwischen Wald und Steppe herrscht“, hatten plötzlich die Kiefern ein großes Problem.

„Damals wurde ich noch belächelt, weil ich gesagt habe, da tut sich etwas, und leider auch von den politischen Verantwortungsträgern und vielen Fachleuten nicht ernst genommen“, beklagt Hagen, denn dadurch wurden „15 Jahre versäumt, bis der Klimawandel richtig angekommen ist.“ Die „klimafitten Wälder“ stehen heute „wunderbar da“, sagt der Forstexperte – im Gegensatz zu den vom Borkenkäfer befallenen Fichten im Waldviertel.

„Eiserner Bestand“ im Wald

Der Borkenkäfer ist keine invasive Art, sondern lebt laut Hagen seit Jahrzehnten in den heimischen Wäldern, in Österreich sind vor allem zwei Arten dominant: der Buchdrucker und der Kupferstecher. Wie von jedem Käfer oder Insekt gibt es einen „eisernen Bestand“, der sich hält. „Doch wenn nichts Außergewöhnliches passiert, dann schädigen sie die Fichte auch nicht unbedingt extrem.“

Borkenkäfer frisst sich durch Holz
narvikk
Der Borkenkäfer ist keine invasive Art, sondern lebt seit Jahrzehnten in den heimischen Wäldern

Lange Zeit trat der Borkenkäfer nur sehr regional und in periodischen Abständen auf. Doch mit ausreichend Feuchtigkeit im Boden konnte sich die Natur immer wieder selbst regulieren. Seit den 1960er Jahren gibt es in den Aufzeichnungen stabile Schäden auf niedrigem Niveau. Erst Anfang der 1990er Jahre begann sich der Schädling unbemerkt stärker auszubreiten – und damit auch die Schäden.

Stürme beflügeln Borkenkäfer

Zunächst waren vor allem Stürme die Ursache. Im Jahr 1990 fielen dadurch etwa 1,2 Millionen Festmeter Schadholz in Niederösterreich an – und umgestürzte Bäume, die nicht sofort entfernt wurden, boten ideales bruttaugliches Material, sagt Hagen. In der Statistik zeigt sich, dass der Anteil an käferbefallenem Schadholz in den folgenden Jahren stetig anstieg. Der Höhepunkt – mit etwa 800.000 Festmeter Käferholz – wurde 1996 erreicht.

Danach ging der Befall zurück, ehe im Jänner 2007 Orkan „Kyrill“ über das Land fegte. In einer Nacht fielen damals in Niederösterreich drei Millionen Festmeter Holz zu Boden, vor allem im Waldviertel. „Das war wirklich ein katastrophales Desaster, das Holz ist überall gelegen“, erinnert sich Hagen. Allerdings habe das Land damals einen „sehr guten Weg beschritten“ – mit gezielten Förderaktionen.

Vom Orkan „Kyrill“ verwŸstetes Waldgebiet nahe Wickersdorf im Kreis Saalfeld-Rudolstadt, aufgenommen am Montag (22.01.2007). Die SturmschŠden in den WŠldern ThŸringens sind nach Angaben des Landes-Umweltministeriums schlimmer als bisher angenommen. Die Hšhe des Schadens lasse sich noch nicht genau beziffern. Er liege aber im zweistelligen Millionenbereich. Erste SchŠtzungen von 500.000 Festmetern Bruchholz wŸrden deutlich Ÿbertroffen. Foto: Jan-Peter Kasper dpa/lth +++(c) dpa – Bildfunk+++
dpa
Durch Orkan „Kyrill“ fielen im Jänner 2007 allein in Niederösterreich drei Millionen Festmeter Holz zu Boden

Erfolgreiche Bekämpfung

Eine Maßnahme war etwa das Hacken und Mulchen der Bäume. Dabei wurde nur das Holz entfernt und die vom Borkenkäfer befallene Rinde im Wald am Boden liegengelassen. Dafür wurden „Hunderttausende Euro ausgegeben, die super eingesetzt waren“, meint Hagen. Denn in den Folgejahren konnte sich der Borkenkäfer weitaus weniger stark ausbreiten, als es in den 1990er Jahren üblich war. „Wir hatten die Käfer in zwei bis drei Jahren fast zur Gänze im Griff, das war eine tolle Arbeit der Besitzer, die extrem schnell und gut gearbeitet haben.“

Den bisher stärksten Käferbefall verursachte ab Mitte der 2010er Jahre kein Sturm, sondern die extreme Hitze. Denn durch die wochenlange Trockenheit wurden die Zellen der Fichten geschädigt. Teilweise starben damals sogar Bäume ab, die noch gar nicht befallen waren. Weil die Fichten damals generell geschwächt waren, waren sie aber auch für die Schädlinge ein gefundenes Fressen. Für die Forstwirte, die nur noch reagieren konnten, begann der Wettlauf gegen die Zeit.

Sondererlaubnis für Frächter

Für die Frächterinnen und Frächter wurde vom Land Niederösterreich damals sogar eine Verordnung erlassen, die ihnen gestattet, statt mit den bisher erlaubten 44 Tonnen Höchstgewicht vorübergehend mit 50 Tonnen unterwegs zu sein. Denn der Transport war an seine Grenzen gelangt, obwohl die Holz-Lkws auch am Wochenende fuhren und dann vor den Sägewerken Schlange standen.

Gerodetes und aufgestapeltes Holz
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Die Lagerplätze, die vom Wald mindestens 500 Meter enfernt sein müssen, waren 2018 Mangelware

„Im Grunde konnte man nur hoffen und warten, dass das Wetter besser wird, was leider bis heute nicht der Fall war“, erinnert sich Hagen. In Bereichen, wo die Wälder noch „halbwegs vital und gesund waren“, wurde versucht, den Käfer nicht hineinkommen zu lassen. „Aber dort, wo die Bäume durch Hitze und Käfer geschädigt waren, musste man mehr oder weniger ohnmächtig zusehen“, wie die Fichte flächenmäßig ausfiel.

120 Millionen Euro Schaden

Die schwersten Schäden wurden aus den Regionen Gmünd, Raabs, Waidhofen an der Thaya und Horn gemeldet, aber auch die Wachau bis Krems war ein betroffenes Gebiet, in dem großflächig geschlägert werden musste. Den Höhepunkt an Schäden gab es bisher 2019, als mehr als zwei Millionen Festmeter Käferholz anfielen. Laut Landwirtschaftskammer bedeutete das einen Schaden von bis zu 120 Millionen Euro für die Waldbesitzerinnen und -besitzer – innerhalb nur eines Jahres.

2019: Hitze und Dürre bedrohen Fichtenwälder

Der Schädlingskrise entgegenzuwirken versuchte das Land mit dem 2018 ins Leben gerufenen Waldschutzprogramm. Bis inklusive Juni 2019 wurden Niederösterreichs Forstwirte in diesem Rahmen mit etwa 5,3 Millionen Euro unterstützt, etwa 1,7 Millionen Euro flossen laut Land in den Forstschutz. Damit seien etwa 640 Hektar Wald gemulcht und 55.000 Festmeter Holz in Zwischenlager gebracht worden. Der Waldfonds sei zudem eine „hervorragende Maßnahme“, mit der eine klimafitte Aufforstung vorangetrieben werde, sagt Hagen.

„Schnellschussaktionen“

Doch nicht alle Maßnahmen waren zielführend bzw. manche auch eine „Schnellschussaktion“ für die Berichterstattung, hört man von betroffenen Waldbesitzern. So wurden etwa Tausende Käferfallen ausgegeben. Doch die betroffenen Forstwirte wussten dann teilweise gar nicht, was sie damit machen sollten. Stattdessen wurde auf bereits bewährte Maßnahmen verzichtet.

01.12.22 100 Jahre NÖ 2018 Borkenkäfer Wald Eschen
BfW

Aber auch die Forstwirte haben Fehler erkannt, meint Hagen. Denn wegen der verstärkten Nutzung des Schadholzes für die Biomasse wurden die Hölzer bis vor wenigen Jahren nicht sofort aus dem Wald entfernt – für den Borkenkäfer ein gefundenes Fressen, wodurch er sich großflächig ausbreiten konnte. Heute wird das Holz nun deutlich schneller aus dem Wald gebracht und auf eigenen Lagerplätzen gesammelt.

Klimafitte Aufforstung

Die kahlgeschlägerten Flächen müssen nun mühsam über Jahre und Jahrzehnte wieder aufgeforstet werden. „Am besten durch Naturverjüngung, da bietet sich auch Laubholz an, auch wenn es ökonomisch weniger interessant ist“, sagt Hagen. Die Bäume sind aber nachweislich klimafitter und bieten in Zukunft auch wieder einen Lebensraum für Insekten oder Vögel.

2021: EU unterstützt Wiederaufforstung der Wälder

Doch die Hitze mit wochenlangen Trockenperioden bleibt für den Wald auch in Zukunft eine Herausforderung. Denn während es am Boden etwa 35 Grad hat, erreicht die Temperatur im Kronenbereich an die 60 oder gar 70 Grad, sagt Hagen: „Die Zellen, die für die Assimilation, für die Photosynthese notwendig sind, werden dabei geschädigt, und damit sterben Bäume ab, und damit wird es auch für die Umwelt ein Problem.“

Folgenreiche Kettenreaktion

Solche klimatischen Veränderungen habe es aus Sicht der Natur zwar immer gegeben, betont Hagen, in den vergangenen Jahren hätten sich aber abiotische Faktoren – also Faktoren, an denen Lebewesen nicht erkennbar beteiligt sind – deutlich verschärft. Bäume werden etwa durch Sturmschäden geschwächt, und schließlich kommt der Borkenkäfer, „der den Baum umbringt, wenn es ihm nicht mehr gut geht". Das Problem aus Sicht der Waldbesitzer: Solche Stürme haben sich sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer Anzahl deutlich erhöht.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 5.12.2022

Die Probleme durch den Klimawandel werden immerhin mittlerweile ausreichend erkannt, meint Hagen – vor allem von den großen Waldbesitzern. Statt Monokulturen werden nun drei, vier oder sogar fünf Baumarten gepflanzt, ebenfalls fremde Baumarten aus mediterranen Regionen, die wärmere Temperaturen gewohnt sind. „Das ist gut und wichtig, um einen klimafitten Wald aufzubauen.“

Handlungsbedarf bei kleinen Forstwirten

Doch etwa die Hälfte des heimischen Waldbestandes ist in den Händen kleiner Forstwirte mit wenigen Hektar Eigengrund, „die oft gar nicht wissen, wo überhaupt ihr Wald ist“, ergänzt Hagen. In diesem Bereich sieht der Experte in den nächsten zehn Jahren noch Handlungsbedarf. „Da wird sicher noch einiges an Arbeit auf die Forstbehörden zukommen“, um mit Förderungen, Information und Demonstrationen von gelungenen Flächen Überzeugungsarbeit zu leisten.

Therapien im Wald
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Trotz der aktuellen Probleme sieht der Experte den Wald in Niederösterreich nicht gefährdet

Trotz der aktuellen Probleme sieht Hagen den Wald in Niederösterreich nicht gefährdet. Regional gebe es zwar rote Flächen, wo etwa die Fichte im Waldviertel zunehmend gefährdet sei. „Das ist für die Leute natürlich schlimm. Dort ist der ganze Besitz, die Sparkasse der kleinen Bauern, zum Teil ruiniert.“ Doch sowohl im Alpenvorland als auch in den höheren Schichten des Waldviertels sei „eine ganz gute Mischung“ vorhanden und der Wald „im Großen und Ganzen in einem guten Zustand".

Gesellschaft gefordert

Doch auch die Gesellschaft sieht Rainhard Hagen gefordert, die sich über Jahre und Jahrzehnte an einen hohen Wohlstand gewöhnt habe. „Natürlich will keiner auf den gewonnenen Luxus oder Wohlstand verzichten.“ Es gehe aber darum, Dinge einzuschränken, „die nicht unbedingt sein müssen. Damit man weniger CO2 und weniger Schadstoffe erzeugt."

Denn gerade in Zeiten des Klimawandels brauchen die Menschen den Wald. Doch um die heimischen Wälder langfristig zu erhalten, sei der Waldbesitzer „nur ein Player, der versucht, mit mehreren Baumarten zu arbeiten und sie mit entsprechender Pflege zu fördern.“ Auf der anderen Seite müsse auch jeder Einzelne mithelfen, seinen Fußabdruck zu minimieren, sagt Hagen, der am Ende eines langen Gespräches sagt: „Es wird ein ganz schwieriger Prozess werden.“