Häuser am Hochkar eingeschneit
Friedrich Fahrnberger
Friedrich Fahrnberger
„100 Jahre NÖ“

2019: Als das Hochkar im Schnee versank

Anfang Jänner 2019 sind weite Teile Niederösterreichs im Schneechaos versunken. Das Hochkar musste sogar evakuiert werden und wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Hunderte Helfer von Feuerwehr und Bundesheer waren daraufhin zwei Wochen im Einsatz.

Und plötzlich war Markus Esletzbichler fast ganz allein am Hochkar: Gemeinsam mit vier Nachbarn harrte der Betreiber des Schutzhauses im Skigebiet aus – abgeschnitten von der Außenwelt. Doch sein Haus verlassen wollte Esletzbicher nicht: „Wir haben unseren Lebensmittelpunkt am Hochkar, privat und beruflich“, zeigt er sich damals standhaft.

Nur Stunden zuvor hatte die Gemeinde entschieden, das Skigebiet – erstmals in der Geschichte – komplett zu evakuieren. Seit Tagen hatte es geschneit, am Hochkar lagen mehr als zwei Meter Schnee. Es galt Lawinenwarnstufe vier von fünf. Starke Schneeverwehungen und Schneemengen, die sich immer wieder lösten, führten zu großen Problemen.

Schnee überfordert Räumfahrzeuge

Die neun Kilometer lange Mautstraße von Göstling an der Ybbs (Bezirk Scheibbs) hinauf auf das Hochkar konnte nicht mehr befahren werden. „Das Problem ist, dass wir den Schnee nicht mehr wegbringen, die Schneewände sind so hoch, dass man mit dem Pflug keine Chance mehr hat“, schilderte Schneepflugfahrer Andreas Aigner von der Straßenmeisterei damals die Lage gegenüber noe.ORF.at.

Das Hochkar wird evakuiert

Aus Sicherheitsgründen wurde das Hochkar gesperrt. Zu groß war die Gefahr, dass entlang der Mautstraße Lawinen abgehen und Fahrzeuge sowie Menschen mitreißen könnten oder bei medizinischen Notfällen eine Versorgung nicht mehr gewährleistet werden könnte. Hubschrauberflüge waren in diesen Tagen aufgrund der schlechten Sicht nicht möglich.

„Der spannendste Urlaub überhaupt“

Die meisten Touristen waren ohnehin schon am Tag vor der Evakuierung abgereist. Doch nun musste auch der Rest, etwa 100 Gäste, Mitarbeitende, Bewohnerinnen und Bewohner, die Region innerhalb weniger Stunden verlassen – im Konvoi begleitet von Einsatzkräften. Laut Hotelbetreiber Johannes Putz hätten damals alle Gäste Verständnis gezeigt und teilweise sogar gemeint: „Es war der spannendste Urlaub überhaupt.“

Fotostrecke mit 9 Bildern

Hochkar Räumung über Alpenstraße
Markus Posch
Im Konvoi mussten etwa 100 Gäste – begleitet von Einsatzkräften – das Skigebiet verlassen
Hochkar Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar im Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar im Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar gesperrt Schnee
ORF/Posch
Hochkar Jänner 2019 Räumung
Markus Posch
Situation am Hochkar im Jänner 2019
ORF

Fred Jagersberger, der sich selbst als „Ureinwohner“ am Hochkar bezeichnet, schilderte in diesen Tagen gegenüber noe.ORF.at: „Ich habe das in 55 Jahren noch nicht erlebt.“ Nicht nur der Pensionist, auch alle anderen hatten Verständnis für die Sicherheitsmaßnahmen, denn die Wetterprognosen prophezeiten für die kommenden Tage noch mehr Schnee. „Dann wird es wirklich gespenstisch hier heroben“, so ein Bewohner.

Fünf Bewohner bleiben zurück

Zurück blieben nur fünf Menschen, die alle Hände voll zu tun hatten. Wegen Schneeverwehungen von bis zu zweieinhalb Metern wurde versucht, die Zufahrtsstraßen zu den Häusern freizuhalten. Fahrzeuge, die vor der Evakuierung nicht mehr untergestellt werden konnten oder nicht ansprangen und nun vom Schnee überhäuft waren, wurden mit Stangen markiert. Die meiste Zeit verbrachten die fünf Personen deshalb, mit Ausnahme von kurzen Essenspausen, im Freien.

Die Vorratslager waren zu Beginn der Saison gut gefüllt worden, Sorgen um Engpässe bei der Versorgung hatte man deshalb nicht. Und auch die Gefahr vor Lawinen war im Zentrum am Hochkar gebannt, denn die Häuser lagen außerhalb des Lawinengebiets. Auf Steilhängen und auf der Straße bestand allerdings Lebensgefahr.

Von der Außenwelt abgeschnitten

Im Dauereinsatz

Esletzbichler war zugleich Mitglied der Lawinenkommission und konnte dem Einsatzstab in Göstling somit auch regelmäßig Informationen und Updates liefern. „Sobald die Straße sicher ist, also alles abgesprengt ist, können wir von heroben beginnen, die Straßen mit unseren Maschinen freizulegen“, lautete damals der Plan.

Für diese Schaufelarbeiten in den kommenden Tagen wurde auch Unterstützung vom Bundesheer angefordert. „Die Liftanlagen sind meterhoch mit Schnee bedeckt, die Stationen sieht man nicht. Zudem müssen wir die Gastronomiebetriebe und Wohnhäuser vom Schnee frei bekommen, da ist unbedingt Hilfe notwendig“, sagte Bürgermeister Friedrich Fahrnberger (ÖVP).

Das Hochkar als Katastrophengebiet

Der Ortschef ging zunächst von zwei bis drei Tagen aus, ehe die Hochkar-Alpenstraße geräumt und das Skigebiet wieder freigegeben werden konnte. Doch die Sitzung der Lawinenkommission, die fortan jeden Morgen tagte, kam zu einem anderen Schluss: Zwei Tage nach der Evakuierung wurde das Hochkar zum Katastrophengebiet erklärt.

Sperre der Hochkar Alpenstraße im Jänner 2019
ORF/Sailer
Zwei Tage nach der Evakuierung wurde das Skigebiet zum Katastrophengebiet erklärt

Der Winter hatte Anfang Jänner 2019 aber nicht nur das Hochkar, sondern weite Teile des südlichen Niederösterreichs im Griff. Die Folge: Stromausfälle durch gekappte Leitungen, enorme Schneemengen und Lawinengefahr. Neben den Ybbstaler Alpen galt auch in der Rax-Schneeberggruppe mit 4 die zweithöchste Warnstufe.

Die Behörden warnten eindringlich vor Touren im freien Gelände. Wegen großer Lawinengefahr wurden die Skigebiete Lackenhof am Ötscher (Bezirk Scheibbs) und die Gemeindealpe (Bezirk Lilienfeld) gesperrt.

Im Mostviertel hatte die Schneelast zahlreiche Bäume geknickt, in knapp 300 Haushalten fiel der Strom aus. Die EVN musste deshalb gemeinsam mit der Feuerwehr die Versorgung mit Notstromaggregaten sicherstellen. In Annaberg (Bezirk Lilienfeld) mussten dutzende Dächer vom Schnee befreit werden.

Dächer von Schneelast bedroht

„Auf manchen Häusern liegt eine Schneedecke von bis zu dreieinhalb Metern“, schilderte Stefan Obermaißer, Zugkommandant der Feuerwehr-Bereitschaftseinheit Tulln, damals die Lage: „Problematisch wir es vor allem, wenn es jetzt taut und die Last auf den Dächern schwerer wird.“

Sieben Gemeinden waren von den enormen Schneemengen besonders betroffen. Im Bezirk Lilienfeld waren es Annaberg, Kleinzell, Mitterbach und St. Aegyd, im Bezirk Scheibbs Gaming, Göstling an der Ybbs und Puchenstuben. Das Land sicherte allen Betroffenen rasche Hilfe zu.

Freiwillige Helferinnen und Helfer im Dauereinsatz

Am Hochkar wurden unterdessen von einem Heereshubschrauber aus erste Lawinen gesprengt. Doch das Wetter spielte den Einsatzkräften zunächst nicht in die Hände: Wegen schlechter Sicht konnte kaum geflogen werden. „Darauf sind wir aber angewiesen, um mit der Schneeräumung der Alpenstraße beginnen zu können“, erklärte Landesfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner.

Erst fünf Tage nach der Evakuierung erteilte ein Sachverständiger die Freigabe, dass die Straße ins Skigebiet freigeräumt werden kann. Am Samstagnachmittag erfolgte der „Durchbruch“: Die von beiden Seiten kommenden Räumfahrzeuge, die dabei waren, die Straße für Feuerwehr und Bundesheer passierbar zu machen, trafen aufeinander. Auch dann durften vorerst aber nur Einsatzkräfte die Straße befahren.

„Absoluter Ausnahmezustand“

Bürgermeister Fahrnberger machte sich mit den Einsatzkräften noch am gleichen Tag ein erstes Bild von der Lage am Hochkar. Sein Fazit: „Es herrscht ein absoluter Ausnahmezustand in dem Gebiet, das wird die Einsatzkräfte sehr fordern. Was wir da oben gesehen haben, sieht verheerend für mich aus.“ Die Schneeverwehungen waren drei bis vier Meter hoch, teilweise drang der Schnee schon in Lokale ein.

Situation am Hochkar im Jänner 2019
ORF
Das Hochkar war im Jänner 2019 komplett von einer dicken Schneedecke überzogen

Überrascht hatte Fahrnberger aber, dass die Zufahrtswege zu den Lokalen und Häusern am Hochkar freigehalten wurden. „Alle fünf Bewohner, die oben geblieben sind, haben also fleißig gearbeitet“, stellte er fest.

Hunderte Helfer von Feuerwehr und Bundesheer standen schließlich im Einsatz, um die Gebäude und Liftanlagen bei der Talstation am Hochkar auf 1.400 Metern Seehöhe freizuschaufeln. Zuvor musste der Straßendienst aber nochmals die Hochkar-Alpenstraße räumen, weil der Neuschnee in der Nacht mehrere Stellen blockiert hatte.

Auch abseits des Hochkars waren zu diesem Zeitpunkt weiterhin 150 Feuerwehrleute in Annaberg und Kleinzell damit beschäftigt, Schnee von Hausdächern zu schaufeln. In Ulrichsberg musste eine Familie in einem entlegenen Haus von der Feuerwehr mit Lebensmitteln versorgt werden. Die Zufahrt war seit mehreren Tagen durch die Schneemassen blockiert. Drei Feuerwehrleute brachen – ausgerüstet mit Essensrucksäcken – zu einem 45-minütigen Fußmarsch zu der Familie auf.

Einsatzkräfte am Hochkar eingeschlossen

Und dann musste die Hochkar-Alpenstraße erneut gesperrt werden. Im Gebiet der Fahrbahn waren Lawinen abgegangen, etwa 180 Personen waren am Hochkar plötzlich eingeschlossen. Die Situation sei kritisch, sagte Fahrnberger nach einer Lagebesprechung: „Es gibt einen totalen Stromausfall, Notstromaggregate sind aber im Einsatz.“

Fotostrecke mit 10 Bildern

Hochkar Schneeeinsatz
BFKDO/SCHEIBBS
3.000 Einsatzkräfte waren im Vorjahr am Hochkar und in den Nachbarregionen wegen der Schneemassen im Einsatz
Hochkar Schneeeinsatz
BFKDO/SCHEIBBS
Hochkar
BFKDO/SCHEIBBS
Hochkar Schneeeinsatz
BFKDO/SCHEIBBS
Situation am Hochkar im Jänner 2019
ORF
Schneechaos im Jänner 2019 am Hochkar
ORF
Hochkar Schneeeinsatz
BFKDO/SCHEIBBS
Hochkar im Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar im Jänner 2019
Markus Posch
Hochkar Alpenstraße im Jänner 2019
ORF

Unter den Eingeschlossenen waren Mitglieder von Feuerwehr und Bundesheer sowie Personal der Hochkar-Betriebe, die unter anderem die Verköstigung der Einsatzkräfte übernommen hatten. Noch am selben Tag konnte die Stromversorgung wieder hergestellt werden, einen Tag später wurde – nach mehreren Lawinensprengungen – auch die Straße kurzfristig für eine Versorgungsfahrt mit Lebensmitteln, Treibstoff und Medikamenten im Gepäck freigegeben. Heiß ersehnt wurde aber auch ein Heizungstechniker, weil in einer der Unterkünfte tagsüber die Heizung ausgefallen war.

Das Wetter dreht sich

Erst nach fast zwei Wochen hatte der Wettergott offenbar ein Einsehen. Nach wochenlangen Schneestürmen herrschte plötzlich Bilderbuchwetter. Zugleich konnte die Mautstraße für Einsatzkräfte und Versorgungstransporte zweispurig geöffnet werden. Feuerwehrleute, Soldaten und Mitarbeitende der Bergbahn-Betriebe schaufelten unterdessen weiter die Liftstation und Gastronomiebetriebe von den enormen Schneemassen frei.

Das große Freischaufeln am Hochkar

Und dann hieß es schließlich: „Das Hochkar ist wieder frei“ und kein Katastrophengebiet mehr. Die Alpenstraße konnte wieder befahren werden und auch fast alle Lifte gingen wieder in Betrieb. Das Katastrophengebiet Neuhaus in der Gemeinde Gaming (Bezirk Scheibbs) wurde noch am selben Tag ebenfalls aufgehoben.

„Grenzen der Belastbarkeit“

Besondere Erleichterung herrschte bei Bürgermeister Fahrnberger: „Alles, was kommen konnte, ist gekommen, vom Krisenmanagement über Strom- und Wasser- bis zum Heizungsausfall. Das hat uns sehr gefordert und ist eigentlich fast an die Grenzen der Belastbarkeit gegangen.“ Ab sofort würden die Gäste bei wunderbarer Kulisse Ski fahren können, wurde prophezeit: "So viel Schnee haben wir noch nie gehabt.“

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 9.12.2022

Als Dank wurden die Einsatzkräfte einige Wochen später zu einem gemeinsamen Skitag geladen. „Diese Katastrophe hat uns noch mehr zusammengeschweißt. In der Not hält man noch mehr zusammen und das war großartig“, dankte der Göstlinger den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern von Feuerwehr und Bundesheer.

Einbruch im Tourismus

Das Schneechaos sorgte auch für einen Einbruch im Tourismus: Während in anderen Jahren der Jänner touristisch gesehen viele Wintergäste gebracht hat, gingen die Nächtigungszahlen 2019 um fast ein Viertel zurück. Das Land startete daraufhin eine Marketingoffensive. Im Februar stiegen die Nächtigungszahlen am Hochkar bereits wieder stark an. Die Bilder von den verschneiten Skigebieten Niederösterreichs gingen damals immerhin nicht nur über die Landes- sondern auch über die Bundesgrenzen hinaus.

Situation am Hochkar im Jänner 2019
ORF
Der Tourismus kam wegen der enormen Schneemassen kurzfristig zum Erliegen

Doch während die Einsatzkräfte und Tourismusbetriebe durchatmen konnten, waren in den folgenden Wochen die Waldbesitzer gefordert. Tausende Bäume hatten der Schneelast nicht standgehalten, waren abgebrochen oder wurden umgerissen. In den Wäldern wartete deshalb viel Arbeit und die Zeit drängte, wie ein Lokalaugenschein in Kleinzell (Bezirk Lilienfeld), einer der waldreichsten Gemeinden im Land, zeigte.

„Sie kommen unverhofft, fallen plötzlich um oder brechen ab“, schilderte Hannes Gaupmann gegenüber noe.ORF.at. Der Gastwirt und Waldbesitzer rückte damals über Tage immer wieder mit seinem Traktor aus, um Bäume zu entfernen. „Man weiß nie, wann der nächste umfällt, und darum schneiden wir im Moment aus Gefahr in Verzug immer wieder Bäume um.“

Fichte, Kiefer und Esche betroffen

Vor allem Fichten und Kiefern waren betroffen, aber auch Eschen, die durch einen Pilz ohnehin geschwächt waren. „Je nach Feuchtigkeit und Gefrierungsgrad kommen auf einen Kubikmeter Schnee 500 bis 900 Kilogramm. Hier lastet also ein immenses Gewicht auf den Bäumen“, rechnete Reinhard Hagen von der Landesforstdirektion vor.

Tiefverschneiter Wald in Kals am Großglockner
APA/EXPA/Johann Groder
Die Schäden in den Wäldern wurden erst im Laufe des Frühjahres sichtbar

Dazu komme, dass der Boden nicht gefroren war. Viele Bäume brachen deshalb nicht nur ab, sondern stürzten um. Besonders betroffen waren Wälder auf einer Seehöhe zwischen 700 und 1.200 Metern: „In dieser Höhenlage war der Schnee so schwer, dass er sich angelegt hat und in den Kronen haften geblieben ist. Der Wind hat die Bäume dann immer mehr umgedrückt“, erzählt Hagen.

Wettlauf gegen den Borkenkäfer

Vor allem sei es laut Hagen ein Wettlauf gegen den Borkenkäfer gewesen: „Schadholz bedeutet Futter für den Borkenkäfer. Nachdem dieser schon 2018 zu großen Problemen geführt hat und er in vielen Regionen – speziell im Waldviertel, also im Norden Österreichs – für große Schäden gesorgt hat, drängt also die Zeit.“

Und der Forstexperte sollte Recht behalten, denn in den folgenden ein bis zwei Jahren trat der Schädling in der Region verstärkt auf. Doch fast allen Waldbesitzern sei damals, nicht zuletzt durch die großen Schäden im Waldviertel ab Mitte der 2010er Jahre, die drohende Gefahr bewusst gewesen, wenn man nicht handelt. Hagen spricht heute von einem Lernprozess, wodurch die Schäden durch den Käfer in Grenzen gehalten werden konnten.