Barrierefreiheit bei Wahlen
ORF/Felix Novak
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Wahl 23

Wie barrierefrei die Landtagswahl ist

Das Wahlrecht ist in Österreich das zentrale Mittel, um politisch mitbestimmen zu können – auch für Menschen mit Behinderung. Einige Barrieren sind auf dem Weg zur inklusiven Wahl schon beseitigt worden, doch bei weitem nicht alle.

Dass Sandra Rauscher diese Woche in ihrer Heimatgemeinde Langenlois (Bezirk Krems) wählen geht, ist für sie eine Selbstverständlichkeit. „Im Wahllokal sind sie schon auf mich eingestellt. Sie kennen mich alle und fragen, ob sie helfen können.“

Seit ihrer Geburt hat Rauscher eine Sehbehinderung. Auf einem Auge beträgt die Sehkraft zehn Prozent, auf dem anderen nur neun Prozent. Bei ihrem Wahlverhalten beeinträchtigt sie das nicht, ihr Wahllokal ist für sie barrierefrei zu erreichen.

Eine Schablone für das Kreuz an der richtigen Stelle

Viele Menschen mit Sehbehinderung, so auch Rauscher, gehen gemeinsam mit einer Begleitperson zur Wahl, andere greifen zu einer speziellen Schablone. Beide Maßnahmen sind den Betroffenen mittlerweile gesetzlich garantiert. Die Schablonen müssen demnach in jedem Wahllokal aufliegen; sie werden über den Stimmzettel gelegt, um die richtige Position für das eigene Kreuzchen bestimmen zu können.

Barrierefreiheit bei Wahlen
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Die Schablone wird über den Stimmzettel gelegt – bei dessen Größe bei der Landtagswahl eine Herausforderung

Dafür müssen sich die Betroffenen im Vorfeld die Reihenfolge der Parteien sowie bei Bedarf jene der Kandidatinnen und Kandidaten merken. Dann wird auf der Schablone abgezählt und bei der entsprechenden Aussparung das Kreuz gemacht. „Bei der Landtagswahl ist das eher schwierig, weil es so ein großer Wahlzettel ist“, meint Rauscher. Während es etwa bei der jüngsten Bundespräsidentschaftswahl lediglich sieben Kandidaten und demnach sieben Aussparungen auf der Schablone gab, sind es nun mehrere Dutzend, aufgeteilt in Landes- und Bezirkslisten.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 23.1.2023

Rauscher nutzt die Schablonen normalerweise nicht, sie vertraut auf ihren Ehemann und auf zusätzliche Hilfsmittel. So lässt sich etwa mit einem speziellen mobilen Gerät Text vergrößern, mit einem anderen wird erkannter Text vorgelesen, sagt die Waldviertlerin: „Bei mir war das Wählen eigentlich nie ein Problem.“

Unterschiede zwischen Stadt und Land

Allerdings berichtet Rauscher, die sich auf Bezirksebene für die Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen engagiert, von einem Land-Stadt-Gefälle. Je größer die Stadt, desto anonymer die Behandlung in den Wahllokalen – und desto schwieriger könne es für Menschen mit Sehbehinderung werden.

Außerdem seien noch immer nicht alle Wahllokale barrierefrei: „Die Sehschwachen und Blinden haben Schwierigkeiten mit baulichen Dingen, zum Beispiel Glastüren.“ Auch Stiegen seien für Menschen mit geringer Sehkraft oft zu wenig gekennzeichnet, bemängelt sie.

Barrierefreiheit bei Wahlen
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Hilfsmittel wie etwa ein Gerät zur Schriftvergrößerung verhelfen sehschwache Menschen wie Sandra Rauscher zu einem selbstbestimmten All- und Wahltag

Lebenshilfe: Österreich bei UN-Konvention säumig

Ähnliches kritisiert auch Matthias Novotny. Er leitet die Stabsstelle Inklusion und Innovation der Lebenshilfe Niederösterreich und fordert rasche Maßnahmen – denn auf dem Weg zu einer barrierefreien Wahl auch für Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderung gebe es noch einiges zu tun.

„Vor vierzehneinhalb Jahren ist in Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten und auch heute sind immer noch nicht alle Wahllokale barrierefrei, sprich mit einem Rollstuhl, erreichbar“, so Novotny. Zwar gebe es in jeder Gemeinde zumindest ein barrierefreies Wahllokal, aber „wenn dieses in einer größeren Gemeinde weit entfernt ist, dann ist das für Personen mit einer Gehbehinderung mit einem immensen Mehraufwand verbunden“.

Zusätzlich seien die Informationen, wie man zu Wahlkarten komme, für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung unzureichend. Außerdem wäre es laut Novotny wünschenswert, Fotos der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten auf dem Stimmzettel abzudrucken, um auch jenen eine Wahl zu ermöglichen, die nicht lesen können.

Abwägung zwischen Nähe und Barrierefreiheit

1.874 von 2.623 Wahlsprengeln sind laut Angaben des Landes barrierefrei – „bei den restlichen Wahllokalen ist dies wegen örtlicher Gegebenheiten leider nicht möglich“, heißt es in einer Stellungnahme gegenüber noe.ORF.at. Eine Abwägungssache: Schließlich würde Verzicht auf derartige Standorte zu längeren Zugangswegen für Wahlberechtigte führen, so die Begründung. Immobile Menschen könnten zudem in jeder Gemeinde eine „fliegende Wahlkommission“ in Anspruch nehmen.

Einen Zielkonflikt gebe es auch beim Thema Wahlinformation in einfacher Sprache, schließlich müsse man als Wahlbehörde trotzdem bei juristisch eindeutigen Formulierungen bleiben. „Gerade bei vergangenen Wahlgängen hat die gängige Rechtsprechung der Eindeutigkeit eine höhere Gewichtung gegeben“, heißt es in dem Statement.

Anfang Jänner veröffentlichten die Behörden eine Broschüre in einfacher Sprache, die zumindest die grundlegendsten Fragen beantworten soll – mehr dazu in Wahlinfos auch in einfacher Sprache (noe.ORF.at; 7.1.2023). Für Fotos auf dem Stimmzettel schließlich bräuchte es laut Wahlbehörde einen politischen Mehrheitsbeschluss.

Der Wahlkampf im ORF

Alle nationalen Sendungen zur Landtagswahl – also die TV-Diskussion am Donnerstagabend aus dem Landhausschiff sowie die ZIB-Spezial-Sendungen am Wahltag ab 15.30 Uhr – werden untertitelt und in österreichischer Gebärdensprache übertragen.

Die Radiosondersendung am Sonntag auf Radio NÖ beginnt um 16.00 Uhr.

Kritik an wahlwerbenden Parteien

Die antretenden Parteien sind laut Novotny aber auch im Wahlkampf nachlässig: „Sie stellen keine bzw. unzureichend Materialien zur Verfügung, wofür sie als Parteien stehen und was ihre Ziele sind.“ Tatsächlich zeigen Recherchen von noe.ORF.at, dass nur eine der fünf Landtagsparteien ihr Wahlprogramm auch in einfacher Sprache veröffentlicht hat.

Lediglich bei der SPÖ ist ein solches auf der Website abrufbar. Dieses richte sich an „Menschen mit Einschränkungen, Nicht-Muttersprachler und Menschen mit beginnender Demenz“, die ansonsten von der politischen Beteiligung ausgeschlossen würden, heißt es dazu von den Sozialdemokraten.

Anfragen an die ÖVP und die FPÖ, ob es deren Wahlprogramme auch in einfacher Sprache gebe, blieben unbeantwortet. Bei den Grünen räumt man zwar den Verzicht auf einfache Sprache ein – die Partei habe allerdings „bewusst unsere Homepage zur Wahl ‚einfach‘ gehalten“, heißt es in einer Reaktion gegenüber noe.ORF.at. NEOS zufolge habe man bisher ein Wahlprogramm in einfacher Sprache nur bei der Nationalratswahl angeboten. „Wir arbeiten daran, so ein Programm auch für Landtagswahlen zur Verfügung zu stellen.“