Unter Altlandeshauptmann Erwin Pröll holte die ÖVP bei Landtagswahlen eines der historisch besten und das schlechteste Ergebnis in Niederösterreich. Der Minus-Rekord wurde am Sonntag gebrochen. Mit 39,94 Prozent liegt die ÖVP unter Spitzenkandidatin Johanna Mikl-Leitner so tief wie nie im Bundesland – 9,69 Prozentpunkte lautete das Minus im Vergleich zur Landtagswahl 2018.
Sendungshinweis
„NÖ heute“, 30.1.2023
Wo liegen die Gründe für die Wahlniederlage? Setzte die ÖVP auf die falschen Themen? Wie soll es für die Partei nun in Zukunft weitergehen und welche Vorgangsweise empfiehlt der Altlandeshauptmann nun der ÖVP? ORF-NÖ-Chefredakteur Benedikt Fuchs sprach mit Erwin Pröll in seinem Büro in Wien über diese Fragen.
noe.ORF.at: Es war eine historische Wahlniederlage der ÖVP gestern in Niederösterreich. Man hat sehr viel von der Parteichefin abwärts gehört. Zum Beispiel: Es sei eine reine Protestwahl gewesen. Wo orten Sie denn die Gründe, dass man so dramatisch verloren hat ?
Pröll: In solchen Situationen gibt es wie immer eine Vielzahl an Fakten, die zusammenspielen und dann zu einem derartigen Ergebnis kommen. Ich glaube, das kann man am Einzelnen gar nicht dingfest machen. Ich glaube, das Wichtigste ist jetzt zunächst einmal eine ehrliche und vor allem auch selbstkritische Analyse dieses Ergebnisses.
Denn nur das ist dann die Grundlage dafür, dass man auch die notwendigen Schritte in eine neue Richtung setzen kann. Und dann, und da ist die Zeit jetzt meines Erachtens schon langsam gekommen, ist es wichtig, dass nach den Emotionen des Wahltages, die letztendlich natürlich immer da sein müssen, denn Wahlen sind halt emotional bestückt, dass wieder Realitätssinn einkehrt. Wobei das Wichtigste ist, dass sowohl für die Sieger als auch für diejenigen, die enttäuscht sind, Demut angesagt ist vor einem derartigen Ergebnis.
Man kann es drehen und wenden wie man will. Die Wählerinnen und Wähler haben gesprochen und das sind Tatsachen und Entscheidungen. Da muss man mit der Realität am Boden bleiben. Denn mit der Demokratie darf man einfach nicht spielen. Das ist ein altes Faktum.
noe.ORF.at: Die Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat gestern sehr deutlich gemacht, dass sie fest im Sattel sitzt. Sie möchte auch durch schwierige Zeiten hindurchgehen. Sie waren ja selbst lange in der Politik. Der Verlust ist ja doch sehr, sehr deutlich. Und jetzt spricht man von einer Rückholaktion, der größten Rückholaktion des politischen Vertrauens. Kann das funktionieren, wenn man die gleichen Kräfte hat? Personell?
Pröll: Ja, das kommt darauf an, welche Rückschlüsse man durch dieses Wahlergebnis am Weg nach vorne zieht. Und darum habe ich gemeint, dass es so wichtig ist sehr realitätsnah und vor allem auch selbstkritisch zu agieren – was auch immer die Gründe waren. Ich glaube, das ist jetzt nicht mehr das Entscheidende, sondern das Entscheidende ist zu spüren und zu wissen, wohin die Reise zu gehen hat, um tatsächlich eine derartige Rückholaktion starten zu können.
Das ist natürlich nicht eine Aufgabe, die, so wie im Fußball, von einer Woche auf die andere zu lösen ist, sondern das ist schon ein langfristiges Projekt. Da braucht es zunächst einmal die richtige Strategie, da braucht es die notwendigen Ziele und vor allem: Es braucht die notwendige Konsequenz und Ausdauer, denn da braucht man schon einen langen Atem.

noe.ORF.at: Sie haben den Wahlkampf ja entspannter verfolgt als die aktiven ÖVP-Politikerinnen und Politiker. Hat man da manchmal auch die Themen nicht gesetzt, die die Menschen bewegen? Ist man da nicht vorgekommen? Waren die Sachen, auf die man gesetzt hat, die falschen? Wie analysieren Sie das?
Pröll: Wissen Sie, es ist auch immer wieder dasselbe. Wenn man eine Wahl gewinnt, dann stellt sich die Frage, ob es die richtigen Themen waren. Wenn man eine Wahl verliert, dann stellt man die Frage: Waren es tatsächlich die richtigen Themen? Ich glaube, der entscheidende Punkt ist jetzt tatsächlich, dass man punktgenau analysiert, dass man mit Demut an dieses Wahlergebnis herangeht, dass man auch Selbstkritik in sich selber verspüren muss.
Das ist dann, glaube ich, die gute Grundlage dafür, dass der richtige Weg gewählt werden kann in die Zukunft, um tatsächlich bei der nächsten Wahl wieder reüssieren zu können. Man darf nicht vergessen: Schon der Tag nach einer Wahl ist bestimmend für den nächsten Wahltag.
noe.ORF.at: Der Negativtrend der ÖVP auf Bundesebene gibt es ja schon länger. Da liegt man sogar deutlich darüber, wenn man sich das nur mit Zahlen ansieht. Haben Sie in den letzten Monaten auch große Fehler auf Bundesebene gesehen? Vom Bundesparteichef abwärts zur Volkspartei? ?
Pröll: Ich bin nicht dazu da, um das zu analysieren. Aber wenn ich mir ein allgemeines Urteil zutrauen darf, dann sage ich Ihnen: Ich bin gerade in den letzten Monaten zur Überzeugung gekommen, dass an und für sich aufgrund des gesamten politischen Umfelds auf der Bundesebene – wenn diese Gesetzgebungsperiode auf Bundesebene durchgemacht wird – absolut die Chance reif ist, dass Karl Nehammer als Nummer eins über die Ziellinie geht.
Ich weiß, das wird vielleicht die eine oder der andere heute als illusorisch abtun. Aber, wenn ich mir die gesamte Situation und das Parteiengefüge und die Art und Weise, wie die Parteien miteinander oder untereinander und vor allem auch in sich selbst agieren ansehe, dann sehe ich hier große Chancen.
Ich kann Ihnen sagen, nachdem ich ein sehr optimistischer Mensch bin, wenn in eineinhalb Jahren dann der Urnengang stattfindet für die Nationalratswahl, dann halte ich absolut es für möglich, dass die ÖVP wieder entsprechend reüssieren kann. Weil ich in der Person des Bundeskanzlers einfach merke, dass er eine klare Strategie und klare Ziele hat, er ist mit beiden Beinen am Boden und geht sehr konsequent nach vorne. Wahrscheinlich ist das auch seiner militärischen Ausbildung geschuldet.

noe.ORF.at: Es gibt neue Verhältnisse, auch in der Landesregierung, die es so nie gab. Man hat dort nicht mehr die Mehrheit als Volkspartei. Sie sind nicht mehr aktiv in der Politik. Aber was würden Sie empfehlen? Wie soll man da als ÖVP nun auf wen zugehen? Welche politische Mehrheit würden Sie empfehlen?
Pröll: Wenn tatsächlich dieses Miteinander, wie es kommuniziert wurde, auch praktiziert wird am Weg in die Zukunft, dann bin ich überzeugt davon, dass das Sinnvollste stattfinden kann. Nämlich, dass die politischen Parteien auch miteinander agieren und reagieren können. Denn der Wahlkampf ist natürlich geprägt von klaren Profilen und natürlich auch von klaren Auseinandersetzungen. Das ist ja auch gut so, denn die Wählerinnen und Wähler sollen ja auch unterscheiden können für ihre Wahlentscheidung.
Ich würde einfach empfehlen – und das bleibt im Allgemeinen –,dass man so rasch als möglich jetzt zu den Konstellationen kommt, die einen guten Fortgang für Niederösterreich gewährleisten können. Bei allem Widerspruch und Gegeneinander zwischen den politischen Parteien, glaube ich, darf man eines nicht übersehen: In letzter Konsequenz geht es einfach darum, dass im Land viel weitergeht.
Ich sage das natürlich auch mit einem besonderen Herzen. Denn 40 Jahre meines Lebens habe ich dazu aufgewendet und aus tiefer Überzeugung aufgewendet, alles daran zu setzen, um dieses schöne Bundesland Niederösterreich weiterentwickeln zu können. Natürlich war das auch mit entsprechenden Hürden gepflastert, überhaupt keine Frage. Aber letztendlich, wenn diejenigen, die Verantwortung tragen, guten Willens sind im Sinne des Fortgangs für das Land, dann kommt auch bei noch so großen Unterschieden was Gutes heraus.
noe.ORF.at: Die ÖVP hat sehr stark im ländlichen Bereich verloren, dort, wo man eigentlich sehr stark ist. Da gibt es ja viele Beispiele. Tut Ihnen das auch besonders weh, wenn Sie das sehen?
Pröll: Ich habe jetzt die Detailanalysen des Wahlergebnisses, insbesondere regional, nicht vor mir. Aber dort, wo natürlich hohe Prozentsätze der ÖVP vorhanden waren, dort wo viel ist, kann man auch viel verlieren. Wo wenig ist, kann man natürlich auch weniger verlieren.
Ich glaube, es ist jetzt wichtig und das machen natürlich die Analytiker auf professioneller Ebene, dass man jetzt nicht versucht, irgendeine Region gegenüber der anderen auszuspielen. Das ist letztendlich auch nicht mehr relevant, sondern das Relevanteste ist, einfach sehr sensibel zu orten. Wo ist anzusetzen, um diese Rückholaktion wieder gut starten zu können.