Haber: „Enormer Mehrbedarf an Pflege“

Die Abschaffung des Pflegeregresses ist für Gottfried Haber, Professor am Department für Wirtschaft und Gesundheit der Donauuniversität Krems, nur ein erster Schritt. Langfristig sieht er deutlich größere Herausforderungen.

noe.ORF.at: Studien zeigen, dass Menschen am liebsten zu Hause gepflegt werden. Viele sehen jetzt in der Abschaffung des Pflegeregresses einen Anreiz, ins Heim zu gehen. Wie beurteilen Sie das?

Gottfried Haber: Generell ist die Abschaffung des Pflegeregresses ein Schritt in die richtige Richtung. Es waren hier sehr unterschiedliche Regelungen der Bundesländer vorhanden. Es wird jetzt niemand freiwillig sagen, ich gehe in ein Heim, obwohl er das vorher nicht wollte, aber es gibt hier sicher Faktoren, wo aus finanziellen Gründen, um den Nachkommen etwas unbelastet zu hinterlassen, jemand vielleicht den Schritt nicht gemacht hat.

Es wird also schon eine steigende Nachfrage geben. Viel wesentlicher aber ist, dass wir immer länger leben, aber nicht notwendigerweise immer gesünder werden. Es wird langfristig einen enormen Mehrbedarf an Pflege geben.

Gottfried Haber zu Pflegeregress

ORF

Der Ökonom Gottfried Haber zu Gast im „NÖ heute“-Studio

noe.ORF.at: Wenn jetzt die Pflege steigt, erhöhen sich auch die Kosten. Wie kann man das System aus Ihrer Sicht nachhaltig und zukunftsfähig finanzieren?

Haber: Es geht darum, dass wir tatsächlich ein Pflegesystem brauchen, das finanziell abgesichert ist. Eigentlich ist es gar nicht so kompliziert. Wir selbst müssen dafür vorsorgen, dass wir, wenn wir im Alter pflegebedürftig sind, diese Pflege auch bekommen. Also im Schnitt muss jeder für sich selbst vorsorgen. Jetzt gibt es Menschen, die können das leichter, und Menschen, die können das finanziell nicht, und es gibt Menschen, die machen das oder tun es nicht. Daher spricht hier alles für ein generelles System, wo auch in irgendeiner solidarischen Art und Weise die Pflege sichergestellt wird.

noe.ORF.at: Wenn Sie sagen, dass auch jeder für sich selbst wird vorsorgen müssen - ist da auch eine Pflegeversicherung ein Thema für die Zukunft?

Haber: Ein möglicher Ansatz ist eine Pflegeversicherung. Das ist auch ein klassischer Versicherungsfall. Man weiß ja nicht, ob und wie lange man gepflegt werden muss. Es betrifft aber letztendlich alle Menschen. Ein anderer Ansatz, der diskutiert wird, betrifft eine reine Steuerfinanzierung. In irgendeiner Form müssen wir das Problem aber lösen. Die Diskussion über die Finanzierung wird jetzt dringend zu führen sein, denn die Kosten werden jedes Jahr größer werden.

noe.ORF.at: Noch eine Frage an Sie als Ökonom: Im Parlament hat es viele Beschlüsse gegeben, und zum Beispiel hat der Tiroler Landeshauptmann Platter gesagt, dass jetzt unglaublich viel Geld ausgegeben wird. Sehen Sie diese Beschlüsse nachhaltig finanziert?

Haber: Die jetzt getroffenen Beschlüsse sind zu einem Großteil nicht im Bundesfinanzrahmen und auch nicht im Budget enthalten. Das heißt, hier muss tatsächlich noch eine Finanzierung aufgestellt werden. Es wäre sehr wichtig, wenn eine gewisse Zurückhaltung herrscht, dass nur langfristig sinnvolle Maßnahmen beschlossen werden und man auch immer darauf achtet, dass jemand das in Zukunft bezahlen muss.

Das Gespräch mit Gottfried Haber führte Margit Laufer, noe.ORF.at.

Links: