Emmaus: 35 Jahre im Dienste der Nächstenliebe

Die Emmausgemeinschaft wurde 1982 von Karl Rottenschlager in St. Pölten gegründet. Ursprünglich war die Institution als Auffangnetz für entlassene Strafgefangene gedacht, heute ist sie eine unverzichtbare Sozialeinrichtung.

Ein kleines Haus in der St. Pöltner Herzogenburgerstraße wurde 1982 zum Ausgangspunkt einer breiten Initiative. Im Stammhaus beherbergte der damalige Sozialarbeiter Karl Rottenschlager zunächst sieben frühere Strafgefangene. Rottenschlager arbeitete zuvor neun Jahre als Sozialarbeiter in der Justizanstalt Stein.

Emmausgemeinschaft St. Pölten

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„Emmaus ist eine Weggemeinschaft“, sagt Gründer Karl Rottenschlager

Heute zählt die Emmausgemeinschaft acht Standorte in St. Pölten. Das Angebot reicht von Notschlafstellen und Wohnheimen für Männer, Frauen und Jugendliche bis hin zur Tischlerei und Kunstwerkstätte. Mehr als 300 Menschen werden in den Einrichtungen täglich betreut.

Die Tendenz ist steigend, denn mit zunehmendem Leistungsdruck wächst die Zahl der psychisch beeinträchtigten Personen. Um diese Menschen will sich die Emmaus in Zukunft verstärkt kümmern, sagt Karl Rottenschlager im Gespräch mit noe.ORF.at.

Emmausgemeinschaft St. Pölten

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Karl Rottenschlager

noe.ORF.at: Für Haftentlassene gab es damals keine Perspektive. Inwiefern war das der Grund für die Gründung von Emmaus?

Karl Rottenschlager: Die Emmaus-Idee ist tatsächlich in Stein entstanden. Ich habe es als skandalös empfunden, wenn 550 Häftlinge in Stein entlassen werden und zwei Drittel von ihnen sozusagen ins ‚Nichts‘ gehen, also weder Arbeit noch Quartier haben. Da ist der Rückfall vorprogrammiert.

noe.ORF.at: Das heißt, es war auch als Präventivmaßnahme gedacht. Sie sagten einmal in einem früheren Interview, St. Pölten habe eine der niedrigsten Kriminalitätsraten unter den Landeshauptstädten. Wie stehen Sie dazu heute?

Rottenschlager: Das ist meiner Meinung nach auch heute so, und Emmaus hat dazu beigetragen. Jeder Zweite, der bei uns durchgegangen ist - und das waren etwa 10.000 Menschen - ist vorbestraft. Das ist auch von der Kriminalprophylaxe ein unglaublich wichtiger Faktor, damit die Menschen, die straffällig geworden oder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, eine faire Chance bekommen.

noe.ORF.at: Wie würden Sie die Idee der Emmausgemeinschaft beschreiben?

Rottenschlager: Emmaus ist eine Weggemeinschaft, in der wir mit Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden oder die überhaupt ausgegrenzt sind, ein Stück des Lebensweges gemeinsam gehen.

Emmausgemeinschaft St. Pölten

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Rottenschlager: „Wie kann die Heilung seelischer Wunden passieren? Das Schlüsselwort ist Liebe“

noe.ORF.at: Viele Emmaus-Gäste sind in Heimen oder Pflegefamilien groß geworden. Kann die Emmausgemeinschaft für diese Menschen die Familie ersetzen?

Rottenschlager: Die meisten Gäste, die zu uns kommen, sind seelisch zutiefst verwundet und die Zwölferfrage lautet: Wie kann die Heilung seelischer Wunden passieren? Ich sage, es geht ganz einfach: Das Schlüsselwort ist Liebe. Die meisten glauben, das ist etwas Sentimentales, aber das heißt nichts anderes als ‚Ich nehme dich an‘ - und zwar so wie du bist, egal was vorher war.

Das Gespräch mit Karl Rottenschlager führte Doris Henninger, noe.ORF.at

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