VfGH hebt Regelung zur Mindestsicherung auf

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat die Regelung der Mindestsicherung in Niederösterreich aufgehoben. Die von der Aufenthaltsdauer abhängige Wartefrist und die Deckelung der Höhe seien verfassungswidrig, heißt es.

Konkret beschäftigte sich der Verfassungsgerichtshof in seiner Märzsession mit zwei niederösterreichischen Bestimmungen zur Mindestsicherung, die seit Jänner 2017 gelten und gegen die insgesamt 160 Beschwerden beim Landesverwaltungsgericht eingegangen waren:

  • Personen, die sich innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf in Österreich aufgehalten haben, bekommen geringere Leistungen, nämlich maximal 522,50 Euro.
  • Leben mehrere Personen in einem Haushalt oder einer Wohngemeinschaft dürfen sie zusammen höchstens 1.500 Euro aus der Mindestsicherung beziehen.

Diese Bestimmungen seine mit sofortiger Wirkung nicht mehr anzuwenden, heißt es in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 7. März 2018. Eine von der Dauer des Aufenthalts in Österreich abhängige Wartefrist für die Mindestsicherung in voller Höhe und eine starre Deckelung der Bezugshöhe bei Haushalten mit mehreren Personen in dem Gesetz seien „unsachlich und daher verfassungswidrig“.

Verfassungsgerichtshof Wien

APA/Helmut Fohringer

Entscheidung mit sofortiger Wirkung

Die Begründung: „Das mit § 11b NÖ MSG geschaffene System [Deckelung, Anm.] nimmt keine Durchschnittsbetrachtung vor, sondern verhindert die Berücksichtigung des konkreten Bedarfes von in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen. Dadurch verfehlt dieses System der Bedarfsorientierten Mindestsicherung ab einer bestimmten Haushaltsgröße seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen.“

Zur Frage der Deckelung verwies der Gerichtshof auf seine bisherige Rechtsprechung: „Auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person bei zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft abnehmen mögen, so ist doch immer noch je weitere Person ein Aufwand in einiger Höhe erforderlich.“ Es gebe also keinen sachlichen Grund, richtsatzmäßige Geldleistungen für eine Haushaltsgemeinschaft ab einer bestimmten Anzahl von Haushaltsangehörigen abrupt zu kürzen.

Der Gerichtshof habe sich „nicht veranlasst“ gesehen, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Das System der niederösterreichischen Mindestsicherung stellt grundsätzlich auf den konkreten Bedarf der betroffenen Personen ab. Die Deckelung hingegen begrenzt den Anspruch „in Abkehr“ von diesem System unabhängig von der Zahl der Personen mit einem fixen Betrag. Wörtlich heißt es in dem Erkenntnis: „Damit hat der niederösterreichische Gesetzgeber eine unsachliche Regelung geschaffen: Wenngleich 1.500 Euro für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein können, verhindert das NÖ MSG eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung.“

VfGH ortet „Ungleichbehandlung“ durch Wartefrist

Neben der Deckelung der Bezugshöhe wird vom Verfassungsgerichtshof auch die Wartefrist kritisiert. Die niederösterreichische Landesregierung begründe die Wartefrist mit dem Erfordernis der Integration sowie der Setzung eines Anreizes zur Arbeitsaufnahme. Dem hält der VfGH entgegen, dass die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft eine vorhandene Integration bereits voraussetze.

Die Differenzierung nach der Aufenthaltsdauer könne auch nicht mit einem Anreiz zur Arbeitsaufnahme begründet werden: „Für den Verfassungsgerichtshof ist nicht erkennbar, weshalb österreichische Staatsbürger, die innerhalb der letzten sechs Jahre weniger als fünf Jahre in Österreich aufhältig waren, einen stärkeren Arbeitsanreiz benötigten, zumal der bloße Aufenthalt im In- oder Ausland keinerlei Rückschluss auf die Arbeitswilligkeit der Person zulässt.“

Die Regelung führe daher zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung österreichischer Staatsbürger untereinander je nach Aufenthaltsdauer in Österreich innerhalb der letzten sechs Jahre. Die Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer in Österreich sei zudem im Hinblick auf Asylberechtigte (Personen, denen internationaler Schutz bereits zuerkannt wurde) unsachlich.

„Asylberechtigte mussten ihr Herkunftsland wegen ‚wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden‘ verlassen und können aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren. Asylberechtigte können daher im vorliegenden Zusammenhang nicht mit anderen Fremden (Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen), denen es frei steht, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren, gleichgestellt werden“, so der VfGH.

Novelle war seit Jänner 2017 in Kraft

Die nun aufgehobene Novelle des Mindestsicherungsgesetzes wurde im November 2016 im niederösterreichischen Landtag beschlossen und gilt seit Anfang 2017. Dem Alleingang Niederösterreichs waren wochenlange Streitigkeiten zwischen Bund und Länder voran gegangen. Eine bundesweit einheitliche Reform der Mindestsicherung war gescheitert. Die niederösterreichische Regelung wurde damals im Landtag von ÖVP, FPÖ und Abgeordneten der Liste Frank beschlossen - mehr dazu in Landtag: Mindestsicherung neu beschlossen (noe.ORF.at; 17.11.2016)

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