Heimschließungen: Expertin „tief erschüttert“

Rund um die Schließungen von Jugendheimen hat sich nun Expertin Silke Birgitta Gahleitner zu Wort gemeldet. In einer Studie attestierte sie den Heimen 2016 eine gute Qualität. Die jüngsten Vorwürfe seien „zutiefst erschütternd“.

Zwischen 2014 und 2016 beschäftigte sich Silke Birgitta Gahleitner intensiv mit den Einrichtungen der Therapeutischen Gemeinschaften (TG). Gahleitner ist Professorin für Klinische Psychologie und Sozialarbeit an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. In einer ausführlichen Studie bescheinigte sie den Kinder- und Jugendwohnheimen damals eine „überdurchschnittliche Qualität“. Über die jüngsten Vorgänge rund um die Schließungen von drei Kinder- und Jugendwohnheimen zeigt sie sich gegenüber noe.ORF.at „zutiefst erschüttert“.

Die Causa auf einen Blick:

Die Vorgänge rund um die Heimschließungen gibt es in einer umfassenden Überblicksgeschichte zum Nachlesen:

Die Ereignisse im Überblick

„Uns sind die Leitung sowie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stets in großer Offenheit, in Transparenz und auch in einer sehr offenen Neugier auf die empirischen Ergebnisse entgegengekommen. Das ist eher unüblich für Einrichtungen, die etwas verbergen möchten“, erklärte Gahleitner gegenüber noe.ORF.at. Zusammen mit ihrem Team habe sie eine ganze Reihe von Interviews mit den jugendlichen Bewohnern geführt, die Arbeit der Betreuer begleitet und auch die Umstände der Unterbringungen genau beleuchtet.

„Wir kamen zu einem ganz anderen Ergebnis“

„In unserer ausführlichen Evaluation, in der eine Reihe von Kindern ohne Anwesenheit anderer Personen befragt wurden, kamen wir zu einem ganz anderen Ergebnis, als das nun öffentlich dargestellt wird“, so Gahleitner. Sie verweist neben dem qualitativen auch auf den quantitativen Teil der Studie: „Da haben wir einen Wirkungsindex errechnet, der durchaus sogar auf eine überdurchschnittliche Qualität in der Einrichtung hinweist. Und aus den Interviews hat insbesondere hervorgestochen, dass die Jugendlichen immer wieder auf die gute Beziehungsqualität und auch die gute und soziale Einbettung in der Einrichtung hingewiesen haben“.

Silke Birgitta Gahleitner Professorin Klinische Psychologie

Silke Birgitta Gahleitner

Für Silke Birgitta Gahleitner ist es nicht vorstellbar, dass das Niveau in den Heimen nach ihrer Evaluation derart gesunken ist, dass eine „massive Herausnahme“ der Kinder gerechtfertigt ist

Das betreffe nicht das therapeutische „Setting“, wie man vielleicht erwarten würde, sondern „insbesondere den Alltagsbereich, also sozusagen das ‚day-to-day‘-Geschehen vor Ort“, erläutert die Expertin. Im Gegensatz zur Studie Gahleitners stellte eine vom designierten Landeshauptfrau-Stellvertreter Franz Schnabl (SPÖ) eingesetzte Sonderkommission gravierende Missstände fest. Um die Kinder zu schützen, wurden drei Heime Anfang März 2018 geräumt.

Absinken des Niveaus „nicht vorstellbar“

„Aufgrund dieser Ergebnisse [Anm.: der Studie] ist es für mich eigentlich überhaupt nicht vorstellbar, dass die Einrichtung seit dieser Evaluation in so kurzer Zeit auf ein Niveau gesunken sein soll, welches eine so massive Herausnahme von den dort wohnenden Kindern rechtfertigt“, so Gahleitner. Sie könne sich das „absolut nicht erklären“ und sei „tatsächlich ganz schön erschüttert“. Sie hoffe „auf eine umfassende und verantwortliche Aufklärung des Sachverhalts und eine dementsprechende Behandlung der Kinder und der Einrichtung“, so die Expertin gegenüber noe.ORF.at.

Im Büro des designierten Landeshauptfrau-Stellvertreters Franz Schnabl verwies man zuletzt darauf, dass für die Behörde bei derartigen Entscheidungen das Kindeswohl im Vordergrund stehe. „Die im Raum stehende Studie wurde zu einem früheren Zeitpunkt erstellt", hieß es. Bei den Untersuchungen der Sonderkommission handle es sich hingegen um Erkenntnisse zum heutigen Zeitpunkt. „Dementsprechend war auf Basis der aufgezeigten Verfehlungen und Empfehlungen zu handeln“, so die Stellungnahme aus dem Büro des designierten Landeshauptfrau-Stellvertreters.

Thomas Puchinger, noe.ORF.at

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