Mehr Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug

Die Zahl der schwer psychisch kranken Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug in Österreich ist gestiegen. Das liege daran, dass teils ungefährliche Personen eingewiesen werden, kritisiert nun die Justizanstalt Göllersdorf (Bezirk Hollabrunn).

Die Reportage zum Nachhören

Die Reportage können Sie auf oe1.ORF.at nachhören.

In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der schwer psychisch kranken Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug österreichweit von 400 auf rund 515 gestiegen. Das liege unter anderem daran, dass teils ungefährliche Personen in solche Anstalten eingewiesen werden, kritisieren jetzt die Verantwortlichen der Justizanstalt Göllersdorf. Ein Ziel sind dort therapeutische Maßnahmen. Aber dass schwer psychisch Kranke in Drei- und Vierbettzimmern untergebracht sind, sei therapiefeindlich, sagte der leitende Psychiater. ORF-Redakteur Bernt Koschuh hat für eine Reportage für noe.ORF.at den Maßnahmenvollzug der Justizanstalt besucht:

Essensausgabe in der Abteilung mit Einzelzellen der Justizanstalt Göllersdorf. Brav stellen sich die sogenannten geistig abnormen Rechtsbrecher an: „Suppe?“, „Ja, bitte! Dankeschön“. Sie sagen artig Bitte und Danke. Und dem Redakteur mit dem Mikrofon schütteln sie freundlich die Hand. „Grüß Sie Gott“, „Grüß Gott!“

Justizanstalt Göllersdorf

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„Um die 80 Prozent an Schizophrenie erkrankt“

Beim Plaudern erklärt ein Patient, dass er Papst werden will, ein anderer sagt „I mog Di“, zum Justizwachekommandanten. Aber nicht immer ist es hier so friedlich, vor allem nicht in der Nacht. Ein Insasse zeigt seine Zelle, der Spiegel ist heruntergerissen und der Kasten kaputt, weil er um sich geschlagen hat. Eine Art Punchingball hängt an der Wand zum Abreagieren.

Ein anderer erzählt, dass er einmal seine Zelle angezündet hat. Brandstifter, Vergewaltiger, auch Mörder sind in Göllersdorf untergebracht. Gemeinsam ist ihnen, dass sie als nicht-zurechnungsfähig eingestuft wurden. Alexander Dvorak, der ärztliche Leiter, sagt: „Um die 80 Prozent sind an Schizophrenie erkrankt. Das sind chronische Langzeitverläufe, wo es in der Normalpsychiatrie kaum mehr Strukturen gibt, wo es auch sehr schwer ist, sie wieder in die Sozialpsychiatrie zurückzuführen.“

Justizanstalt Göllersdorf

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Volksanwaltschaft kritisiert Mehrbettzellen

Dazu kommen einzelne Manisch-Depressive sowie schwer Minderbegabte, die ihre Impulse und Emotionen nicht kontrollieren können, so Dvorak. Die meisten der 140 Insassen sind in Mehrbettzellen untergebracht. Es gibt Zellen mit drei, vier und eine mit fünf Betten. Das Justizministerium hat einen Besuch dieser Abteilungen nicht genehmigt.

Die Volksanwaltschaft hat die Umstände als therapiefeindlich kritisiert und auch Psychiater Dvorak meint: „Es ist therapiefeindlich, weil es sich bei den meisten um sehr kranke Patienten handelt, die ein großes Problem haben mit Reizüberflutungen, mit Nähe und Distanz.“ „Das kommt schon immer wieder vor, dass es Streitereien gibt, eher kleinere Raufereien. Das ist sicher auch bedingt dadurch, dass sie so auf engem Raum zusammen leben“, sagt Justizwachekommandant Manfred Brandl.

Justizanstalt Göllersdorf

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Dvorak: „Mängel in Einweisungsgutachten“

Dazu kommen oft sprachliche Probleme. Rund 40 Prozent der Insassen haben mittlerweile Migrationshintergund. Dass Göllersdorf und andere vergleichbare Einrichtungen überfüllt sind, führt Psychiater Dvorak auch darauf zurück, dass mitten unter den eingewiesenen gefährlichen psychisch Kranken aus seiner Sicht auch ungefährliche sind: „Da erkenne ich dann oft in den Einweisungsgutachten eklatante Mängel. Patienten, die ein geringes Delikt verübt haben, da sollte dann in den Gutachten vermehrt auf die tatsächliche Gefährlichkeit geschaut werden.“

Und umgekehrt seien auch auf Basis von Gutachten unter den nicht-zurechnungsfähigen andere allzu gefährliche, eigentlich zurechnungsfähige Insassen, kriminell eingestellte Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, sogenannte Soziopathen, die etwa in der Justizanstalt Mittersteig in Wien besser untergebracht wären, meinen Brandl und Dvorak: „Das sind Patienten, wo man dann wirklich große Sorge hat, dass man es nicht mehr schafft, die wirklich kranken Patienten vor ihnen zu schützen.“ „Die sind denen weit überlegen. Die würden sie missbrauchen, ausnützen, Geschäfte mit ihnen machen. Das kann nicht funktionieren.“ „Und ausnützen reicht eben vom Finanziellen über das Sexuelle bis zu wirklich schweren Gewalttaten.“

Justizanstalt Göllersdorf

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Göllersdorf wünscht sich Neubau

All das findet unter beengten Verhältnissen im baufälligen Renaissance-Schloss Göllersdorf, das vor mehr als 30 Jahren zur Justizanstalt umfunktioniert wurde, statt. In Göllersdorf wünscht man sich einen Neubau. „Das ganze Areal, auch da wo die Bäume stehen, gehört zur Anstalt und es wäre sehr einfach einen Zubau bzw. einen Neubau der Wohnstationen zu machen“, sagt Psychiater Dvorak. Das habe auch Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) gefunden, als er Göllersdorf und seine Insassen besucht hat. Aber bisher gibt es für einen Neubau weder Budget noch konkrete Pläne.

Bernt Koschuh, noe.ORF.at

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