Ehemalige Synagoge soll Parkplatz weichen

Die ehemalige Synagoge in Gänserndorf lässt derzeit die Wogen hochgehen. Die Stadtgemeinde will das Gebäude abreißen und Parkplätze errichten. Die Pläne sind umstritten, das Bundesdenkmalamt hat sich eingeschaltet.

Es ist ein eher unscheinbares Haus in der Bahnstraße in Gänserndorf, über das derzeit viel gesprochen wird. Darauf, dass hier einmal eine Synagoge war, deutet nicht mehr viel hin - nur eine Gedenktafel auf der bröckelnden Fassade. Betritt man das Haus, stolpert man vor allem über jede Menge Kartons. Eine alte Couch steht herum, ein paar Tische und ziemlich viel, das wie Sperrmüll anmutet. Zuletzt wurde das Haus als Jugendzentrum genutzt - und das hat ganz offensichtlich Spuren hinterlassen.

Synagoge Gänserndorf

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Die ehemalige Synagoge in der Bahnstraße 60 in Gänserndorf

Bis Freitag, 6. Juli, müsse das Jugendzentrum geräumt werden, steht auf einem Plakat vor dem Haus. Immerhin war man bei der Gemeinde fix davon ausgegangen, dass das Haus abgerissen werde. Schon im Jahr 2014 hatte der damalige Stadtrat nämlich einstimmig den Abriss der ehemaligen Synagoge und des ehemaligen Rabbinerhauses, das sich ebenfalls auf dem Grundstück befindet, beschlossen. Heuer sollten die beiden Häuser endgültig einem zentrumsnahen Parkplatz weichen. Doch daraus wird zumindest vorerst einmal nichts.

Bundesdenkmalamt ortet „Gefahr im Verzug“

Wegen „Gefahr im Verzug“ stellte das Bundesdenkmalamt die ehemalige Synagoge und das Rabbinerhaus vergangene Woche unter Schutz. Dafür hatte sich vor allem die Historikerin Ingrid Oberndorfer eingesetzt, die sich in einem Brief auch an Bundespräsident Alexander Van der Bellen gewandt hatte. Nach Hinweisen und einer Anfrage von diesem wurde das Bundesdenkmalamt aktiv.

Kritik war in den vergangenen Wochen auch von der Israelitischen Kultusgemeinde, die ein Überdenken des Projektes forderte, und dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gekommen, der sich in einer Aussendung bestürzt zeigte: Im Gedenkjahr 2018 - 80 Jahre nachdem Gänserndorf als „judenrein“ erklärt worden sei - solle die letzte Erinnerung an das jüdische Leben in der Stadt ausgelöscht werden, so die Kritik.

Bürgermeister verteidigt Parkplatz-Projekt

Bei einem Lokalaugenschein verteidigt Bürgermeister René Lobner (ÖVP) seine Pläne. „Das Denkmal kann ich hier wirklich nicht ausmachen“, sagt er und ergänzt: „Ich glaube, weit über 90 Prozent aller Gänserndorferinnen und Gänserndorfer, die diesen Ort kennen, pflichten mir hier bei.“ Immerhin sei vom ursprünglichen Gebäude bis auf die Außenmauern nichts mehr vorhanden. „Es ist die gründerzeitliche Fassade in den 70er Jahren abgeschlagen worden, auch die halbrunden Fenster und Türen. Es wurden sämtliche Innenwände und auch die Türen versetzt. Es wurden für die damalige Musikschule auch Toilettenanlagen installiert: Das heißt, eigentlich ist von dem 1889 errichteten Gebäude nichts mehr übrig“, sagt Lobner.

Synagoge Gänserndorf

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Die ehemalige Synagoge wurde zuletzt als Jugendzentrum verwendet

Die Synagoge war bis 1938 als solche genutzt worden. Im Herbst 1938 wurden die Juden aus Gänserndorf vertrieben und die Synagoge und der jüdische Friedhof 1941 zwangsweise an die Gemeinde Gänserndorf verkauft. 1953 erhielt die Israelitische Kultusgemeinde den Friedhof schließlich zurück, verzichtete gegen einen Betrag von 90.000 Schilling aber auf die Synagoge. Diese wurde seitdem vor allem aus Ausweichquartier für diverse Einrichtungen genutzt: kurzfristig für eine Schulklasse, dann für einen Kindergarten und schließlich lange Zeit als Musikschule, erzählt der Bürgermeister. Zuletzt war interimistisch eben das Jugendzentrum untergebracht.

„Außer einem Abbruch ist nichts mehr möglich“

Was dem Bürgermeister vor allem aufstößt ist, dass die Gemeinde ins „rechte Eck“ gestellt werde, kritisierte er zuletzt auch in einem offenen Brief. Vor dem ORF Niederösterreich habe sich noch kein einziger Journalist persönlich ein Bild gemacht, sagt er, dennoch wäre in Tageszeitungen, Internetforen oder Blogs von Provinzlern ohne Geschichtskenntnis und ohne Kultur zu lesen. Dagegen verwehre er sich.

„Wir wollen hier absolut nichts Böses, wir wollen weiterhin die jüdische Gemeinde, die Teil unserer Geschichte ist, entsprechend ehren und aufrechterhalten“, sagt Lobner und verweist auch auf den jüdischen Friedhof im Ort, den man seit Jahren pflege. „Wir werden auch hier (Anm: am Gelände der ehemaligen Synagoge) ein ehrendes Gedenken, ein mahnendes Gedenken ermöglichen, aber jeder, der sich diese beiden Gebäude angesehen hat, wird mir beipflichten müssen, dass hier außer einem Abbruch nichts mehr möglich ist.“

Streit Synagoge Gänserndorf

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Der jüdische Friedhof in Gänserndorf

Historikerin kämpft gegen den Abbruch

Außer einem Abbruch nichts mehr möglich? Ingrid Oberndorfer sieht das ganz anders. Die Geschichtswissenschaftlerin, die auf jüdische Geschichte und jüdische Friedhöfe spezialisiert ist, ist die schärfste Kritikerin des Abbruchprojektes. Wir trafen sie am Montag in Deutsch-Wagram (Bezirk Gänserndorf), wo sie sich in Absprache mit der Israelitischen Kultusgemeinde um die Instandhaltung des dortigen jüdischen Friedhofes bemüht. Sie ist überzeugt davon, dass es sich bei der ehemaligen Synagoge um ein Kulturgut handelt: „Laut Halacha (Anm.: der rechtliche Teil der Überlieferung des Judentums) heißt es, dass ein Gebäude, das einmal eine Synagoge war, immer die Heiligkeit behält.“

Die jüdische Geschichte sei ein Teil der österreichischen, der niederösterreichischen und auch der Geschichte Gänserndorfs, betont Oberndorfer. Das dürfte man nicht vergessen: „In Gänserndorf haben Jahrhunderte hindurch viele jüdische Familien gelebt. Man hat Ende des 19. Jahrhunderts dieses Gebäude aufgebaut und Jahrzehnte lang haben dort viele Familien ihre Riten und Gebräuche absolviert. Es war ein Haus der Freude, etwas Besonderes, ein Teil unserer Geschichte“, sagt Oberndorfer. Man sollte stolz darauf sein, so ein Haus in einer Stadt zu haben.

Gedenken soll sichergestellt werden

Auch wenn das Gebäude heute kaum noch so aussieht, steht für Oberndorfer außer Frage, dass es sich dabei um ein Denkmal handelt: „Wenn man jüdische Geschichte kennt, wird man nicht sagen, das ist kein Denkmal. Wenn man jüdische Geschichte kennt, dann weiß man, dass das ein positives Denkmal ist, ein Teil der Stadtgemeinde, der Stadtgeschichte Gänserndorfs.“ Auch dafür, dass man die Synagoge kaum erkennen könne, gebe es nämlich eine Begründung: „In einer christlichen Umgebung durften jüdische Gebetsvereine niemals zeigen, dass es sich um eine Synagoge beziehungsweise ein Bethaus handelt“, erklärt Oberndorfer.

Streit Synagoge Gänserndorf

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Ingrid Oberndorfer ist die schärfste Kritikerin des Parkplatz-Projekts

Die Israelitische Kultusgemeinde hatte in einem Schreiben „möglichst eine Weiterverwendung des Gebäudes zu kulturellen oder Bildungszwecken und eine Sicherstellung des Gedenkens an die ehemalige jüdische Gemeinde und die Synagoge“ gefordert. Ähnlich sieht das auch Oberndorfer. Auch wenn das Haus in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden sei, könne man daraus noch viel Positives machen und es auch touristisch nutzen. „Schlagwort Europahaus“, sagt Oberndorfer beispielsweise, „man kann ein Haus des Friedens, ein Haus der Freude machen. Es gibt viele Schlagworte.“ Den Plänen des Bürgermeisters, nur mit einer Gedenktafel in einem künftigen Park auf die ehemalige Synagoge hinzuweisen, kann Oberndorfer nichts abgewinnen, denn es „besteht ja ein Haus“. „Wozu brauche ich eine Gedenktafel? Das Haus sagt schon alles aus.“

Prüfung des Bundesdenkmalamtes dauert an

Der Streit um die Synagoge dürfte jedenfalls noch eine Weile andauern. Die Gemeinde erhob nämlich Einspruch gegen den ersten Bescheid des Bundesdenkmalamtes. Jetzt läuft ein Verfahren, bei dem die historische und architektonische Bedeutung des Gebäudes geprüft wird. Laut der Präsidentin des Bundesdenkmalamtes, Barbara Neubauer, soll in einigen Wochen das Ergebnis vorliegen, ob es sich bei der ehemaligen Synagoge tatsächlich um ein Denkmal handelt oder nicht. Solange die Prüfung läuft, dürfen die Abbrucharbeiten aber jedenfalls nicht beginnen.

Katharina Sunk, noe.ORF.at

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