„Brutale Unterdrückung“ nach Prager Frühling

Mit dem Einmarsch von 650.000 Soldaten nahm der Prager Frühling im August 1968 ein abruptes Ende. Im Schloss Weitra (Bezirk Gmünd) erinnerten sich am Sonntag Zeitzeugen, wie die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie begraben wurde.

1968 herrschte in der Tschechoslowakei Aufbruchsstimmung. Unter dem damaligen Vorsitzenden der kommunistischen Partei, Alexander Dubcek, sollte ein „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ etabliert werden. „Mein Vater hat die Menschen geliebt, diese Eigenschaft hat ihn sein ganzes Leben lang geprägt. Das Risiko war ihm bewusst“, erzählt Pavol Dubcek, ältester Sohn von Alexander Dubcek.

Weitra Prager Frühling 50 Jahre Diskussion

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Im August 1968 wurde den Hoffnungen auf Demokratie und Freiheit vom Militär brutal ein Ende gesetzt

Von der Bevölkerung wurde der Kurs von Dubcek gutgeheißen. Hugo Portisch, der für den ORF aus Prag berichtete, meinte damals, dass die Bürger viel erwarten würden: „Neue Rechte, neue Freiheiten und vor allem, dass sich die Strukturen im Lande ändern.“

200.000 Bewohner auf der Flucht

In der Nacht auf den 21. August 1968 fand die Hoffnung auf Freiheit und Demokratie ein rasches wie auch brutales Ende: Soldaten aus Bulgarien, Ungarn, Polen, der DDR und der Sowjetunion besetzten innerhalb weniger Stunden alle wichtigen Städte. Der Prager Frühling wurde niedergeschlagen, erinnert sich Charles Bohatsch, ehemaliger Chef vom Dienst im ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße in Wien: „Es gab ein Rattern und ein Klingeln und von allen Agenturen kamen die Meldungen. Dann war klar: Das findet tatsächlich statt.“

Die Niederschlagung war die größte militärische Intervention nach dem Zweiten Weltkrieg und hatte auch Folgen für Österreich. Denn 200.000 Menschen verließen die Tschechoslowakei. Österreich nahm Flüchtlinge auf, zugleich mobilisierte die Regierung das Bundesheer und schickte Soldaten an die Grenze.

Von Machthabern nach Moskau zitiert

Dubcek wiederum wurde von den politischen Machthabern nach Moskau zitiert. „Wir wussten nicht, wie es endet. Es war unsicher, ob unser Vater noch einmal nach Hause kommt“, erinnert sich sein Sohn Pavol. „Das Gedenken an den Prager Frühling enthält nicht nur den Auftrag an unsere Generation, sondern auch an die nachfolgenden Generationen. Den Auftrag, dass wir uns bewusst werden, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist“, mahnte Martin Eichtinger (ÖVP), Landesrat für internationale Beziehungen.

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Der spätere Staatspräsident Klaus erlebte den Prager Frühling in Österreich

Vaclav Klaus, u.a. von 2003 bis 2013 tschechischer Staatspräsident, war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt und junger Akademiker. Im Gespräch mit Gernot Rohrhofer spricht er über den Aufschwung vor dem Prager Frühling. Die 20 Jahre danach bezeichnet er als „verlorene Zeit“. Die heutige Entwicklung der Europäischen Union stimme ihn ängstlich.

noe.ORF.at: Sie waren 27 Jahre alt, als der Prager Frühling seinen Höhepunkt erreichte, bevor er jedoch niedergeschlagen wurde. Welche Hoffnungen hatten Sie damals mit dem Prager Frühling verbunden?

Vaclav Klaus: Ich habe die ganze Entwicklung in den 1960er-Jahren sehr aktiv erlebt. Das war nicht nur das Ende im August 1968, die Jahre davor waren die beste Ära unseres Lebens. Wir konnten ins Ausland fahren, ich studierte in Italien und Amerika, konnte frei arbeiten. Diese Entwicklung war für uns sehr hoffnungsvoll und wir hatten das Gefühl, dass es möglich wäre, weiterzugehen. Leider ist es nicht so weitergegangen und die nächsten 20 Jahre waren absolut tragisch. Leute wie ich wurden von der Akademie der Wissenschaften hinausgeworfen. Ich konnte nicht mehr normal arbeiten oder ins Ausland fahren, das war die Wende für uns.

noe.ORF.at: Wie dramatisch war die Nacht vom 20. auf den 21. August. Wo waren sie damals? Wie haben sie das miterlebt?

Klaus: Ich war in Österreich am Forum Alpbach, zum ersten Mal als junger Akademiker. Ich war also nicht in Prag, sondern in den Alpen, aber vier Tage später bin ich zurückgefahren und ab dieser Zeit bin ich zuhause geblieben.

noe.ORF.at: Sie waren zwar nicht in ihrer Heimat, aber wie haben Sie die Ereignisse miterlebt?

Klaus: Damals hatten wir noch keine Mobiltelefone, man konnte keine persönlichen Informationen von der Familie bekommen. Wir hatten Angst, die Kämpfe waren in der Nähe des tschechoslowakischen Rundfunks und meine Frau hat 400 Meter von dort entfernt gewohnt. Ich hatte deshalb Angst. Es war tragisch, was geschehen ist. Aber schlimmer war für uns das Nachfolgende.

noe.ORF.at: Sie haben einmal gesagt, die folgenden 20 Jahre waren verloren. Wie haben Sie das gemeint?

Klaus: Wir hatten keine Gelegenheit, etwas zu machen. Es war die brutale Unterdrückung jeder Kritik und aller Proteste im Land. Die Leute konnten nicht normal arbeiten, wir haben persönlich sehr viel verloren. Ich war im August 1968 in Österreich, das nächste Mal erst wieder im November 1988, also nach 20 Jahren. Wir haben die ganze Zeit wirklich verloren.

noe.ORF.at: Wenn man das Europa von damals mit dem von heute vergleicht - gibt es Parallelen, die Sie erkennen?

Klaus: Heute haben wir keinen Kommunismus und das sollten wir nicht vergessen. Die heutige Dämonisierung von Russland und Präsident Putin ist komisch im Vergleich zum Kommunismus und die neue Version des Kalten Krieges sollten wir nicht anfangen.

noe.ORF.at: Sie gelten als sehr kritisch. Würden Sie sagen, Europa hat in dieser Form keine Zukunft?

Klaus: Ich habe Angst, dass das alte Europa keine Zukunft hat. Die Entwicklungen, die im Westen in den 1960er-Jahren begonnen haben, realisieren sich zurzeit. Das ist für mich sehr gefährlich und nicht positiv.

Das Gespräch mit Vaclav Klaus führte Gernot Rohrhofer, noe.ORF.at