Ein Kino-Kammerspiel als Flüchtlingsdrama

Jahrelang hat der niederösterreichische Regisseur Wolfgang Fischer an seinem Film „Styx“ gearbeitet. Das Flüchtlingsdrama feierte bei der heurigen Berlinale Weltpremiere. Ab Freitag läuft der Film in den heimischen Kinos.

Der Film „Styx“ gehörte zu den meistbeachteten unter den deutschsprachigen Beiträgen der diesjährigen Berlinale. So wurde „Styx“ bei den Filmfestspielen nicht nur mit dem Heiner-Carow-Preis der Defa-Stiftung bedacht, das vom in Pöchlarn (Bezirk Melk) aufgewachsenen Regisseur inszenierte Hochsee-Drama erhielt auch den Preis Label Europa Cinema und den Preis der Ökumenischen Jury der Sektion Panorama.

In seinem zweiten Langfilm erzählt Regisseur Fischer („Was du nicht siehst“) von einer Frau um die 40, die in Köln als Rettungsärztin arbeitet. Und die von Gibraltar aus mit einer Jacht in See sticht: Rikes Ziel ist die Insel Ascension Island. Der Urlaubstörn aber findet ein jähes Ende, als Rike auf ein beschädigtes Flüchtlingsboot trifft.

Styx

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Regisseur Wolfgang Fischer im ORF-Interview

Humanitäre Katastrophe auf dem Meer

Zwischen himmelhohen Frachtschiffen manövriert die 40-jährige, deutsche Ärztin allein ihre Zwölf-Meter-Yacht „Asa Gray“ aus dem Hafen von Gibraltar mit Kurs auf ihr Urlaubsziel Ascension im Atlantik. Sie ist geübt im Segeln. Selbst als ein schwerer Sturm über das Boot hinweg zieht, sind die Handgriffe der Ärztin so präzise wie bei der Stabilisierung eines Unfallopfers in ihrer Heimat noch kurz davor.

„Styx“ bei Berlinale gefeiert

Der Regisseur Wolfgang Fischer ist heuer bei der Berlinale groß gefeiert worden: Am Freitag kommt „Styx“ bei uns in die Kinos.

Plötzlich steht sie aber einer Situation gegenüber, die selbst sie hilflos macht: 150 Meter vor ihrer spiegelblanken Jacht liegt ein überladener rostiger Fischkutter, auf dem Menschen, offenbar Flüchtlinge aus Afrika, im Gegenlicht wie Scherenschnitte in ihre Richtung gestikulieren. Manche springen ins Wasser, einen etwa 14-jährigen Buben rettet sie an Bord. Das Kino-Kammerspiel nimmt seinen Lauf.

Dem Film gelingt es, die Klippen von Rührseligkeit und Klischee zu vermeiden. Viel wird nicht gesprochen, das Klatschen des Wassers an den Schiffskörper reicht aus, sanftes Schlagen von Metall an Metall. Und doch wird man weder seekrank noch müde beim Zuschauen, weil sich, nicht träge, nicht hektisch, eher im Gleichklang der Wellen, die Geschichte entwickelt. Die Spannung trägt, der Rhythmus stimmt. Die humanitäre Katastrophe auf dem Meer: Heruntergebrochen auf das Individuum und aus anderer Perspektive wahrgenommen als gewohnt.

Styx

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„Styx“ wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet

Film umkreist Frage nach der Identität

Sein Film umkreise die Frage nach der eigenen Identität, sagt Regisseur Wolfgang Fischer: „Wer sind wir, wer wollen wir sein, was müssen wir sein?“ Die Hauptfigur Rike beherrsche die Welt auf dem Meer - bis zum Zwischenfall. Dennoch sei sie den meisten „zwei Schritte voraus“, weil sie im Hauptberuf Notärztin ist. „Sie glaubt an das System der Hilfe, muss aber feststellen, dass es auf einmal nicht greift“, sagt Fischer. Sie habe einen hippokratischen Eid abgelegt, aber für einen Arzt laute die Vorgabe, erst sich selbst zu retten. In diesem Dilemma befinde sich Rike, Auge in Auge mit den Schiffbrüchigen.

Er selbst habe keinen Segelschein, doch habe er stets Filme von sogenannten Einhandseglern gemocht, Seglern, die alleine unterwegs sind. „Die Glücksgefühle haben mich fasziniert.“ Der nächste Film wird sich einem anderen Extrem widmen: der Wüste, berichtete Fischer.

Martina Rényi und Benedikt Fuchs, noe.ORF.at