Wenn der Druck auf Menschen zu groß wird

Wenn ein Baby getötet oder weggelegt wird, bleiben viele Fragen zurück. Für Anna Entenfellner vom Psychosozialen Dienst der Caritas der Diözese St. Pölten ist in solchen Fällen psychosoziale Krise mit enormem Druck schuld.

Der Psychosoziale Dienst der Diözese Sankt Pölten (PSD) ist eine durch das Land Niederösterreich finanzierte Einrichtung zur Beratung, Begleitung, Unterstützung und Behandlung von Menschen in Lebenskrisen oder für Personen psychischen Erkrankungen. Im Westen Niederösterreichs ist der PDS im Mostviertel (Bezirke Amstetten, Melk und Scheibbs), Waldviertel (Bezirke Gmünd, Horn, Waidhofen an der Thaya und Zwettl) und im Zentralraum (Bezirke St. Pölten, Krems und Lilienfeld) aktiv.

Moderator Thomas Birgfellner im Gespräch mit Anna Entenfellner

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„NÖ heute“-Moderator Thomas Birgfellner im Gespräch mit Anna Entenfellner

noe.ORF.at: Jetzt laufen im aktuellen Fall natürlich die Ermittlungen weiter. Ganz allgemein gefragt: Wenn ein Kind weggelegt wird, dann macht das schon sehr betroffen, was sind denn in den meisten Fällen die Gründe?

Anna Entenfellner: Man kann davon ausgehen, dass sich die Mutter des Kindes mit Sicherheit in einem Ausnahmezustand befunden hat, ganz konkret in einer psychosozialen Krise.

noe.ORF.at: Was kann eine solche Krise auslösen?

Entenfellner: Die Krise kann ausgelöst werden, indem sich die Lebensumstände gravierend ändern. Der Betroffene hat im Moment keine Bewältigungsstrategien zu Hand hat beziehungsweise es schwinden die Handlungsoptionen, es wird kein anderer Ausweg mehr gesehen. Diese Person steht unter einem solch enormen Stress und Druck, dass ihr nur noch eine einzige Möglichkeit offen scheint, nämlich das Problem durch das Weglegen zu lösen.

noe.ORF.at: Wie kann man das verhindern? Welche Möglichkeiten gibt es da, vorzubeugen?

Entenfellner: Letztendlich muss man sagen, dass jeder von uns in so einen psychosozialen Notfall oder Krise schlittern kann, aufgrund unterschiedlicher Umstände. Vorzubeugen ist daher nur mäßig möglich, denn was wissen wir schon, was uns morgen erwartet.

Anna Entenfellner im Gespräch

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Anna Entenfellner

noe.ORF.at: Man kann sich aber Hilfe holen, welche Möglichkeiten gibt es da?

Entenfellner: Zum Beispiel bei uns, dem psychosozialen Dienst. Wir verstehen uns als erste Anlaufstelle für Menschen, die sich in einer seelischen Krise oder einer seelischen Not befinden. Solche Ansprechstellen gibt es landesweit viele.

noe.ORF.at: Ich habe gehört, dass oft auch die Rolle von Angehörigen, von Freunden oder vom persönlichen Umfeld ganz entscheidend ist. Wie kann ich erkennen, dass es jemandem nicht gut geht und dass da möglicherweise Gefahr in Verzug ist?

Entenfellner: Sie sprechen etwas Wichtiges an. Das Umfeld oder nahe Angehörige nehmen oft sehr früh diese krisenhafte Veränderung wahr und haben einen viel größeren Leidensdruck als der Betroffene selbst. Erkennen kann man das ganz klar, wenn Gefühle wie Wut, Trauer, Verzweiflung über einen längeren Zeitraum sehr präsent sind. Es ist aber auch möglich, dass die betroffene Person sich eher zurückzieht und Desinteresse zeigt und wir im Kontakt merken, es ist schwer, an die Person heranzukommen. Das sind so erste Alarmzeichen.

noe.ORF.at: Auf diese Alarmzeichen sollte man auf jeden Fall hören und reagieren. Jetzt sagen aber auch viele, dass gerade jetzt die Vorweihnachtszeit immer wieder Krisen auslöst, auch innerhalb der Familien. Kann man da vielleicht irgendwie vorbeugen?

Entenfellner Vorbeugen sollte man das ganze Jahr über. Ich denke, vorbeugen hat viel damit zu tun, wie ich mein Leben gestalte. Die andere Seite von psychosozialer Krise oder Krankheit ist psychosoziale Gesundheit. Dafür kann man viel tun. Wichtig ist dabei, seine Ressourcen zu schonen, seine Grenzen zu kennen und wirklich im ständigen Austausch mit anderen Menschen zu bleiben.

Das Gespräch mit Anna Entenfellner führte Thomas Birgfellner, noe.ORF.at.

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