Quereinsteiger im Klassenzimmer

Wenn die Eltern wenig Geld oder Bildung haben bzw. schlecht Deutsch sprechen, haben die Kinder oft weniger Chancen auf einen erfolgreichen Bildungsweg. „Teach for Austria“ schickt daher Quereinsteiger an „herausfordernde“ Schulen.

An der Neuen Mittelschule für Wirtschaft und Technik in Wiener Neustadt sind 35 Lehrerinnen und Lehrer beschäftigt, darunter drei sogenannte Fellows aus dem Programm „Teach for Austria“. Helmut Helbig-Käfer hat Theater-, Film- und Medienwissenschaften studiert, später in einem Theater gearbeitet. Martin Stadler hat Betriebswirtschaftslehre und Jus studiert, später u.a. in der Unternehmensberatung gearbeitet. Stephan Pessl hat ein Business-Management-Studium abgeschlossen, bevor es ihn über „Teach for Austria“ ins Klassenzimmer zog.

„Schnellster Weg ins Klassenzimmer“

„Im Freundeskreis landen alle unsere Gespräche immer beim Thema Bildung“, sagt Martin Stadler, 32 Jahre alt, über seine Motivation, Lehrer zu werden. „Irgendwann habe ich mir gedacht, darüber reden ist das eine, ich möchte aber auch etwas machen und aus erster Hand berichten können. ‚Teach for Austria‘ war mein schnellster Weg ins Klassenzimmer.“

Der 27-jährige Stephan Pessl kann seine Erfahrungen aus dem Business-Studium einbringen. Gutes Management sei auch im Unterricht gefragt, sagt er: „Das Wichtigste sind Führungsqualitäten und eine gute Kommunikation in der Klasse.“ Helmut Helbig-Käfer wiederum nützt seine Erfahrungen aus dem Theater: „Auch im Unterricht braucht es einen guten Höhepunkt, einen guten Abschluss, damit sich die Kinder den Stoff merken“, sagt der 31-Jährige.

Helmut Helbig-Käfer Neue Mittelschule Wiener Neustadt

ORF

Helmut Helbig-Käfer hat den Schritt vom Theater ins Klassenzimmer gemacht

Mehrstufiges Auswahlverfahren

„Teach for Austria“ ist eine gemeinnützige Stiftung, die 2011 gegründet und in ihren Anfangsjahren maßgeblich von der Industriellenvereinigung unterstützt wurde. Die Fellows durchlaufen ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Von bis zu 900 Bewerberinnen und Bewerbern werden die geeignetsten Personen ausgewählt und auf ihren Einsatz in den Schulen vorbereitet.

Die Quereinsteiger werden den Schulen von der Bildungsdirektion zugeteilt, erhalten einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag mit einem Einstiegsgehalt von etwa 1.700 bis 1.900 Euro brutto und werden als vollwertige Lehrer auf Planstellen eingesetzt - in Wiener Neustadt anfangs vorwiegend gemeinsam mit einer zweiten Lehrkraft in Form des „Team Teaching“.

Direktorin: „Herausforderung für Schule“

„Grundsätzlich fehlt natürlich die pädagogische Ausbildung“, sagt die Direktorin der Neuen Mittelschule in Wiener Neustadt, Karin Kaiser. „Keiner der Fellows hat einen pädagogischen Beruf erlernt. Eine andere Herangehensweise klingt kreativ, ist oft aber nicht friktionsfrei. Es herrscht ein Nehmen und Geben auf beiden Seiten. Neue Impulse zu setzen, aber altbewährte Methoden nicht aus den Augen zu lassen, ist ganz wichtig.“

Die „bunt gemischten“ beruflichen Vorerfahrungen der Quereinsteiger stellen für die Schule laut Kaiser eine Herausforderung dar. „Es muss sehr viel besprochen, gesprochen, miteinander gearbeitet werden. Das ist bei einem Junglehrer, der vier Jahre Praxis und in Zukunft noch mehr hat, nicht der Fall.“ Mit den drei aktuellen Fellows an ihrer Schule zeigt sich die Direktorin aber zufrieden. „Die Aufbauarbeit ist geleistet, sie sind etabliert. Ich würde sie sehr gerne behalten.“

Chance im Kampf gegen den Lehrermangel

Unter den rund 24.000 Lehrerinnen und Lehrern in Niederösterreich sind aktuell zehn Fellows, die in sechs Schulen in St. Pölten (2), Amstetten, Schwechat (Bezirk Bruck an der Leitha), Strasshof (Bezirk Gänserndorf) und Wiener Neustadt unterrichten. „Wir haben auf das Programm zurückgegriffen, weil der Blick von außen bereichernd sein kann“, sagt Niederösterreichs Bildungsdirektor Johann Heuras.

Die Quereinsteiger hat man längst aber auch als Potenzial im Kampf gegen den bevorstehenden Lehrermangel erkannt. Aufgrund der neuen Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen stehen im kommenden Schuljahr keine neuen Lehrkräfte für Neue Mittelschulen zur Verfügung. Um diese Lücke zu füllen, sieht Heuras drei Möglichkeiten: Sonderverträge, Studenten und „da und dort auch Fellows von ‚Teach for Austria‘“.

In gewissen Schulfächern wie Deutsch oder Technik und Naturwissenschaften wird es laut dem Bildungsdirektor schon im kommenden Schuljahr zu Engpässen bei der Nachbesetzung kommen. Im Weinviertel habe man bereits jetzt niemanden mehr auf der Warteliste. „Wir haben den Fellows die Möglichkeit angeboten, eine pädagogische Ausbildung nachzuholen, um länger im Unterrichtsgeschehen zu bleiben“, sagt Heuras. „Bei zehn Fellows von 24.000 Lehrern ist das aber nicht das, was ein System retten kann.“

Thomas Koppensteiner, noe.ORF.at

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