„Jungärzte wollen keine Einzelkämpfer sein“

Vor dem Hintergrund des drohenden Ärztemangels fordert Patientenanwalt Gerald Bachinger bessere Rahmenbedingungen für Jungärzte. „Sie wollen nicht mehr in einer Einzelkämpferordination arbeiten“, sagt er.

In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird knapp die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte das Pensionsalter erreichen. Patientenanwalt Gerald Bachinger fordert, dass man die Rahmenbedingungen im niedergelassenen Bereich an die Wünsche der Jungärzte anpassen sollte, um dem Ärztemangel am Land entgegenzuwirken. „Sie wollen etwas, das viele Generationen vor ihnen nicht gekannt haben, nämlich eine Work-Life-Balance“, so Bachinger im „Niederösterreich heute“-Interview.

noe.ORF.at: In den nächsten zehn bis 15 Jahren wird knapp die Hälfte aller Ärztinnen und Ärzte das Pensionsalter erreichen, gleichzeitig entscheiden sich immer weniger junge Medizinerinnen und Mediziner dazu, in den niedergelassenen Bereich zu gehen. Wird der Hausarzt aussterben?

Gerald Bachinger: Die Versorgung im ländlichen Bereich mit Gesundheitsdienstleistungen ist für die Bevölkerung ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man sich Sorgen macht, dann muss man sich weniger um ausreichend Ärzte in Krankenanstalten sorgen, denn hier gibt es bereits einige Initiativen. Man muss sich Sorgen machen, dass sich genug Ärzte schon frühzeitig entscheiden, im niedergelassenen Bereich tätig zu werden. Hier gibt es derzeit noch sehr große Hürden und hier müssen wir sehr schnell anfangen, diese Hürden abzubauen, weil es sich dabei um Weichenstellungen handelt, die nicht von heute auf morgen greifen, sondern Jahre und Jahrzehnte brauchen.

noe.ORF.at: Wie können diese Hürden abgebaut werden, um mehr Allgemeinmediziner in ländliche Regionen zu bekommen?

Bachinger: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man den Jungärztinnen und Jungärzten zuhört, was sie wollen und wie sie sich ihren zukünftigen Beruf vorstellen. Ich nenne hier bewusst die Ärztinnen vor den Ärzten, weil die Zukunft der Medizin weiblich sein wird. Engagiert sind alle, aber sie wollen nicht mehr wie viele Generationen vor ihnen in einer Einzelkämpferordination arbeiten, sondern in einem Team, wie sie es auch aus dem Krankenhaus gewöhnt sind. Sie wollen mit anderen Berufsgruppen multiprofessionell zusammenarbeiten und sie wollen Sicherheit durch eine Organisation und flexible Arbeitszeiten haben. Und sie wollen etwas, das viele Generationen vor ihnen nicht gekannt haben, nämlich das, was man unter Work-Life-Balance versteht.

Gerald Bachinger Patientenanwalt

ORF

Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger

noe.ORF.at: Gesundheitszentren erfüllen all diese Punkte. In Niederösterreich gibt es seit 1. Jänner zwei davon. Ist das ausreichend?

Bachinger: Das Tempo, das wir derzeit in Niederösterreich in Bezug auf die Gesundheitszentren vorgegeben haben, ist aus meiner Sicht viel, viel zu langsam. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann werden wir es nicht schaffen, dass wir aus einer mangelnden Versorgungssituation herauskommen, sondern müssen hier schneller arbeiten. Seit einem Monat gibt es aber auch eine andere Möglichkeit, sodass Ärzte bei Ärzten angestellt werden können. Das wird eine gewisse Erleichterung dieser Situation bringen, trotzdem müssen wir das Gesundheitssystem neu denken - vor allem im niedergelassenen Bereich. Und da ist es notwendig, ganz neue Antworten auf diese Fragen zu finden.

noe.ORF.at: Worauf müssen sich Patientinnen und Patienten in den nächsten zehn bis 15 Jahren einstellen?

Bachinger: Wenn man jetzt diese Maßnahmen trifft und das Tempo bei den Gesundheitseinrichtungen massiv erhöht, dann wird es flächendeckend gesehen für die Patienten keine wesentlichen Verschlechterungen geben. Durch die neuen Gesundheitszentren wird es sogar im Gegenteil bessere Öffnungszeiten, bessere Versorgungsangebote, ein viel breiteres Angebot an Berufen, die für den Patienten arbeiten können, und viel größere Perspektiven etwa auch für die Krankenpflegeberufe geben. Das heißt, es wird nicht schlechter werden, wenn man in diese Richtung geht, sondern es wird viel besser werden.

noe.ORF.at: Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) fordert mehr Studienplätze im Medizinbereich. Ist das die Lösung?

Bachinger: Das ist sicher ein wichtiges Mosaiksteinchen, denn wir wissen, dass es derzeit mehrere tausend Bewerber gibt, die sich für diesen Beruf interessieren. Diese Ressource sollte man nützen. Österreichweit haben wir nur 1.600 Studienplätze für die Mediziner. Eine gewisse Aufstockung zu machen, ist eine ganz wesentliche Vorfrage. Man muss aber auch in weiterer Folge dafür sorgen, dass diese zusätzliche Zahl an jungen Ärzten sich auch dafür entscheiden, in den ländlichen Bereich zu gehen.

noe.ORF.at: Die Ärztekammer Niederösterreich spricht sich für eine Lockerung der Studienzugänge aus. Wie schafft man es aber, die jungen Mediziner auch tatsächlich in den niedergelassenen Bereich zu bekommen?

Bachinger: Die Zulassungsvoraussetzungen sind in den letzten Jahren ohnedies verändert worden - auch was soziale Kompetenz betrifft. Das sollte man aus meiner Sicht durchaus so lassen. Man sollte bei den Studienplätzen etwas aufstocken. Man muss bei diesen Maßnahmen aber immer auch aufpassen, denn wir hatten im Jahr 2000 erst die Schlagzeilen, dass eine Ärzteschwemme droht. Im Jahr 2020 sollten - und das ist nächstes Jahr - 10.000 Ärzte zu viel sein, so die Annahme. Also wenn man an diesen Schräubchen dreht, muss man das sehr vorsichtig machen, weil dieser Grat zwischen Ärzteschwemme und Ärztemangel ein sehr schmaler ist. Für mich ist aber der wichtige Punkt, dass wir den jungen und engagierten Ärztinnen und Ärzten bessere Rahmenbedingungen anbieten, dass der Beruf in den ländlichen Bereichen viel attraktiver wird als bisher.

Das Gespräch mit Patientenanwalt Gerald Bachinger führte Margit Laufer, noe.ORF.at

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