Jugendliche haben Angst vor Hass im Netz

96 Prozent der Jugendlichen haben bereits Übergriffe im Internet selbst erlebt oder zumindest beobachtet. Doch gerade weil Hasspostings und Bloßstellungen so weit verbreitet sind, schreiten die wenigsten dagegen ein.

Unter den 2.000 befragten Schülerinnen und Schülern kennen fast alle Kinder und Jugendlichen Formen von Mobbing im Internet. Hasspostings, Bloßstellungen oder das Verschicken von Schock-Videos haben mehr als neun von zehn bereits miterlebt. Doch gerade weil hetzerische Inhalte so weit verbreitet sind, schreiten die wenigsten aus Angst dagegen ein. Sie befürchten, durch aktives Handeln gegen Hass selbst zum Opfer zu werden - darunter leidet die Zivilcourage. Das hat eine Studie der Universität Wien und der Kirchlich Pädagogischen Hochschule Wien/Krems ergeben.

Aktiv einzugreifen und andere Kinder in Schutz zu nehmen, komme für sie nur selten in Frage, weil sie sich machtlos fühlen und vieles falsch einschätzen würden, sagt Studienautorin Ingrid Kromer: „Oft erkennen Kinder nicht, wo Spaß aufhört und befürchten, dass es den Betroffenen unangenehm sein könnte, wenn sie sich einmischen. Außerdem breiten sich die Nachrichten so schnell aus, dass sie in vielen Fällen befürchten, dagegen ohnehin nichts verrichten zu können.“

24.02.19 Cybermobbing mangelnde Zivilcourage bei Jugendlichen Studie KPH Krems

ORF

Fast alle Jugendlichen kennen Formen von Hass im Netz

Handy wegnehmen als Konsequenz wenig sinnvoll

Unbeteiligte Dritte - sogenannte Bystander - könnten den Opfern zwar zur Seite stehen und die Situation entschärfen, würden dies laut Studienautorin Kromer aber selten tun. Damit liege die Bereitschaft zur Zivilcourage unter Jugendlichen im Netz online deutlich unter jener im Offlinebereich. Die Angst selbst ausgeschlossen werden zu können, sei der Studie zufolge im Internet besonders hoch.

Überraschend war für das Forscherteam, dass gängige Mechanismen für Zivilcourage online nicht gelten: Denn anders als im echten Leben wird der Einsatz für andere Menschen im Netz nicht durch gesellschaftliche Anerkennung belohnt. Es gibt auch keine sichtbare Entspannung der Situation. Alternativen zum aktiven öffentlichen Dagegenhalten werden ebenfalls selten genutzt - etwa die Meldefunktionen diverser Plattformen, die von Jugendlichen kaum ernst genommen würden. Erwachsene werden ebenfalls wenig involviert. Zu groß werde die Gefahr eingeschätzt, dass sie mit einem Handyverbot belegt würden. Für heutige junge Menschen würde dies in Konsequenz quasi einen sozialen Ausschluss bedeuten.

24.02.19 Cybermobbing mangelnde Zivilcourage bei Jugendlichen Studie KPH Krems

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Jugendliche stehen unter dem Druck, ständig online erreichbar sein zu müssen

Mechanismen von Täter-Opfer-Umkehr im Internet

Für Jugendliche ist der Druck, ständig online zu sein und auf Interaktionen unmittelbar zu reagieren, sehr groß. Online-Angriffe würden mit der Zeit aber oft nicht mehr ernst genommen werden und Kinder abstumpfen lassen. Das Studienteam versteht die Abgebrühtheit im Umgang mit Sozialen Medien als eine jener „Entwicklungsaufgaben“, die heutige Heranwachsende lösen müssten, um erwachsen zu werden.

Die Schattenseiten der von den Jugendlichen gewählten Strategie: Durch das bewusste Ignorieren von Grenzüberschreitungen würden Hemmschwellen immer weiter verschoben. Dazu kommt eine Art Täter-Opfer-Umkehr nach dem Motto „Wer das ernst nimmt, ist selber schuld“. Auch wenn Nacktfotos von Mädchen bzw. Fotos von Muslima ohne Kopftuch gegen deren Willen weiterverbreitet werden, werde der Fehler vielfach bei den Mädchen gesucht und nicht beim eigentlichen Täter.

Jugendliche bestärken, über Probleme zu sprechen

Für Opfer sei es daher oft ein absolutes Tabu, online um Hilfe zu bitten. Je älter ein Kind ist, desto eher würde es die Probleme verheimlichen. „Ich möchte ja nicht als Opfer gelten, also sage ich auch niemandem, dass ich ein Opfern bin. Dadurch bleiben die Betroffenen mit ihren Sorgen sehr oft alleine“, sagt Kromer. Ihre Empfehlung lautet, den Kindern einerseits Mut zu machen, sich gegen Hass im Netz zur Wehr zu setzen und über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Aber auch Rollenspiele - etwa in Schulen - könnten dazu beitragen, in die Rolle des Opfers zu schlüpfen und zu erkennen, welche Maßnahmen es in problematischen Situationen brauche. „Aber natürlich ist es auch ein wichtiger Punkt im Offlinebereich Zivilcourage zu zeigen und da sollten Erwachsenen gute Vorbilder sein“, sagt Kromer. Damit würden sie Jugendlichen helfen, Zivilcourage ein Stück weit selbstverständlicher zu sehen, glaubt die Expertin.