Grobe Sicherheitsmängel bei grenznahen AKWs

Das Atomkraftwerk Mochovce (Slowakei) steht wegen angeblich schwerer Baumängel in der Kritik. Die Inbetriebnahme ist bis zum Sommer gestoppt. Doch laut Global 2000 ist das nicht das einzige grenznahe AKW mit groben Sicherheitsmängeln.

Das Atomkraftwerk Mochovce liegt nur gut 100 Kilometer von der niederösterreichischen Grenze entfernt. Im Sommer sollen laut den Plänen der Betreiber zwei zusätzliche Reaktoren in Betrieb gehen. Doch ein ehemaliger Ingenieur veröffentlichte nun Fotos, auf denen schwere Baumängel zu sehen sind: Freiliegende Kabel und Rohre oder Ventile, die falsch eingebaut sind. Insgesamt soll es mehrere hundert Baumängel geben.

Reinhard Uhrig von Global 2000 beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Atomkraft. Für ihn ist das Baukonzept komplett veraltet: „Das sind einfache Reaktorkonzepte, in einfachen Stahlbetonhallen, wie ein besseres Einkaufszentrum, muss man nüchtern sagen, die im Gegensatz zu neuen Kraftwerken nicht auf Flugzeugabstürze ausgelegt sind.“ Zudem fehlt auch ein Volldruckcontainment, also eine gasdichte Umhüllung.

Laut Uhrig sind solche Reaktoren nicht zeitgemäß und „dürfen unserer Meinung nach im 21. Jahrhundert nicht in Betrieb gehen.“ Auch weil der Bau der beiden neuen Reaktoren nach der sowjetischen Wende eingestellt und nach 15 Jahren Stillstand von italienischen Ingenieuren fertig gebaut wurden, „die noch nie ein Atomkraftwerk gebaut haben, die de facto dieses alte Konzept noch kaputtgebaut haben“, erklärt Uhrig.

Pernkopf: „Hier läuft nichts nach Plan“

Niederösterreichs Landeshauptfrau-Stellvertreter Stephan Pernkopf (ÖVP) fordert deshalb vor der Inbetriebnahme eine unabhängige Kontrolle von internationalen Atomexperten: „Alleine schon die wiederholte Verschiebung der geplanten Eröffnung, die vor wenigen Tagen bekannt wurde, zeigt, dass hier nichts nach Plan läuft. Alle Mängel und Bedenken müssen ausgeräumt werden.“ Bei Bedarf müsse es auch eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung geben.

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23 Kilometer weiter westlich - in Bohunice (Slowakei) - laufen die Reaktoren hingegen schon seit mehr als 35 Jahren. Aus Sicht des Experten ist das zu lang, weil der Verschleiß hoch sei und es durch die radioaktive Stahlung eine Versprödung des Stahls gibt, „der dann irgendwann brüchig wird, und er jederzeit reißen kann“, beschreibt der Atomexperte: „Das heißt, es gibt einen Punkt X, wo der Reaktor unberechenbar wird.“ Global 2000 fordert deswegen die Auslegungszeit von 30 Jahren nicht zu überschreiten.

Dukovany: Kühlwasser fehlt im Notfall

Reaktoren des gleichen Bautyps laufen auch in Tschechien, das bedeutet, dass auch dort das Sicherheitskonzept veraltet sei. In Dukovany komme aber dazu, dass durch die geplanten neuen Reaktoren im Notfall zu wenig Wasser zum Kühlen der Anlage bereitstehe. „Das sind über 80.000 Liter Wasser pro Minute, die dafür notwendig sind.“ Die Hauptquelle ist bisher der Fluss Jihlava.

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Laut Global 2000 würde in Dukovany künftig ausreichend Kühlwasser fehlen

„Das Problem ist, wenn im Zuge von Erdbeben, Vermurungen oder Stürmen der Fluss das Kühlwasser nicht mehr ausreichend liefert, reicht die zweite Quelle, ein Feuerwehrteich, nur für eine bestimmte Zeit, danach gehen die Reaktoren durch“, meint Uhrig. Die Folge habe man in Fukoshima erlebt. Die tschechischen Betreiber seien darauf auch bei den Stresstests aufmerksam gemacht worden.

Temelin: Sowjetisch-westlicher Technologiemix

In Temelin läuft zwar der einzige Reaktor, der teilweise westlicher Bauart entspricht. Doch auch hier gibt es regelmäßig Zwischen- und Störfälle, zuletzt vergangenen Herbst, als Kühlwasser auslief. „Das Problem in Temelin ist das Zusammenspiel aus sowjetischem Design und westlicher Technik, das wirklich einen Technologiemix erzeugt, der immer wieder zu Störfällen führt.“ Die Öffentlichkeit würde darüber jedoch oft nur kaum oder verspätet informiert.

Ob die tschechischen Ausbaupläne halten, ist aber ungewiss. Schließlich kostet ein modernes Kernkraftwerk etwa zehn Milliarden Euro. In Ungarn spielt das offenbar keine Rolle, in Paks will die Regierung zwei neue Reaktoren bauen. Der geplante Baustart im Frühjahr 2018 wurde aber nicht eingehalten. Doch während die westlichen Länder aus der Atomenergie also langsam aussteigen, will man sie in den östlichen Nachbarländern forcieren.

Betreiber: „Mit Baumängeln keine Lizenz“

Die Betreibergesellschaften sehen in all den von Global 200 genannten Sicherheitsmängeln keine Gefahr. Es gebe regelmäßig Kontrollen, bei denen die Sicherheit ausreichend überprüft werden. Die Vorwürfe will man nicht kommentieren. Mit den Baumängeln, wie sie in Mochovce zu sehen sind, „würden die Reaktoren aber niemals in Betrieb gehen. Dafür gebe es keine Lizenz“, sagt der technische Betriebsleiter, Slavomir Vinkovic. Vielmehr wirft er Österreich - konkret auch den Umweltorganisationen - vor, die Ängste der Menschen damit nur weiter zu schüren.

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Laut den Betreibern würden die neuen Reaktoren in Mochovce mit Baumängeln nie in Betrieb gehen

Bei Global 2000 weist man das zurück. „Wir alarmieren, aber wir alarmieren auf Basis von Ingenieuren, das sind keine Umweltaktivisten, sondern tatsächliche Atomingenieure, die sagen, wir haben ein Problem“, macht Uhrig deutlich. Und gerade deshalb müsse man den Druck auf die Betreiber weiter hochhalten, ist der Experte überzeugt, damit auch die Kraftwerke in den östlichen Nachbarstaaten eines Tages stillgelegt werden.

Stefan Sailer, noe.ORF.at

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