EU-Erweiterung: Wie Niederösterreich profitierte

Vor 15 Jahren ist die Europäische Union um zehn Mitglieder gewachsen. Befürchtungen, etwa den Arbeitsmarkt betreffend, haben sich weitgehend nicht bestätigt. Vielmehr konnte Niederösterreich stark von der Erweiterung profitieren.

Die EU-Erweiterung 2004 war die bisher größte Erweiterung der Europäischen Union. Am 1. Mai 2004 traten insgesamt zehn Länder der EU bei, darunter mit Tschechien und der Slowakei auch zwei Nachbarländer von Niederösterreich. Neben der Aufbruchstimmung gab es damals auch einige Bedenken. Unter anderem wurde befürchtet, dass es zu einem Anstieg der Kriminalitätsrate kommen und der heimische Arbeitsmarkt mit vergleichsweise günstigen Arbeitskräften aus Osteuropa überschwemmt werden könnte. Laut Experten haben sich diese Befürchtungen in weiten Teilen aber nicht bewahrheitet.

Tatsächlich konnte Niederösterreich aus wirtschaftlicher Sicht stark profitieren. Zwar hat die Finanzkrise 2008/2009 die in Zentral- und Osteuropa stark engagierten österreichischen Banken hart getroffen, laut Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), sei die EU-Erweiterung aber ein „großer Erfolg“ gewesen. „Im Durchschnitt haben wir dadurch mehr Beschäftigung aufbauen können, wir haben mehr Wirtschaftswachstum erfahren und wir haben vor allem unsere Exporte deutlich steigern können“, so Helmenstein gegenüber noe.ORF.at.

Tschechien zweitgrößter Exportmarkt

Während knapp ein Drittel der von Niederösterreich exportierten Güter und Dienstleistungen im Jahr 2017 nach Deutschland gingen, haben die zentral- und osteuropäischen Länder stark an Bedeutung gewonnen. „Deutschland führt nach wie vor mit weitem Abstand, aber dann folgt schon Tschechien als der zweitgrößte niederösterreichische Exportmarkt gleichauf mit Italien und danach kommt bereits ein weiteres osteuropäisches Land, nämlich Ungarn“, führt Helmenstein aus.

EU-Erweiterung Grenzregion Tschechien

ORF

Tschechien ist mittlerweile Niederösterreichs zweitwichtigster Exportmarkt

Außerdem konnte Niederösterreich davon profitieren, dass das Wirtschaftswachstum in den neu aufgenommenen EU-Mitgliedsstaaten in den vergangenen Jahren vergleichsweise hoch war. Derzeit wachsen die zentral- und osteuropäischen Länder jährlich um 1,5 Prozentpunkte schneller als der westeuropäische Durchschnitt. Weil niederösterreichische Unternehmen stark in den Nachbarländern engagiert sind, würde Niederösterreich Wachstumsimpulse aus den Nachbarländern importieren.

Starker Wettbewerb in grenznahen Regionen

Nichtsdestotrotz führte die Erweiterung für gewisse Bevölkerungsschichten auch zu Nachteilen. In erster Linie betrifft das weniger gut ausgebildete Menschen sowie grenznahe Regionen. „Was wir sehen können, ist, dass es Personen, die in den Grenzregionen in personalisierten Dienstleistungen tätig sind, also zum Beispiel eine Kosmetikerin oder eine Masseurin, weitaus schwieriger haben, weil diese Dienstleistungen in den umliegenden Nachbarländern günstiger angeboten werden“, erklärt Laura Wiesböck, Soziologin an der Universität Wien.

Wiesböck begründet das unter anderem mit dem Lohngefälle zwischen Österreichern und Pendlern aus den EU-Nachbarländern. Im Zuge eines Forschungsprojekts habe man festgestellt, dass Pendler aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn in derselben Branche etwa die Hälfte dessen verdienen, was Österreicher bekommen.

EU-Erweiterung 2004 15 Jahre Bilanz Wirtschaft Kriminalität

Economica

Diese Grafik zeigt die Verteilung der Wertschöpfung in Österreich. Je höher der Balken, desto höher die Wertschöpfung

Helmenstein ortet auch heute noch eine gewisse Grenzaversion in Niederösterreich. Das Economica Institut für Wirtschaftsforschung, das von Helmenstein geleitet wird, untersuchte, wie hoch die Wertschöpfung in den einzelnen Regionen Österreichs ist. Die Analyse zeigte, dass sie in Niederösterreich entlang der Grenze sehr gering ist, während in Westösterreich im Grenzbereich eine hohe Wertschöpfung vorliegt. „In Vorarlberg sucht man geradezu die Nähe zu Liechtenstein oder zur Schweiz. Das heißt, in Ostösterreich besteht eigentlich nach wie vor ein Bedarf an speziellen Regionalförderprogrammen, um die ganz grenznahen Gebiete stärker zu entwickeln“, erklärt der Ökonom.

Osteuropäer kaufen gerne in Niederösterreich

Doch selbst wenn Tätigkeiten insbesondere in den Bereichen Gastronomie, Tourismus oder auch der Pflege heutzutage verstärkt von Menschen aus Zentral- und Osteuropa ausgeübt werden, braucht es laut Wiesböck bei der Verdrängungsdebatte einen differenzierten Blick. Immerhin würden viele dieser Menschen einen großen Teil ihres Geldes auch in Österreich ausgeben, insbesondere in den Grenzregionen.

„Das kann zum Beispiel Markenkleidung betreffen, wenn man an das Outlet Center Parndorf denkt, aber auch Lebensmittel oder Benzin. Wenn man sich etwa die Infrastruktur in Hainburg an der Donau ansieht, dann merkt man, dass da sehr stark von Personen aus Slowakei konsumiert wird. Also es ist nicht so, dass das Geld zur Gänze nach Hause getragen wird“, so die Soziologin.

Kriminalitätsrate in Niederösterreich rückläufig

Auch die Befürchtung, dass es in Niederösterreich zu einem Anstieg der Kriminalitätsrate kommen könnte, bewahrheitete sich nicht. „Diese EU-Erweiterung hat sich hinsichtlich der Kriminalität in Niederösterreich auf keinster Weise ausgewirkt“, so Polizeisprecher Johann Baumschlager. „Wir haben sogar laut Statistik Rückgänge zu verzeichnen, etwa was Einbrüche in Wohnhäuser und Wohnungen oder auch was den Pkw-Diebstahl betrifft. Und wir haben als Tätergruppe großteils Österreicher.“

Schwerpunktkontrolle der Polizei

ORF / Gernot Rohrhofer

Die EU-Erweiterung 2004 hat zu keinem Anstieg der Kriminalität in Niederösterreich geführt. Im Gegenteil: Laut Statistik gehen die Straftaten zurück

Baumschlager begründet die Rückgänge in erster Linie damit, dass einerseits sehr stark auf Prävention gesetzt würde und andererseits die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei sehr gut funktioniere. Ablesen lässt sich das mitunter an der Aufklärungsquote. Konnten im Jahr 2008 noch 38 Prozent der angezeigten Straftaten geklärt werden, so stieg die Quote in den vergangenen Jahren sukzessive an. Im Jahr 2017 erreichte die Aufklärungsquote mit 50 Prozent einen neuen Höhepunkt.

Thomas Puchinger, noe.ORF.at