Sacre Coeur erinnert an dunkles Kapitel

Der Spiegelgrund in Wien steht für ein besonders dunkles Kapitel der österreichischen Geschichte in der NS-Zeit. Mit einer Verbindung zur eigenen Schule hat sich eine Schülergruppe aus Pressbaum (Bezirk St. Pölten) beschäftigt.

In der „Wiener städtischen Fürsorgeanstalt Am Spiegelgrund“ wurden während der Zeit des Nationalsozialismus Kinder und Jugendliche mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen medizinischen Versuchen ausgesetzt, gequält und systematisch ermordet. Das Schulgebäude des Sacre Coeurs in Pressbaum (Bezirk St. Pölten) diente damals als Außenstelle der „Nervenheilanstalt“ Spiegelgrund.

04.06.19 Sacre Coeur Pressbaum Spiegelgrund Geschichte Aufarbeitung NS-Zeit Nationalsozialismus

ORF

Dieses Nebengebäude am Schulcampus diente als Unterbringungsort für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen

Vor einem Jahr starteten Schülerinnen und Schüler der Kindergartenpädagogik im Sacre Coeur ein Kreativprojekt, um an die Schicksale der Kinder vor 80 Jahren zu erinnern. Dazu drehten die Schülerinnen und Schüler einen Film und arbeiteten eine Performance aus. Damit wollen sie erreichen, dass die Geschichte des sogenannten „Spezialkinderheims“ nicht in Vergessenheit gerät.

Schule war Außenstelle der NS-Anstalt

Im Frühjahr 1939 war das Haupthaus des Sacre Coeurs in Pressbaum bereits von der Wehrmacht besetzt, kurz darauf wurde es zu einem Lazarett umgewandelt. Im Juni desselben Jahres wurde das Spezialkinderheim in zwei Nebengebäuden des Schulareals eingerichtet. Mehr als 100 Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen waren ab 1939 im von den Nazis okkupierten Sacre Coeur in Pressbaum untergebracht. Alle wurden schließlich 1941 Am Spiegelgrund ermordet.

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Die Schülerinnen und Schüler bei der gemeinsamen Gedenkfeier

„Wir dürfen das nicht vergessen“

Das Erinnerungsprojekt der Schülerinnen und Schüler nahm seinen Anfang, als die 4b-Klasse 2018 im Unterricht die Euthanasie der nationalsozialistischen Rassenhygiene besprochen hatte, erzählt Schülerin Lena Reischer. „Im Rahmen des Heil- und Sonderpädagogikunterrichts, in dem wir über Kinder mit Behinderungen in der Nazizeit gesprochen haben, habe ich die Frage in den Raum gestellt, inwieweit der Ort hier, an dem wir lernen, auch daran beteiligt war. So ist das Ganze dann eigentlich ins Rollen gekommen.“

Noch in derselben Stunde beschlossen die Jugendlichen ein Projekt zu starten. Die Aufarbeitung der Geschichte, die sich direkt vor der eigenen Türe abgespielt hatte, sei nicht immer leicht gewesen, ergänzt Schülerin Monika Wandl. „Die Stimmung während der Arbeiten daran war ein bisschen traurig, ein bisschen wütend, aber auch erschrocken, weil es dadurch so nah geworden ist für uns.“

Akten in Wien belegen die Kindermorde

Die Schüler und Schülerinnen bedankten sich am Dienstag im Rahmen eines selbst organisierten Festaktes bei Barbara Petrasch, die mit ihrer Diplomarbeit vor zehn Jahren die Recherchearbeit zu diesem dunklen Kapitel lieferte. Nach ihren Angaben waren zwischen 1939 und 1941 in Pressbaum 140 Kinder und Jugendliche untergebracht, bevor sie nach Wien Spiegelgrund abtransportiert wurden. „Für jedes Kind gab es eine Akte, die heute alle im Stadt- und Landesarchiv in Wien aufliegen. Aus ihnen geht hervor, dass alle Kinder systematisch getötet worden sind“, so die Sozialarbeiterin Petrasch.

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Die Schülerinnen und Schüler setzten um die Schule viele Zeichen

Ein Kirschbaum erinnert an die ermordeten Kinder

Im Garten vor jenem Pavillion, in dem das Spezialkinderheim untergebracht war, pflanzten die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der gemeinsam organisierten Gedenkveranstaltung einen Kirschbaum. Auch diese Idee kam von den Schülerinnen und Schülern selbst, erzählt Christa Haberleitner, eine der Lehrerinnen, die die Schülerinnen und Schüler bei dem Projekt begleitete. „Sie haben sich gewünscht, dass es ein Baum sein soll, der Früchte trägt, sodass die Kindergartenkinder, die heute hier spielen und fröhlich sind, Freude daran haben.“ Er soll als Baum der Erinnerung dienen, aber auch als positives Zeichen für die Zukunft gesehen werden.

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Die Pflanzung eines Kirschbaums war Teil eines gemeinsamen Festaktes

Für die Jugendlichen war das umfangreiche Projekt erst der Gedenkauftakt, sie wollen dieses Kapitel der eigenen Schulgeschichte weiter thematisieren. Eine Schülerin etwa fand durch das Projekt eine Anregung für ihre vorwissenschaftliche Arbeit, die sie im Zuge der Vorbereitung auf die Matura schreiben muss. Ab Herbst wird sie sich dann noch intensiver mit dem Spiegelgrund beschäftigen.

Christian Blinzer, der Geschichtslehrer der 4b, unterstützt die Gruppe in ihren Bestrebungen des Erinnerns. „Ich gebe den Schülerinnen und Schülern völlig recht, dass die Beschäftigung mit diesem dunklen Kapitel nach diesem Projekt nicht zu Ende sein kann. Erinnern und auch die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist etwas, das durch die Beschäftigung und das ständige Hinterfragen von Vergangenem immer wieder passieren muss.“

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