Grenzbrücke in Hardegg im Nationalpark Thayatal
ORF/Novak
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„Grenzenlos“

Hardegg: 79 Einwohner, zwei Nationalparks

Mit nur 79 Einwohnern im Stadtgebiet gilt Hardegg (Bezirk Hollabrunn) als kleinste Stadt Österreichs. Direkt am Grenzfluss Thaya gelegen, hatte die Stadt vor 1989 immer stärker mit Abwanderung zu kämpfen. Gleich zwei Nationalparks halfen dabei, die Situation zu verbessern.

An einem sommerlichen Dienstagvormittag wird in Hardegg ein kleines Stück Geschichte geschrieben. Im dreißigsten Jahr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs trifft Hardeggs neuer Bürgermeister Friedrich Schechtner (ÖVP) auf Lubomir Vedra, seinen Amtskollegen aus der tschechischen Partnergemeinde Vranov nad Dyji (Frain). Schechtner übernahm erst vor dreieinhalb Monaten die Bürgermeisterfunktion in Österreichs kleinster Stadtgemeinde (ohne Katastralgemeinden). Nun steht ein Stadtfest an, mit dem im September gemeinsam das Jubiläum der Grenzöffnung vor 30 Jahren gefeiert werden soll. Beim ersten Vernetzungstreffen soll gleichzeitig die Basis dafür geschaffen werden.

Ein historisch bedeutsamer Ort

Die Verständigung zwischen den beiden ist schwierig, ohne Dolmetscher geht nichts. Doch beide können sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Thaya von beiden Seiten aus als unüberwindbar galt. Der Ort des Treffens, die Thayabrücke am Stadtrand von Hardegg, ist jedenfalls kein Zufall. Die Staatsgrenze verläuft exakt in der Mitte des Flusses und der Brücke.

Bis 1989 war die alte Konstruktion unpassierbar und galt als Symbol der Trennung. Während der Zeit des Eisernen Vorhangs montierten die Grenzwachen die Holzplanken ab und ließen nur ein dürres Stahlgerüst stehen. Heute ist die Brücke längst wieder für den Fußgänger- und Radverkehr geöffnet. Sie steht nun für den Austausch zweier Länder, die während der Monarchie bereits einmal vereint waren.

Ausstellung zur Grenzöffnung 1989 im Zollhaus Hardegg
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Auf tschechischer Seite beleuchtet eine neue Ausstellung im Zollhaus den Alltag bis zum Jahr 1989 und die Brutalität des Eisernen Vorhangs

An die Staatsgrenze erinnern nun auf den ersten Blick nur noch die zwei unterschiedlichen Farbtöne des Stahls, die in der Mitte der Brücke aufeinandertreffen. Auf tschechischer und österreichischer Seite schließen an die Brücke Gebäude an, die früher als Zollhäuser dienten. Heute sind in den Gebäuden Ausstellungen zu sehen, die an die wechselhafte Geschichte der Region erinnern sollen.

„Wir haben geglaubt, dass hier die Welt aus ist“

In der Grenzregion ist die Teilung in der kollektiven Erinnerung verankert – etwa bei Bürgermeister Schechtner, der in der Region auf einem Bauernhof aufwuchs: „Ich konnte auf den Feldern bis zur Grenze fahren. Als junger Mensch war es nicht vorstellbar, dass es hier aus ist und nicht weitergeht.“ Er habe sich irgendwann trotzdem daran gewöhnt und schlicht „geglaubt, dass hier die Welt aus ist.“

Ähnlich sieht es bei seinem tschechischen Amtskollegen Vedra aus: „Ich kann mich sehr gut an die Zeit vor 30 Jahren erinnern, zum Beispiel an die Beschränkungen. Ich finde es sehr gut, heute frei über die Grenze gehen zu können.“ Wie es war, auf völlig isoliertem Gebiet zu leben, könne sich die jüngere Generation gar nicht mehr vorstellen, sagt Vedra.

Bürgermeister aus Hardegg und Frain gemeinsam mit den Nationalparkdirektoren
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Die Bürgermeister Friedrich Schechtner und Lubomir Vedra sowie die Nationalparkdirektoren Christian Übl und Tomas Rothröckl (v.l.) vor ihrem Besuch einer Ausstellung im alten Zollhaus

Seitdem habe Tschechien wirtschaftlich „den richtigen Weg“ eingeschlagen, so der sozialdemokratische Bürgermeister der 800-Einwohner-Gemeinde Frain. „Man merkt hier im Grenzgebiet, dass auch in den kleinen Dörfern die Straßen und Häuser saniert werden, sich hier vieles weiterentwickelt.“ Gleichzeitig gebe es „einen gewissen Rückstand“, den man noch aufholen müsse.

„In allen Bereichen hat sich die Grenzöffnung positiv ausgewirkt“, bestätigt auch Schechtner. Doch auch er spricht von wirtschaftlichen Problemen, die in der ehemals abgeschotteten Region andauern. Jahrzehnte der Abwanderung und des Bevölkerungsrückgangs hinterließen ihre Spuren. In Hardegg gibt es mittlerweile mehr Häuser als Einwohner. Trotzdem ist der neue Ortschef nun immerhin etwas optimistischer eingestellt. „Nach langer, langer Zeit ist es uns gelungen, den Bevölkerungsabgang abzuschwächen“, die derzeitige Stagnation sieht Schechtner bereits als Erfolg.

Tourismus als Wachstumsmotor

Industriebetriebe findet man allerdings auf beiden Seiten der Grenze kaum. Abgesehen von der Landwirtschaft gibt es daher vor allem einen wirtschaftlichen Hoffnungsträger: den Tourismus. An den beiden Ufern der Thaya befinden sich schließlich nicht nur zwei unterschiedliche EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch zwei eigenständige Nationalparks. Auf tschechischer Seite entstand bereits 1991, zwei Jahre nach der Grenzöffnung, der Narodni park Podyji. Neun Jahre später folgte auf österreichischer Seite der Nationalpark Thayatal.

Grenzbrücke in Hardegg im Nationalpark Thayatal
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Von der tschechischen Seite der Grenzbrücke gewinnt man einen Eindruck von Hardegg und dem Nationalpark Thayatal. Die Staatsgrenze verläuft in der Mitte der Thaya und der Brücke

Die Naturlandschaft rund um die Thaya ist auf vielfältige Weise einzigartig. Während in Österreich in den vergangenen 20 Jahren viel unternommen wurde, um den ursprünglichen Zustand der Vegetation und des Tierreichs wiederherzustellen, stellte sich die Situation in Tschechien anders dar.

Der „einzige Vorteil“ des Eisernen Vorhangs

Die Grenzsoldaten hatten bis 1989 ein mehrere Kilometer breites Sperrgebiet bewacht, in dem es praktisch kein menschliches Leben gegeben hatte. „Das war der einzige Vorteil des Eisernen Vorhangs, dass sich die Natur hier jahrzehntelang ohne Störung frei entwickeln konnte“, sagt heute Tomas Rothröckl, der Direktor des tschechischen Nationalparks.

Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs habe man nun die Beziehungen zur österreichischen Seite wieder aufbauen können. Dass es nun auf beiden Seiten Parks gibt, ist für Rothröckl nur logisch: „Beide Nationalparks gemeinsam schützen eine naturräumliche Einheit. Biologisch und auch geografisch gesehen ist das ein Raum, die Grenze an sich ist nur eine Formalität.“ Beide Hälften müssten gleich gut geschützt werden, um den Naturraum zu erhalten. Man entdecke in der Gegend gemeinsam auch immer noch neue Arten und mache neue wissenschaftliche Funde.

Ein spezielles Projekt der Europäischen Union soll diese Zusammenarbeit seit 2017 weiter ausbauen. Es trägt den Namen „Connecting Nature“ und verbindet sechs österreichische und fünf tschechische Institutionen. Der Nationalpark Thayatal ist als projektleitende Organisation aktiv. Bis 2020 soll das Projekt noch laufen, insgesamt wird es mit EU-Geld in Höhe von mehr als 1,8 Millionen Euro gefördert.

Wald im Nationalpark Thayatal
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Auf der österreichischen Seite befindet sich der Wald wieder in einem natürlicheren Zustand als noch vor 30 Jahren

Inhaltlich gibt es verschiedene Ansatzpunkte. So soll gemeinsam der Schutz der Moore verbessert werden. Auch die Erforschung und der Schutz von Korridoren für Wildtiere sind Teil des Projekts. „Nationalparks haben verschiedene Aufgaben, einerseits den Naturschutz, andererseits Erholung und die Möglichkeit, die wunderschöne Natur zu genießen“, sagt Christian Übl, Direktor des Nationalparks Thayatal. Hier sei eine grenzüberschreitende Abstimmung zwingend notwendig, denn „es würde nichts bringen, wenn die eine Seite sagt, das ist ein Gebiet, wo man nicht hin darf, und die andere Seite gerade dort einen Wanderweg errichtet.“

Bessere Ergebnisse durch Zusammenarbeit

Bei der Wildtierforschung habe man im Zuge des Projekts erstmals wissenschaftliche Daten aus beiden Ländern zusammengeführt. „Wir haben entdeckt, dass sich da manche Korridore verschieben. Man bekommt außerdem bessere Ergebnisse, wenn man beide Daten berücksichtigt“, erklärt Übl. Das Forscherteam habe eine Verbindung zwischen den Alpen und dem Böhmerwald entdeckt, „und das Waldviertel ist da ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt.“

„Die Nationalparks haben einen wesentlichen Anteil an der Verschmelzung und am Zusammenwachsen der Bevölkerung“, freut sich Hardeggs Bürgermeister Friedrich Schechtner. Die großteils unberührte Natur lockt vor allem im Sommer zahlreiche Touristen an, sowohl Tschechen als auch Österreicher, viele kommen mit dem Fahrrad.

Das nimmt man auch auf der anderen Seite der Grenze erfreut zur Kenntnis: „Man merkt es auch in Frain, und auch der Nationalpark trägt dazu seinen Beitrag bei. Im Grenzgebiet gibt es keine großen Fabriken, die Region ist abhängig vom Tourismus. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Tourismuszahlen weiter steigen“, sagt Bürgermeister Vedra.