Eine Zecke krabbelt über den Arm einer Person.
APA/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
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Wissenschaft

Borreliose: Viele Fälle, wenige Daten

Im vergangenen Jahr waren Zecken in Niederösterreich äußerst aktiv. Die Tiere können viele Erreger übertragen. Während FSME-Erkrankungen genau erfasst werden, gibt es über Borreliose-Erkrankungen nur Schätzungen. Für Forscher wären mehr Daten „wünschenswert“.

Wanderröte
ORF
Der rote Kreis: Wanderröte

Ein Stich und ein roter Kreis rundherum: Dass es sich dabei um Borrelien handeln könnte, kommt nicht jedem gleich in den Sinn. Kontaktiert man den Arzt, kann dieser den Verdacht bestätigen: Nicht etwa mittels Blutuntersuchung, denn diese würde in den ersten Tagen möglicherweise noch gar keine Veränderung zeigen. Das wohl aussagekräftigste Symptom zu Beginn einer Infektion sind die Wanderröte und damit einhergehend die Erfahrung und das geschulte Auge des Arztes, damit eine Therapie mittels Antibiotikum und der Kampf gegen die Bakterien rasch gestartet werden können. Wird die bakterielle Infektion nicht rechtzeitig erkannt, kann sie zu Gelenksentzündungen, Infektionen der Nervenwurzeln, Gehirnhautentzündung und Lähmungen führen.

Nur Schätzung: Bis zu 70.000 Betroffene pro Jahr

Borreliose ist in Österreich die häufigste durch Zecken übertragene Erkrankung. Im Gegensatz zur viralen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) handelt es sich bei Borrelien um Bakterien. Es gibt, anders als bei FSME, keinen Impfschutz, und keiner weiß, wie viele Menschen tatsächlich jedes Jahr erkranken: Während die Zahl der FSME-Erkrankungen in Österreich jedes Jahr erfasst wird (2018 waren es 154 in Österreich und 17 in Niederösterreich), können Forscher die Zahl der an Borreliose Erkrankten nur schätzen.

„Wir haben nur Schätzungswerte aufgrund von älteren Erhebungen und schätzen, dass es pro Jahr 50.000 bis 70.000 Erkrankungen gibt“, sagte Mediziner Mateusz Markowicz vom Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Universität Wien, das sich auch als nationales Referenzzentrum für Borreliose einen Namen gemacht hat. „Es ist schwer abzuschätzen, weil es eine nicht meldepflichtige Erkrankung ist. Das heißt, wir haben im Gegensatz zu den Erkrankungen, die per Gesetz überwacht werden, keine Daten, die verlässlich und vergleichbar sind.“ Es gebe in Europa Länder, die Borrelien-Erkrankungen dokumentieren, aber die Kriterien für diese Meldung seien sehr unterschiedlich, so der Wissenschaftler.

Atypische Verläufe machen Dokumentation schwierig

Die Erkankung wird in drei Stadien eingeteilt, wobei nicht alle Stadien bei allen Patienten auftreten und atypische Verlaufsformen häufig zu beobachten sind. Die Wanderröte zeigt sich etwa nur bei der Hälfte aller Infizierten, andere haben wiederum grippeähnliche Symptome, die sie oftmals nicht mit einem Zeckenstich in Verbindung bringen. Das macht die Diagnostik und somit auch die Erfassung der Erkrankung schwierig. „Im ersten Schritt müsste man festlegen, welche Manifestationen man meldet und anhand welcher Grundlagen.“

Erythema Migrans – Wanderröte
Dr. Mateusz Markowicz/Uni Wien
Erythema migrans – die Wanderröte sollte umgehend mit Borreliose in Verbindung gebracht werden

Fast jede zweite Zecke mit Erregern infiziert

In welchen Regionen kommt es jährlich gehäuft zu Borreliose-Fällen? Ist die Gefahr einer Infektion im Frühjahr genauso groß wie im Spätsommer? Über Studien versuchen die Forscher Fragen wie diese zu klären und mehr über Borrelien und Zecken zu erfahren. Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2017 ist fast jede zweite Zecke in Österreich mit Krankheitserregern infiziert.

„Das Resultat der Studie (554 Zecken wurden untersucht, Anm.) zeigt, dass Zecken in Vorarlberg – es wurden jeweils zwei bis fünf Orte pro Bundesland getestet – am häufigsten mit Borrelien infiziert sind (33,9%), gefolgt von Oberösterreich (28,3) und Tirol (27,9). Am niedrigsten ist das Risiko in Niederösterreich, hier ist nur etwa jede fünfte Zecke ein möglicher Überträger“, heißt es auf der Website der Universität Wien. Nachdem Krankheitsfälle in Österreich nicht gemeldet werden, sind die Wissenschafter auf die Freiwilligkeit von Kollegen und Patienten angewiesen.

Borrelien unter dem Mikroskop
Anna Schötta
So sehen sie aus: Borrelien unter dem Mikroskop

Mehr Daten für Forscher „wünschenswert“

Mehr flächendeckende Informationen „wären natürlich wünschenswert“, sagte Markowicz. „Weil man dann die saisonale Entwicklung der Erkrankung besser beurteilen kann. Man kann dann besser sagen, ob es von Jahr zu Jahr oder je nach Region Unterschiede gibt.“ Aktuell suchen die Forscher der Universität Wien Teilnehmerinnen und Teilnehmer für zwei Studien. In einer werden Zecken untersucht, die in der Natur gesammelt wurden. „Es müssen aber mindestens 20 Zecken gesammelt werden.“ Die Forscherinnen und Forscher wollen durch Wiederholungen der Untersuchung herausfinden, wie sich die Durchseuchung der Zecken zeitlich verändert, ob Borrelien oder andere Bakterien zunehmen oder abnehmen.

Aktuelle Studien

Weitere Informationen zu den aktuellen Forschungsstudien der Universität Wien finden Sie auf der Website des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie.

Für die zweite Studie werden Volljährige gesucht, die von einer Zecke gestochen wurden beziehungsweise Wanderröte haben, damit die Borrelien in der Haut charakterisiert werden können. „Es gibt aber auch noch einige andere Fragestellungen, zum Beispiel ob die serologische Diagnostik funktioniert, bzw. es gibt manchmal Patienten, die keine Antikörper bei der Wanderröte entwickeln, und wir wollen diese Borrelien-Spezies ansehen, ob es genetische Auffälligkeiten gibt, und wir untersuchen auch die Immunzellen“, so Markowicz.

Auch EU hat Interesse an mehr Daten

Auch auf europäischer Ebene besteht Interesse, Daten zu Borrelien-Infektionen besser zu erfassen, sagte der Wissenschaftler. „Es gab seitens der EU ein Projekt, bei dem es darum ging, die Borreliose europaweit zu erfassen. Da hat man sich darauf geeinigt, dass die Neuroborreliose die beste Form der Erkrankung wäre, aufgrund der Diagnostik, weil eine Vergleichbarkeit unter den Ländern gegeben wäre. Es gibt auch schon Länder, die das erfassen, bei uns ist das im Moment aber nicht der Fall.“

Dass auch Insekten Borreliose übertragen, wird zwar immer wieder diskutiert, ist für den Wissenschaftler aber nicht vorstellbar. „Das wurde bisher noch nie gezeigt.“ Vielmehr könnten für Stiche ohne sichtbaren Zecken deren Larven infrage kommen. Sie sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen und auch Träger der Borrelien, sagen Wissenschaftler. Der Übertragungsmechanismus der Borreliose sei ein komplizierter Prozess. Die Erreger leben im Darm der Zecke, daher dauert es vermutlich auch einige Stunden, bis die Borrelien nach einem Stich in das Blut des Wirtes gelangen. „Das wäre durch Insekten nicht möglich“, so Markowicz, für den es noch viele Antworten zu suchen gilt. „Es gibt viele Fragen, für die wir nur teilweise Antworten haben.“