Rathaus Göpfritz von außen
ORF/ Hannes Steindl
ORF/ Hannes Steindl
Chronik

Göpfritz und der Teilchenbeschleuniger

Das Kernforschungszentrum CERN bei Genf in der Schweiz erforscht seit Jahrzehnten erfolgreich die faszinierende Mikrowelt der Atome. Vor 50 Jahren gab es höchst konkrete Pläne, einen größeren Teilchenbeschleuniger in Göpfritz an der Wild im Waldviertel zu errichten.

1969 ritterten 13 europäischen Länder um den Zuschlag für das damals hunderte Millionen Schilling schwere internationale Wissenschaftsprojekt eines Teilchenbeschleunigers mit mindestens 2,4 Kilometer Durchmesser. Das 1957 gegründete CERN war zu klein geworden. Ab 1964 wurden – zunächst streng geheim – umfangreiche Bohrungen bei Göpfritz (Bezirk Zwettl) durchgeführt. Vizebürgermeister Werner Scheidl (ÖVP) führt uns zu einem Bohrloch aus den 1960er-Jahren – tief im Wald, der sogenannten Wild. Es ist mit einem gusseisernen Deckel, ähnlich einem Kanaldeckel, verschlossen.

„Wir stehen hier vor dem größten Bohrloch. Hier geht es 46 Meter in die Tiefe und von dort aus wurde ein Stollen mit ungefähr 100 Metern Länge errichtet“, erzählt Werner Scheidl. Insgesamt wurden mehr als 80 Bohrungen durchgeführt, teilweise in der Form von Kernbohrungen, die bis zu 1.100 Meter tief in das Erdreich eindrangen.

Dazu kamen etliche Schächte, um die geologischen Verhältnisse für einen kreisrunden, mehr als 20 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger zu erkunden. Das Granitplateau des Waldviertels sowie die dünne Besiedlung ließen die Region als geeignet erscheinen.

Geheimhaltung führte zu Angst

Nachdem die damalige Bundesregierung der Bevölkerung jahrelang verschwiegen hatte, was da gebaut und gebohrt wurde – man befand sich schließlich mitten im Kalten Krieg – blühten die Fantasien und Ängste in der Bevölkerung. Die Älteren fühlten sich an die Vertreibungen erinnert, die damals beim Bau des benachbarten Truppenübungsplatzes Allentsteig über die Bevölkerung hereinbrachen, schildert der Göpfritzer Altbürgermeister Erich Mautner (SPÖ) gegenüber dem ORF Niederösterreich.

„‚Zum Schluss werden wir enteignet und müssen weg von hier‘, raunten viele am Wirtshausstammtisch. Als dann langsam durchsickerte, dass das irgendetwas mit ‚Atom‘ zu tun habe, war es überhaupt aus mit dem Vertrauen in die Politik“, schmunzelt heute Erich Mautner. Erst 1968 rückte die Regierung mit den Plänen heraus. Dem Altbürgermeister ist noch ein Satz von Bruno Kreisky in Erinnerung, der damals zu beruhigen versuchte und sagte, dass das weniger gefährlich sei, als wenn hier eine Pulverfabrik errichtet würde.

Das Waldviertel als Atomforschungszentrum

Nach der höchst erfolgreichen Entwicklung, die das CERN bei Genf in der Schweiz über die letzten Jahrzehnte genommen hat, darf heute spekuliert werden, was stattdessen aus dem Waldviertel geworden wäre. CERN beschäftigt heute laut Wikipedia mehr als 3.400 wissenschaftliche Mitarbeiter.

Der Vizebürgermeister Werner Scheidl seufzt: „Göpfritz wäre wahrscheinlich ein Forschungsstandort mit 10.000 Einwohnern. Viele hochspezialisierte Firmen hätten sich hier angesiedelt. Krems wäre wahrscheinlich wesentlich früher eine Universitätsstadt geworden. Das Waldviertel würde wahrscheinlich ganz anders aussehen und die Abwanderung wäre vielleicht auch kein Thema.“

Warum wurde das Projekt 1969 schließlich von der internationalen Kommission abgelehnt? Vizebürgermeister Scheidl nennt dafür einige Gründe: Zuerst sei die finanzielle Belastung für die österreichische Bundesregierung schließlich zu hoch gewesen. Das Waldviertel befand sich damals außerdem zu nahe am Eisernen Vorhang und die Invasion der Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei war gerade erst ein Jahr zuvor passiert. Dazu kamen geologische Bedenken wegen des Wassereinbruchs in die Stollen.

In einem Punkt schließt sich heute allerdings der Kreis: Verena Kain, eine Naturwissenschafterin, die aus Göpfritz an der Wild stammt, arbeitet seit mehr als zehn Jahren höchst erfolgreich im Kernforschungszentrum CERN in der Schweiz.

Links: