Stadtansicht Bratislava
ORF / Novak
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„Grenzenlos“

Bratislava: Eine Stadt in drei Staaten

Bratislava ist nicht nur die Hauptstadt der Slowakei, sondern auch deren unbestrittenes wirtschaftliches Zentrum. Der Großraum der Stadt hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark ausgedehnt – auch auf das Grenzgebiet in Niederösterreich, dem Burgenland und Ungarn.

13 Kilometer braucht Juraj Pekarek jeden Tag für seinen Weg in die Arbeit. Je nach Wetter nutzt er dafür das Auto, einen Elektroroller oder das Fahrrad. Damit überquert Pekarek beim Hin- und Rückweg seiner Pendlerstrecke jeweils einmal die österreichisch-slowakische Staatsgrenze.

Der gebürtige Slowake arbeitet seit vielen Jahren bei der Niederlassung des Computerherstellers Dell in Bratislava. Dort ist er mittlerweile in der Abteilung Verkauf zum Teamleiter aufgestiegen. Als er 2014 umziehen musste, fand er die passende Wohnung schließlich im burgenländischen Kittsee, auf der anderen Seite der Grenze. „Da ich gut Deutsch spreche, die Kultur mag und bereits zuvor viele Ausflüge unternommen habe, habe ich mich für Österreich als Wohnort entschieden“, erklärt Pekarek. Nach zwei Jahren folgte der nächste Umzug nach Wolfsthal (Bezirk Bruck an der Leitha), wo er nun mit seiner Familie in einem Einfamilienhaus wohnt.

Juraj Pekarek auf seinem Elektroroller
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Oft legt Juraj Pekarek seine Pendlerstrecke mit dem Elektroroller zurück

Für Pekarek und viele andere ist es reizvoll, außerhalb des Stadtzentrums im Grünen zu leben und trotzdem möglichst viele der Staus rund um Bratislava zu vermeiden. Ein entscheidendes Thema sind aber auch dessen Immobilienpreise.

Viele Jobs und teure Mieten

Seit den 1990er-Jahren wurde viel in die slowakische Hauptstadt investiert, unter anderem wurde es zu einem Zentrum der Autoindustrie. Diese wirtschaftliche Entwicklung führte zu vielen neuen Jobs und enormer Zuwanderung etwa aus dem Osten des Landes. Gleichzeitig stiegen aber die Preise für Miet- und Eigentumswohnungen. Mittlerweile sind diese fast auf dem Niveau der 60 Kilometer westlich gelegenen Millionenstadt Wien. Das Einkommensniveau ist allerdings in demselben Zeitraum nicht überall so stark gestiegen. Noch immer liegt der slowakische Durchschnittslohn etwa bei der Hälfte des österreichischen.

Es komme wie in jeder anderen Großstadt zu einer Suburbanisierung, also zu einer Wanderungsbewegung an den Stadtrand, erklärt der Raumordnungsexperte Marek Dinka, der für die Stadt Bratislava arbeitet und dort auch grenzüberschreitende Themen betreut. Er verweist auf die spezielle geografische Lage der Stadt direkt an zwei Staatsgrenzen: „Interessant ist, dass die Grundstückspreise sowohl in Ungarn als auch in Österreich niedriger sind. Aus diesem Grund ziehen die Leute um, auch in die österreichischen Nachbargemeinden.“ In vielen österreichischen Orten im Grenzgebiet, darunter neben Kittsee und Wolfsthal auch etwa Berg und Hainburg (beide Bezirk Bruck an der Leitha) sei schon etwa ein Viertel der Einwohner Slowaken.

Marek Dinka in seinem Büro
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Marek Dinka von der Stadtverwaltung Bratislava in seinem Büro in der Altstadt

Durch die Beitritte zur EU, zum Schengenraum und im Fall der Slowakei auch zum Euro, wurde ein grenzüberschreitender Umzug deutlich leichter. Das zeigen auch die Statistiken. So arbeiteten laut dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger 2018 etwa 35.000 slowakische Staatsbürger in Niederösterreich – mehr als dreimal so viele wie zehn Jahre zuvor. Gut jeder zehnte davon pendelt nun aus unterschiedlichen Teilen der Slowakei zum Arbeiten nach Niederösterreich.

Im umgekehrten Fall – der auch auf Juraj Pekarek zutrifft – ist die Datenlage schwieriger. Doch auch hier haben sich die Zahlen laut Statistik Austria im vergangenen Jahrzehnt deutlich erhöht. 2017 pendelten demnach etwa 1.900 Menschen von Niederösterreich aus ins Ausland. In beiden Richtungen dürfte die Dunkelziffer der Menschen, die nicht korrekt gemeldet sind, deutlich höher liegen.

EU-Projekt soll Brücken bauen

Die Grenzen sind zwar in vielen Bereichen verschwunden, aber nicht überall. Hier setzt die Initiative Bratislava Umland Management (BAUM) an. Dabei handelt es sich um ein EU-gefördertes Regionalprojekt, für das die Stadt Bratislava mit den Bundesländern Niederösterreich und Burgenland zusammenarbeitet.

Karte des Bratislava Umland Managements
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Das Bratislava Umland Management vernetzt Gemeinden in zwei EU-Staaten

Raumordnungsexperte Marek Dinka war daran wesentlich beteiligt: „Es gibt ständig grenzüberschreitende Herausforderungen, aber die Behörden haben administrative Grenzen. Zum Beispiel ist für eine grenzüberschreitende Buslinie keine Behörde zuständig.“ Ständiges Thema seien auch die Gelsen entlang der March, denn die würden auch keine Grenzen kennen.

Kulturelle Differenzen in Österreich

Manchmal stehen aber auch kulturelle Unterschiede im Mittelpunkt, erzählt Dinka: „Die Leute, die aus der Stadt nach Österreich ziehen, sind es gewohnt, dass alles Grüne ein Park ist und man dort etwa mit dem Hund spazieren gehen kann. Im österreichischen Umland ist allerdings jedes Grundstück eine landwirtschaftliche Fläche, die jemandem gehört.“ Hier müsse manchmal vermittelt werden.

Erste Ansprechpartner sind in vielen Fällen die Bürgermeister der Gemeinden im Grenzland. Vor zwei Jahren wurde für diese Vernetzungstätigkeiten im Zentrum von Bratislava ein eigenes BAUM-Büro eröffnet. Im kommenden Jahr läuft die aktuelle Projektförderung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung aus. Langfristig will man ohne EU-Mittel auskommen und die Finanzierung anders bewerkstelligen.

Bautätigkeit in Wolfsthal
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Eine Baustelle im Wohngebiet von Wolfsthal

Generell funktioniere das Zusammenleben mit den Zugezogenen aber gut, heißt es. Das bestätigt auch der Pendler Juraj Pekarek – zumindest für seinen eigenen Fall: „Meine Familie spricht Deutsch, wir reden mit den Nachbarn und sind in der Gemeinde aktiv. Alles beginnt damit, wie höflich man ist und ob man jemanden grüßt. Wenn man mit der Familie in der Gemeinde zu sehen ist, dann wird das auch sehr gut angenommen.“

In Wolfsthal wird jedenfalls weiter gebaut. Zahlreiche neue Einfamilienhäuser entstehen derzeit, vor vielen Baustellen sind Autos mit slowakischen Kennzeichen zu sehen. Der Weg der Gemeinde zu einem inoffiziellen Vorort von Bratislava dürfte damit noch lange nicht zu Ende sein.