Die ehemalige Synagoge in Sankt Pölten
Kultur

Stadtspaziergänge: „Migration findet Stadt“

Am 16. September startet ein Vorprojekt zur St. Pöltner Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024: Auf drei Stadtspaziergängen sind Interessierte je zwei Stunden lang auf den Spuren von Orten und Menschen der Migration in St. Pölten unterwegs.

Anmeldungen bis 14. September unter 02742/9005/16259 oder office@migrationsforschung.at

„St. Pölten war und ist Migrationsstadt. Viele kennen die Geschichte der als Gastarbeiter gekommen Menschen in den 1970er-Jahren. Wussten Sie auch, dass es um die Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert eine große Zuwanderbewegung aus Böhmen und Mähren in die Stadt gab?“, kann man auf der Website des Zentrums für Migrationsforschung (ZMF) lesen.

Im Zuge eines Vorprojekts zur Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 hat das ZMF in Kooperation mit dem Büro St. Pölten 2024 und anderen Partnern „verschüttete Migrationsgeschichten ausgegraben“. An drei Montagen im September möchten die Veranstalter Interessierten kostenfrei die Möglichkeit bieten, auf den Stadtspaziergängen Spuren von Bekanntem und Unbekanntem zu entdecken und mit Experten und Zeitzeugen „Spannendes über die Geschichte der Menschen und Orte von Migration in den vergangenen hundert Jahren“ zu erfahren.

Auf den Spuren der Arbeitskräftemigration um 1900

Industrialisierung und Zuwanderung machten aus der Kleinstadt zwischen 1890 und 1910 eine pulsierende industrielle Metropole. Die herbeigerufenen Arbeiterinnen und Arbeiter stammten vor allem aus Böhmen und Mähren, siedelten sich hier an, gründeten Vereine und eine Sprachschule.

Unterkunft von Gastarbeitern in den 1960er Jahren
„Arbeitskräfte haben wir gerufen, Menschen sind gekommen“ (Max Frisch)

Der Arbeitskräftebedarf der großen Industriebetriebe stand auch am Beginn der zweiten großen Zuwanderung in den 1960er- und 1970er-Jahren aus Tunesien und der Türkei.

Treffpunkt: 16. September, 17.00 Uhr, ehem. Glanzstoffareal, Herzogenburger-Straße 46

Eine große Anzahl siedelte sich so wie die Tschechinnen und Tschechen Jahrzehnte davor rund um den Glanzstoff-Komplex, einem ihrer größten Arbeitgeber, an. Die beiden St. Pöltner Stadthistoriker Thomas Pulle und Thomas Lösch begeben sich mit Ekrem Aslan und Niklas Perzi vom ZMF auf die Spuren der Arbeitskräftemigration im Glanzstoffviertel.

Auf den Spuren des jüdischen St. Pölten

Das jüdische St. Pölten entstand nach 1848 durch Zuwanderung von Juden und Jüdinnen vor allem aus Böhmen und Mähren. Ein erstes Bethaus wurde bereits in den 1850er-Jahren eingerichtet, 1913 wurde der bis heute erhaltene Prachtbau eingeweiht. St. Pölten war das Zentrum des jüdischen Lebens zwischen Wien und den Voralpen.

Treffpunkt: 23. September, 17.00 Uhr, ehem. Synagoge, Dr. Karl-Renner-Promenade 22

1938 lebten in der Stadt rund 400 Jüdinnen und Juden. Wer nach dem „Anschluss“ die Flucht nicht schaffte, wurde von den Nazis ermordet. Nach 1945 kehrten nur mehr einige wenige nach St. Pölten zurück. Christoph Lind vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs (INJOEST) geht auf Spurensuche zu den Orten der einst blühenden jüdischen Gemeinde.

Auf den Spuren der Bosnier

Tausende Menschen waren bereits vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien nach (Nieder-)Österreich geflohen, als am 23. Juni 1992 in einer St. Pöltner Regionalzeitung ein Aufruf zu lesen war: „Hilferuf an alle St. Pöltner: Nehmt Kriegsflüchtlinge auf!“ Schließlich wurden etwa 250 von ihnen an der Adresse Spratzener Kirchenweg 83 untergebracht.

Treffpunkt: 30. September, 17.00 Uhr, Spratzener Kirchenweg 81-83

Heute befinden sich dort die Vereinshäuser des Kunst- und Kulturvereins LAMES sowie der vom Verein Sonnenpark kultivierte „Sonnenpark“. Damals gehörte das Areal bereits einige Jahr der Stadt St. Pölten, nachdem es vorher u.a. ein Betriebsgelände war. Mehr als zwei Jahre lebten die Flüchtlinge auf äußerst beengtem Platz. Mehr als 25 Jahre später sind viele von ihnen St. Pöltner geworden. Jasmina Dzanic kam damals als Kind nach St. Pölten und wird am Sonnenpark-Gelände gemeinsam mit Markus Weidmann-Krieger, dem Obmann des Vereins Sonnenpark, über dessen Vergangenheit erzählen.