Die Diskutantinnen und Diskutanten am Podium
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Wirtschaft

Teilzeit bei junger Generation immer gefragter

Experten sind sich einig, dass die nächsten Generationen neue Anforderungen an die Arbeitswelt stellen. In Zukunft werde es vermehrt Modelle brauchen, die die sogenannte Work-Life-Balance ermöglicht, so das Resümee einer Podiumsdiskussion des Alois Mock Instituts.

Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion am Dienstagabend war die Frage, ob Teilzeit das neue Vollzeitmodell werde. Speziell die jungen Generationen, die sich heute großteils noch in Ausbildung befinden, hegen bereits vor ihrem Berufseintritt den Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung, so die Annahme der Diskussionsrunde.

Die am Dienstagabend vom Alois Mock Institut veranstaltete Podiumsdiskussion im EVN Forum in Maria Enzersdorf (Bezirk Mödling) fühlte auch den Motiven für Teilzeitbeschäftigung nach. Diese fußen meist auf der als für junge Menschen hoch eingeschätzten Bedeutung eines ausgewogenes Verhältnisses von Arbeitszeit und Freizeit bzw. Familienzeit – der sogenannten Work-Life-Balance – so die junge deutsche Generationenforscherin Steffi Burkhart. Diese Balance zwischen Berufs- und Privatleben ermögliche neben der Erwerbsarbeit mehr Freizeit, Zeit für ehrenamtliches Engagement, die Möglichkeit, in mehreren Berufen parallel tätig zu sein oder eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

AMS-Vorstand Johannes Kopf
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AMS-Vorstand Joannes Kopf: „Teilzeit ist nicht per se schlecht, birgt aber Gefahren“

Heute arbeitet etwa jeder zehnte Mann in einer Teilzeitbeschäftigung, bei den Frauen sogar etwa jede zweite. Meist sind Betreuungspflichten der Hauptgrund, der von Vollzeitbeschäftigung abhält, so AMS-Vorstand Johannes Kopf. Er bezeichnete „Teilzeit volkswirtschaftlich als etwas grundsätzlich Gutes“. Innerhalb der letzten 20 Jahre blieb die Anzahl der vollzeitbeschäftigten Frauen gleich, während sich die Zahl der Frauen in Teilzeitbeschäftigung mehr als verdoppelt habe. Somit seien insgesamt mehr Frauen in Beschäftigungsverhältnisse aufgenommen worden, so Kopf.

Als „beschämend“ bezeichnete er hingegen, dass Frauen in erster Linie durch Betreuungpflichten gegenüber Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen unfreiwillig in die Teilzeit genötigt würden. „Gefährlich wird Teilzeit dann, wenn sie über einen langen Zeitraum andauert und daher Risiken wie Altersarmut birgt. Daher empfehlen wir Frauen beispielsweise nach der Karenz, möglichst rasch in einem möglichst hohen Stundenausmaß in den Job zurückzukehren“, so Kopf.

Flexibilität als Schlagwort der Zukunft

In Zukunft könnte Teilzeitarbeit sowohl von Männern als auch von Frauen vielfach als passendste Beschäftigungsform gewählt werden. Denn in einem Punkt waren sich bei der Podiumsdiskussion alle einig: Die Arbeitswelt verändert sich und mit ihr die Arbeitskräfte. Nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung sei es für die Berufstätigen der Zukunft wichtig, flexibel und lernbereit zu bleiben. Während einige Arbeitsplätze aufgrund der zunehmenden Technologisierung wegfallen, entstehen gleichzeitig neue Jobs. Das erfordere ständige Flexibilität sowohl von Arbeitskräften, als auch vonseiten der Unternehmen. Firmen werden es künftig mit Generationen zu tun haben, die nicht nur die Nachteile, sondern vor allem auch die Vorteile der Flexibilisierung einfordern würden, betonte Generationenforscherin Burkhart.

„In den Organisationen sollte nicht unterschätzt werden, dass es quasi eine stille Revolution der Jungen gibt, die sich nicht mehr Vollzeit anstellen lässt und sich nicht mehr in starre System eingliedern lassen möchte. Hier wird es nötig sein, die Firmenkulturen in die heutige Zeit zu überführen. Ich sehe die Notwendigkeit von Unternehmen, sich mit den Entwicklungen zu verändern, weil sie sonst Probleme bekommen, junge Arbeitskräfte an Land zu ziehen, die sich in flexibler Projektarbeit und Selbständigkeit organisieren – mit all den technischen Möglichkeiten, die es heute gibt und morgen geben wird“, so Burkhart.

Ähnlich sah das auch Wolfgang Sobotka (ÖVP), Nationalratspräsident und Präsident des Alois Mock Instituts: „Ein gutes Personalmanagement muss die Leute dort abholen, wo sie stehen um auch ihre Potenziale bestmöglich mit den Unternehmen in Verbindung bringen und dabei berücksichtigen, welche Vorstellungen die jungen Leute haben.“

Generationenforscherin Steffi Burkhart
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Generationenforscherin Steffi Burkhart: „Das Bildungssystem muss dringend auf die Veränderungen am Arbeitsmarkt reagieren“

Nachbesserungen bei Bildung und gesetzlichem Rahmen

Umso wichtiger sei es daher, gesetzliche Anpassungen zu schaffen, die es Unternehmen überhaupt ermöglichen, auf die Veränderungen Rücksicht zu nehmen, sagte AMS-Vorstand Kopf. Viele gesetzliche Vorgaben würden demnach noch aus dem Zeitalter der Industrialisierung stammen und seien vielfach nicht mehr mit den Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft vereinbar: „Um mit diesen Verschiebungen umzugehen, braucht es Adaptierungen, denn heute sind sie im rechtlichen Rahmen in keiner Weise abgebildet“, so Kopf.

Ebenso wichtig wie die Adaptierung gesetzlicher Rahmenbedingungen sei aber ein Umdenken in der Bildung notwendig, betonte Burkhart. Ihre und die nächsten Generationen, so ihre Einschätzung, werden zu einem großen Teil selbstständig und projektbezogen arbeiten. „Das Bildungssystem muss junge Menschen darauf vorbereiten, welche Lebensrealitäten sie erleben werden und dass sie eine viel höhere Unsicherheit in ihrer Lebensrealität haben werden als noch Generationen zuvor.“ Der Autor und Publizist Wolf Lotter sieht im Zuge dieser Unsicherheit und rasanten Entwicklungen ein Ende der immer intensiveren Spezialisierung gekommen: Er fordert eine Generation, „die eine Grundbildung bekommt, die wieder zurück zur Allgemeinbildung geht und die Lernen lernt. Wir haben zu viele Fachidioten und zu viele Leute, die grundlegende Zusammenhänge nicht mehr verstehen.“

Junge beurteilen Jobs mehr in Hinblick auf Sinn

Der für Arbeit zuständige Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) erklärte, dass auch der öffentliche Dienst durch diese Entwicklungen vor neuen Herausforderungen stünde und etwa Telearbeitsplätze forcieren würde. Außerdem unterstützte er Überlegungen, Arbeit künftig „in Erfolg zu messen statt in Stunden. Auch in den öffentlichen Institutionen geht es darum, dass wir in diesen Wettbewerb um die besten Kräfte eintreten und an Attraktivität gewinnen müssen“, so Eichtinger.

Burkart und Kopf verwiesen beide auf den zunehmenden Fachkräftemagel und wie wichtig es sei, im Rennen um die besten Köpfe attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen. „Viele Unternehmen müssen auch vermehrt ausweisen, welchen Sinn es hat, für sie tätig zu sein. Denn immer mehr Junge wollen ihre Arbeitszeit mit etwas Sinnstiftendem verbringen“, so Burkhart. Sie appellierte daran, die „Fridays for Future“-Bewegung, an der sich weltweit Millionen junger Menschen im Kampf für einen engagierten Klimaschutz beteiligen, als Vorzeichen und Beispiel dafür zu sehen, „dass die Sinnfrage unbestritten immer bedeutender wird“.