Begegnung mit dem Nachbarn an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze im Dezember 1989
Museum Hohenau an der March
Thomas Buchta
Wissenschaft

Das Jahr 1989 und seine Auswirkungen

Hohenau an der March (Bezirk Gänserndorf) ist am Samstag der Schauplatz des internationalen Symposiums „1989 vor Ort. Transformationen im ländlichen Raum“. Anlässlich des 30. Jahrestages der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ beschäftigt sich diese Tagung mit den Veränderungen rund um das Jahr 1989.

Veranstalter des Symposiums „1989 vor Ort. Transformationen im ländlichen Raum“ sind das Institut für Geschichte des ländlichen Raumes gemeinsam mit dem Niederösterreichischen Landesarchiv und dem Museum Hohenau an der March.

Die Marktgemeinde mit etwa 2.800 Einwohnerinnen und Einwohnern ist eine der vielen niederösterreichischen Gemeinden, für die diese bedeutsamen historischen Ereignisse im Jahr 1989 direkt „vor der Haustür“ stattfanden. Die Menschen in der Region sind unmittelbare Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.

„Mir ist vor allem die große Freude in Erinnerung“

Deshalb beschäftigt sich ein Teil der Veranstaltung mit dem Erinnern und Erzählen durch die Bevölkerung. So berichten der ehemalige Bürgermeister von Hohenau an der March gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister der slowakischen Nachbargemeinde Moravsky Sväty Jan über die Lokalpolitik in dieser Zeit.

Begegnung mit dem Nachbarn an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze im Dezember 1989
Thomas Buchta
„Begegnung mit dem Nachbarn“ an der March am 30. Dezember 1989

Der Hohenauer Alt-Bürgermeister Manfred Gaida (SPÖ): „Mir ist vor allem die große Freude in Erinnerung, mit der die Leute aus der Tschechoslowakei zur ersten Begegnung an das Flussufer gekommen sind, und auch die große Freude auf ‚unserer Seite‘ darüber, dass wir nun wieder gemeinsam in der Region leben können und nicht getrennt durch den ‚Eisernen Vorhang‘.“

Beim Symposium präsentieren Historikerinnen und Historiker Forschungen zu den Veränderungen rund um das Jahr 1989: „Gerade für den ländlichen Raum, durch den der ‚Eiserne Vorhang‘ ja über weite Strecken verlief, stellt dieses Kapitel der jüngsten Zeitgeschichte ein noch weitgehend unerforschtes Terrain dar“, so Ulrich Schwarz-Gräber, Geschäftsführer des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes in St. Pölten, über die Motivation, eine solche Vernetzungsveranstaltung zu organisieren.

Roman Zehetmayer, Leiter des Landesarchivs, ergänzt: „Die Veranstaltung verknüpft neueste wissenschaftliche Forschung mit Detailwissen vor Ort und leistet damit Vermittlungsarbeit im besten Sinne. Sie bringt junge Wissenschafter mit Zeitzeugen und Interessierten aus der Region ins Gespräch.“

„Versprochen wurden Fortschritt und Modernität“

Dietlind Hüchtker vom Leibniz Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa in Leipzig präsentiert in ihrem Referat die Bedeutung von Jugend und Ländlichkeit anhand von populärkulturellen Beispielen und zeigt so, wie der kulturelle Wandel in den Nachkriegsgesellschaften dargestellt und wahrgenommen wurde: „Die sozialistischen Gesellschaften versprachen Fortschritt, Modernität und eine bessere Gesellschaft und wandten sich insbesondere an die Jugend.“

Pontonbrücke über die March bei Hohenau im Jahr 1990
Museum Hohenau an der March
Die Pontonbrücke, errichtet 1990 für den Transport von Kalksteinen für die Zuckererzeugung, ab 1994 Grenzübergang

Joanna Rozmus beschäftigt sich am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien mit den Transformationen in einem südostpolnischen Dorf, in dem ein ehemaliger staatlicher Landwirtschaftsbetrieb in eine der größten Golfanlagen Europas umgebaut wurde.

Mojmir Stransky, ebenfalls vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, untersucht die Wahrnehmung der Freiwilligen Feuerwehren in der tschechischen Gesellschaft vor und nach 1989: „Die Kommunisten schwankten zwischen dem Verbot der Organisation und der versuchten Vereinnahmung.“

Ausstellung „Grenzen im Fluss“ zeigt die Veränderungen

Den Abschluss der Veranstaltung bildet der Besuch der Ausstellung „Grenzen im Fluss“ im Museum Hohenau an der March, die mit Bildern und Videos zeigt, was sich im Ort und in der Umgebung seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ verändert hat: Von der ersten „Begegnung mit dem Nachbarn“ am 30. Dezember 1989 an den Ufern der March über die Errichtung einer Pontonbrücke bis zur Eröffnung der fixen Brücke 2005 und zahlreichen grenzüberschreitenden Kooperationen von Vereinen.

Die Brücke über die March bei Hohenau
Brigitte Semanek
Die Brücke über die March führt von Hohenau nach Moravsky Sväty Jan

Bei der Materialsammlung zur Ausstellung sind dem Museumsteam bereits sehr eindrückliche Erinnerungen begegnet. Brigitte Semanek, Obfrau des Museumsvereins: „Das Besondere an 1989 ist auch, dass Leute aus meiner Generation, die die Öffnung der Grenze als Kinder und Jugendliche erlebt haben, nun bereits Zeitzeugen und Zeitzeuginnen sind und von ersten Begegnungen erzählen können – und auch von der Landschaft und den Dörfern jenseits der Grenze, von denen sie zuvor gar keine Vorstellung hatten.“

Erinnerungsmarsch

am 16. November ab 10.00 Uhr von Moravsky Sväty Jan an das Marchufer

Wilhelm Wind, ihr Vorgänger als Vereinsobmann, arbeitete in seiner Zeit als Hauptschuldirektor wie viele andere daran mit, dass Kontakte in die Nachbargemeinden nach 1989 rasch wieder aufgenommen, Sprachkontakte aufgefrischt und Unterrichtsstunden in der jeweils anderen Sprache angeboten werden konnten.

„Auch Diskussionen um die Errichtung eines Grenzübergangs und der lange Prozess bis zum Bau der fixen Brücke während der Amtszeit von Alt-Bürgermeister Robert Freitag sind Teil der örtlichen Erinnerungskultur“, so Semanek.