575 namentlich bekannte St. Pöltner Männer, Frauen und Kinder wurden nach dem „Anschluss“ Österreichs zwischen 1938 und 1945 von den Nazis in Konzentrationslagern getötet. An sie sollen die 18 mal 18 Zentimeter großen Messingplatten mit Namen, Geburtsdatum, Tag der Deportation und – wenn bekannt – Todesdatum an den Gehsteigen vor den letzten freiwilligen Wohnadressen erinnern.
2018 begann das Kooperationsprojekt des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest), das seinen Sitz in der ehemaligen Synagoge in St. Pölten hat, und der Stadt St. Pölten mit zwölf gesetzten Steinen in der Innenstadt der Landeshauptstadt für 28 Opfer. Nun wurden weitere elf Erinnerungssteine für 23 Holocaust-Opfer gesetzt. Die Steinsetzungen sollen jährlich fortgeführt werden. Das Ziel ist, dass an allen etwa 60 St. Pöltner Wohnadressen und weiteren Orten des Einzugsgebiets Steine der Erinnerung gesetzt werden, kann man auf der Website des Injoest lesen.
Diese Erinnerungsarbeit sei wichtig, „weil sie ins Gedächtnis rufen soll, was damals mit der jüdischen Bevölkerung St. Pöltens geschehen ist“, erklärte St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ). So soll das „oftmalige Schweigen gebrochen und den Opfern ihr Name gegeben werden“. Als weiteren Grund nennt Martha Keil, Direktorin des Injoest, die Angehörigen der Opfer: „Sie haben keinen Grabstein für ihre Lieben. Es ist daher extrem wichtig, dass es einen Ort gibt, wo der Name und die Daten verewigt sind, wie es eben auf einem Grabstein wäre.“
Gedenktafel erinnert an Architekten der Synagoge
Anlässlich der diesjährigen Steinsetzung wurde auch eine Gedenktafel an der ehemaligen Synagoge angebracht. Sie erinnert an den 1943 in Theresienstadt ermordeten Architekten der Synagoge: Theodor Schreier (1873–1943) und dessen Ehefrau Anna Schreier.
Die Synagoge von St. Pölten, erbaut 1912 bis 1913, plante Schreier gemeinsam mit Viktor Postelberg. „Das Besondere an diesem Bau ist wohl auch die unglaubliche Überraschung, wenn man zum ersten Mal das Innere der Synagoge sieht", sagte Thomas Pulle, Leiter des Stadtmuseums St. Pölten. Martha Keil: „Dieses Haus war einmal Zentrum einer jüdischen Gemeinde, mit all seinen bunten Festen. Jetzt ist es eine verwaiste Hülle, und das macht diese Synagoge besonders: Sie ist eine der ganz wenigen in Österreich, die den Zweiten Weltkrieg überdauert hat.“
Die Erinnerungen sind nicht weniger lebendig
Nach der Gedenktafelenthüllung gab es in der ehemaligen Synagoge ein Konzert, bei dem Schreiers Enkelin, die Pianistin Irene Schreier-Scott, mit ihrer Tochter Monica am Cello und ihrer Enkelin Magali an der Geige Werke von Ernest Bloch, Leos Janacek, Johannes Brahms, Erwin Schulhoff und Antonin Dvorak spielten.
Irene Schreier, geboren 1929, konnte im Jahr 1939 gemeinsam mit ihrer Mutter in die USA auswandern. Otto Schreier, ihr Vater und Sohn von Theodor Schreier, war bereits 1929 verstorben. Theodor Schreiers Enkeltochter wurde Pianistin und heiratete 1959 den amerikanischen Mathematiker Dana Scott.
„So viele Jahre sind vergangen, aber die Erinnerungen sind nicht weniger lebendig. Und es bedeutet wirklich viel für mich, dass jemand, der in meinem Leben so wichtig war, auf diese Art geehrt wird", sagte Irene Schreier-Scott.