Der neue Staatsvertrags-Balkon am Leopold Figl-Museum
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Chronik

Staatsvertrags-Balkon erinnert an Figl

Die kleine Ortschaft Rust im Tullnerfeld (Bezirk Tulln) feiert heuer ihr 800-Jahr-Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung. Bekannt ist der Ort vor allem als Geburtsort Leopold Figls. Dort erinnert seit diesem Wochenende auch ein neuer Staatsvertrags-Balkon an den berühmtesten Sohn des Ortes.

Ein Selfie mit Leopold Figl und dem Staatsvertrag. Das ist seit kurzem in Rust im Tullnerfeld möglich. Der Staatsvertrags-Balkon zeigt an der Südseite des Leopold Figl-Museums jenen Balkon des Wiener Belvedere, auf dem Leopold Figl am 15. Mai 1955 den unterzeichneten Staatsvertrag der jubelnden Menge präsentierte. Wohlgemerkt: Präsentierte. Denn die berühmten Worte „Österreich ist frei“ fielen nicht am Balkon, sondern bereits im Belvedere, unmittelbar nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags.

Leopold Figls Rede anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrags:

In Rust weiß das wohl jeder, schließlich ist man in der kleinen Ortschaft, die weniger als 500 Einwohner zählt, stolz auf den berühmtesten Sohn des Ortes. Hier gibt es an vielen Ecken Erinnerungen an Figl. Neben dem Staatsvertrags-Balkon wurde am Samstag auch ein neuer Gedenkstein enthüllt. Rudolf Otzlberger, ein Steinmetz aus Rust, gravierte die berühmte Seite des Staatsvertrages mit den Unterschriften der Außenminister in Stein.

Gedenkstein, der die wichtigste Seite des Staatsvertrages zeigt
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Der Gedenkstein zeigt die berühmte Seite des Staatsvertrages

Und selbst wenn man die Pfarrkirche des Ortes betritt, kommt man mit Leopold Figl mehr oder weniger in Berührung, denn nachdem diese im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war, setzte sich der damalige Bundeskanzler Figl dafür ein, dass die Kirche wiederaufgebaut wurde. Daran erinnerte Publizist Hubert Wachter beim Erinnerungsabend an Leopold Figl, der passenderweise auch in der Pfarrkirche stattfand.

Leopold Figl der Patriot und Rhetoriker

Figl sei „der österreichische Patriot schlechthin“, erinnerte Historiker Ernst Bruckmüller, „in guten wie in schlechten Zeiten“. So habe Figl etwa im Konzentrationslager „fürchterlich dafür gebüßt“, dass er es gewagt habe, das Wort „Österreich“ auszusprechen. „Genau diese Haltung, dieser grundsätzliche Patriotismus, hat ihn befähigt, in der Frühphase der Republik eine so bedeutende Rolle zu spielen“, so Bruckmüller.

Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll, der Figl immer wieder als sein politisches Vorbild bezeichnet hatte, erinnerte sich vor allem an den Rhetoriker Leopold Figl, der ihn schon als Schüler begeistert hatte. Ein „Rhetoriker aus Schrot und Korn“, sagte Pröll, „und ein Rhetoriker aus Schrot und Korn kann man nur dann sein, wenn man von dem, was man sagt, auch zutiefst überzeugt ist“.

Als Sohn einer Bauernfamilie und Agraringenieur stand Leopold Figl ab 1933 auch dem Bauernbund als Direktor vor. Bauernbund-Präsident Georg Strasser, der selbst erst 1971 zur Welt kam und deshalb keine persönliche Erfahrung mit Figl machen konnte, erinnerte am Samstag auch an den „leutseligen“ und „humorvollen Menschen“ Leopold Figl und die vielen Anekdoten, die zeigen, „dass er das letzte Quäntchen Diplomatie auch mit einem Achterl Wein gelöst hat“.

Leopold Figl schilderte in einem Interview im Jahr 1959 seinen Karriereweg in den 20er- und 30er-Jahren – vom Bauernbuben zum Bauernbund-Direktor:

Diskussionsrunde beim Erinnerungsabend an Leopold Figl mit Historiker Ernst Bruckmüller, Bauernbund-Präsident Georg Strasser, Publizist Hubert Wachter, Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll, Tochter Anneliese Figl und Nichte Berta Schüller
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Historiker Ernst Bruckmüller, Bauernbund-Präsident Georg Strasser, Publizist Hubert Wachter, Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll, Tochter Anneliese Figl und Nichte Berta Schüller erinnerten an den großen Politiker Leopold Figl

Leopold Figl der Familienmensch

Manches Achterl dürfte auch in den eigenen vier Wänden, in Wien, getrunken worden sein. Leopold Figls Tochter, Anneliese Figl, erinnert sich jedenfalls daran, dass in den Nachkriegsjahren immer viel zuhause los war, viele Konferenzen und Besprechungen seien zuhause passiert. „Es gab keine Wirtshäuser, keine Hotels, wo man sich treffen konnte. Man hat sich zuhause getroffen“, so die Tochter Leopold Figls, die ihre und die Rolle ihres Bruders so in Erinnerung hat: „Wir sind gegangen, um etwas zu trinken und zu essen zu bringen und wegzutragen und dann sollten wir wieder verschwinden.“ Die hohe Politik sei schließlich nichts für Kinder. Und generell habe Figl zuhause mit der Familie kaum über sein politisches Leben gesprochen.

Am 15. Mai 1956, ein Jahr nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages, schilderte Figl in einem Interview das zähe Ringen um diesen:

Auch wenn Figl damals in Wien lebte, mit Rust blieb er stets verbunden. Auch als Bundeskanzler und in späteren Jahren kehrte der Bauernsohn immer wieder zurück in seinen Geburtsort. Es sei Figl immer ein großes Bedürfnis gewesen, seine Mutter zu besuchen, erinnert sich seine Nichte, Berta Schüller. Beim ersten Besuch als Bundeskanzler, im Dezember 1945, sei Figl mit Fackelzug und Musik am Ortsrand empfangen worden. Ein „kalter Wintertag“, an dem sie und ihr Bruder Figl ein Gedicht aufsagen durften, erinnert sich Schüller.