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Gesundheit

Medikamente: Starker Anstieg bei Engpässen

Immer öfter sind Medikamente in Österreich nicht erhältlich. Laut Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) wurden im Vorjahr 332 Lieferengpässe gemeldet, das sind doppelt so viele wie 2017. Niederösterreichs Patientenanwalt Gerald Bachinger sieht – wie andere Experten auch – Handlungsbedarf.

Ein Medikament, das nach einer Organtransplantation die Immunabwehr unterdrückt, oder ein Mittel gegen Venenentzündungen – das sind zwei Beispiele für Arzneimittel, bei denen es in Österreich zuletzt zu Lieferengpässen kam. Solche Fälle werden zunehmend zum Thema, sagte Patientenanwalt Bachinger: „Es ist zwar nicht so, dass Patienten besondere Befürchtungen haben müssen, aber wir müssen in Österreich Maßnahmen ergreifen, damit diese temporären und punktuellen Lieferengpässe nicht zu großflächigen Problemen werden.“

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Bei vielen Medikamenten könne im Falle eines Engpasses auf ein ähnliches Präparat zurückgegriffen werden, sagte Peter Gonda, Präsident der Apothekerkammer NÖ

Dass die Engpässe bei Medikamenten stark zugenommen haben, bestätigte auch Peter Gonda, der Präsident der Apothekerkammer Niederösterreich. Dennoch würden sich die meisten Engpässe bei Arzneimitteln in Zusammenarbeit mit dem verschreibenden Arzt gut lösen lassen. „Ich würde sagen, 90 Prozent der Lieferengpässe sind dadurch zu beheben, dass das Präparat zwar von einer Firma nicht zu bekommen ist, aber sehr wohl von einer anderen Firma – absolut identisch in Wirkstoff und Stärke“, so Gonda.

Enormer Preisdruck auf dem globalen Arzneimittelmarkt

Der Anstieg der Lieferengpässe hat mehrere Gründe. Ein Grund ist in der Globalisierung zu finden. „Der Preisdruck ist enorm“, so Christa Wirthumer-Hoche, die Leiterin der AGES-Medizinmarktaufsicht. Weltweit würden daher bestimmte Wirkstoffe nur noch an wenigen Standorten hergestellt. Meistens befinden sich diese in Ostasien.

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Die Zahlen der AGES zeigen, dass die Zahl der gemeldeten Lieferengpässe in den vergangen Jahren gestiegen ist

„80 Prozent der Wirkstoffe, die wir in unseren Arzneimitteln – vor allem in generischen Arzneimitteln – haben, kommen aus China und Indien. Da kann es zu Herstellungsproblemen kommen, die dann Auswirkungen auf die Lieferbarkeit haben“, so Wirthumer-Hoche gegenüber noe.ORF.at. Seit Längerem führt die AGES eine Liste mit Medikamenten, die in Österreich temporär nicht lieferbar sind. Wurden 2013 noch 47 Vertriebseinschränkungen gemeldet, so stieg die Zahl über die Jahre kontinuierlich an. Mit 332 Engpässen wurde im Vorjahr neuerlich ein starker Anstieg verzeichnet.

Forderung nach besserem Informationsaustausch

Dennoch gibt es auch hausgemachte Probleme, die man in Österreich lösen könnte. In erster Linie betrifft das laut den Experten die Informationsweitergabe. Bis heute sind Pharmafirmen in Österreich nicht verpflichtet, einen drohenden Engpass zu melden. „Daher wollen wir eine Verpflichtung, dass Firmen einmelden müssen, wenn sie ein Produkt nicht liefern können oder wenn sie es nicht in ausreichender Menge liefern können“, sagte Wirthumer-Hoche.

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Experten fordern, dass der Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten verbessert werden muss

Ein weiteres Problem, das an die Informationsweitergabe anknüpft, ist, dass Ärzte in Österreich nicht einen Wirkstoff, sondern ein bestimmtes Medikament verordnen. Hier sei Österreich Schlusslicht, sagte Robert Sauermann, stellvertretender Leiter der Medikamentenabteilung im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. „Wenn in Österreich ein Rezept ausgestellt wird, muss der Arzt auf dieses Rezept bislang immer den Produkt- und damit den Markennamen schreiben“, sagte Sauermann. „International ist es in vielen europäischen Ländern längst üblich, dass der Wirkstoff auf das Rezept geschrieben wird, gemeinsam mit einer vorgeschriebenen Dosierung.“ Dadurch werde verhindert, dass Medikamente verordnet werden, die nicht lieferbar sind.

„Auf den Wirkstoff kommt es an“

Wie auch der Hauptverband fordert Patientenanwalt Bachinger daher eine Wirkstoffverordnung. „Wirkstoffverordnung bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, ob die Tablette grün, gelb, rot oder blau und ob sie eckig oder rund ist, sondern auf den Wirkstoff kommt es an“, so Bachinger. Zwar müsse bei den Patienten noch einiges an Aufklärungsarbeit geleistet werden, Apotheker könnten dann aber bei Engpässen kurzfristig und problemlos auf wirkstoffgleiche Medikamente umsteigen.

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Einige Experten halten eine Wirkstoffverordnung für sinnvoll. Die Ärztekammer ist dagegen.

Niederösterreichs Ärztekammer-Präsident Christoph Reisner sieht in einer Wirkstoffverordnung letztendlich eine politische Entscheidung. Allerdings würden manche Patienten unterschiedlich auf Medikamente reagieren, auch wenn der Wirkstoff derselbe sei. „Dazu kommt, dass die Fehlerhäufigkeit bei der Einnahme steigt und Patienten verunsichert sind, wenn sie trotz gleicher Therapie ständig unterschiedliche Medikamente erhalten. Es hat also medizinische Gründe, warum sich Ärzte gegen eine generelle Wirkstoffverschreibung aussprechen“, sagte Reisner.

Dass eine Meldepflicht bei drohenden Lieferengpässen und eine Wirkstoffverordnung wesentliche Verbesserungen bringen könnten, darin sind sich die meisten Experten jedoch einig. Außerdem könnten im Falle von Lieferengpässen künftig auch temporäre Exportverbote verhängt werden. Ein solches Verbot würde es Zwischenhändlern und Apotheken verbieten, ein Medikament, das nur noch in geringen Mengen verfügbar ist, ins benachbarte EU-Ausland zu verkaufen. Bereits kommende Woche ist all das Thema bei einem runden Tisch. Da sitzen wieder alle Beteiligten beisammen, um das Problem der steigenden Zahl der Lieferengpässe in den Griff zu bekommen.