Chronik

„Freikirchen haben immer mehr Zulauf“

Der Tod einer 13-Jährigen im Waldviertel sorgt weiter für Diskussionen. Die Eltern sollen eine medizinische Behandlung aus religiösen Gründen verweigert haben. Freikirchen, wie jene, der die Eltern angehören, haben immer mehr Zulauf, warnt die Bundesstelle für Sektenfragen.

Die Eltern lebten in einem kleinen Dorf im Waldviertel mit ihren sieben Kindern nach der Lehre einer Evangelikalen Freikirche. Diese ist nicht zu verwechseln mit der Evangelischen Kirche. Diese Freikirche orientiert sich an der „Church of God“ – also Gotteskirche – die in den USA gegründet wurde und auch in Europa viele Verzweigungen hat.

Der Tod des Mädchens, so heißt es in der Bundesstelle für Sektenfragen, sei von den Eltern bewusst in Kauf genommen worden. Angehörige sollen nicht davor zurückschrecken, im Zweifelsfall die Behörden einzuschalten und prüfen zu lassen, sagt Ulrike Schiesser, Psychologin bei der Bundesstelle für Sektenfragen gegenüber noe.ORF.at.

Ulrike Schiesser, Psychologin bei der Bundesstelle für Sektenfragen
ORF
Freikirchen haben immer mehr Zulauf, warnt Ulrike Schiesser, Bundesstelle für Sektenfragen, im Gespräch mit Robert Salzer

noe.ORF.at: Die Anhänger dieser religiösen Gruppierung akzeptieren ja, dass man stirbt, weil man bestimmte medizinische Dinge nicht machen lässt. Wie lässt sich diese Einstellung erklären?

Ulrike Schiesser: Die sind überzeugt, dass Gott einen ganz bestimmten Einfluss auf unser Leben hat. Er bestimmt, ob jemand krank und jemand wieder gesund wird. Da ist eine fatalistische Grundhaltung da. Wenn es Gott so will, dass ich sterbe, dann sterbe ich. Es ist sein Plan und den kann ich nicht durchschauen.

noe.ORF.at: Es ist nicht bekannt, wie viele Anhänger diese Freikirche in Niederösterreich hat. Kann man sagen, dass diese Suche nach Alternativen zur Gesellschaft ein Trend ist?

Schiesser: Das beschränkt sich nicht auf religiöse Gruppen. Die Suche nach der Gemeinschaft, das Gefühl, dass wir eine Elite sind, dass wir besonders sind, dass wir die einzige Wahrheit haben – das ist durchaus verbreitet. Es ist nur unterschiedlich extrem. In diesem Fall ist es wirklich sehr, sehr extrem, dass es bis zum Tod geht. Aber wir haben ähnliche Fälle auch im Bereich der Esoterik. Da brechen Menschen Behandlungen ab, weil sie sagen: „Ich glaube meinem Heiler mehr als meinem Arzt.“ Da gibt es auch medizinfeindliche Grundhaltungen. Das nimmt zu.

noe.ORF.at: Welche Auswirkungen hat der Heimunterricht, der ja durchaus als Abkapselung gesehen werden kann?

Schiesser: Das muss ein Warnsignal sein. Kinder, die im Hausunterricht sind, da muss man besonders darauf achten, dass die sozial irgendwo integriert sind. Da wäre für mich ganz wichtig, ob die in Vereinen im Ort sind, ob sie einen großen Freundeskreis haben, ob sie mit anderen Menschen in Kontakt kommen, die nicht aus dem unmittelbaren Umfeld der Eltern kommen. Das wäre ein wichtiges Zeichen. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist das immer riskant, immer gefährlich.