Wie in Wien wachsen auch München und das Umland rasant – und die Herausforderungen für den Verkehr wachsen mit. Staus an den Stadteinfahrten gehören auch dort zum Alltag, die U-Bahn- und Schnellbahnstrecken sind an der Auslastungsgrenze angekommen. Schon in den 90er-Jahren wurde deshalb erstmals über eine zweite Stammstrecke der S-Bahn diskutiert, berichtete Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart (CDU) bei einem Arbeitsgespräch mit Niederösterreichs Verkehrlandesrat Ludwig Schleritzko.
Minister Reichhart: „Ausbau war unumgänglich“
Die Schiene auszubauen sei laut Reichhart unumgänglich: „Wenn wir es wirklich ernst meinen damit, dass wir Verkehr verlagern wollen, dass wir ein attraktives Angebot machen wollen, dann müssen wir auch auf der Schiene etwas tun und das geht nur, wenn ich Infrastruktur schaffe.“
Erst kürzlich wurde deshalb mitten im Zentrum Münchens zu bauen begonnen. In 40 Metern Tiefe werden in den nächsten Jahren drei Tunnelröhren sieben Kilometer quer durch München gebohrt. 3,8 Milliarden Euro soll das Mammutprojekt kosten. Minister Reichhart spricht davon, dass hier jeder Cent gut angelegt sei, denn damit sei die Möglichkeit gegeben, mehr Züge fahren zu lassen, so Reichhart.
Das Projekt könnte ein Vorbild für Niederösterreich und Wien sein. Die Ausgangslage, was die Verkehrssituation betrifft, sei ähnlich der von Wien und seinem Speckgürtel, betont Wolfgang Schroll, Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Ostregion. Er bezeichnet das System Münchens mit seinen Regionalzügen, S-Bahnen und U-Bahnen als sehr gelungenes Konzept im Sinne der Pendler.
ÖBB: „Gegenwärtig zu relativieren“
Das sieht man bei den ÖBB ganz anders. In einer Aussendung heißt es dazu, dass im direkten Vergleich Münchens mit Wien der geforderte Ausbaubedarf der Wiener S-Bahn in Form einer neuen Stammstrecke „gegenwärtig zu relativieren“ sei. Im Gegensatz zu München habe Wien mit der U- und S-Bahn ein integriertes Verkehrs-System. Außerdem fahre die S-Bahn in München direkt durchs Zentrum, in Wien hingegen um die Innenstadt herum.
Zwar verschließe man sich solchen langfristigen Visionen nicht, heißt es bei den ÖBB weiter, man sehe aber auch die großen Hürden bei der Umsetzung in den nächsten Jahren. Dafür brauche man die volle politische Unterstützung vom Bund und aus den Ländern, so die ÖBB in der Aussendung.
Schleritzko: „Müssen das stemmen“
Niederösterreich will mit den in München gesammelten Eindrücken weiter argumentieren. Landesrat Ludwig Schleritzko wendet sich direkt an die künftige Bundesregierung: „Wir müssen das gemeinsam stemmen. Das ist ja nicht nur ein Projekt, das Wien und Niederösterreich betrifft, das ist ein Projekt, das die Hälfte aller Österreicherinnen und Österreicher betrifft, weil so viele Menschen in diesem Großraum leben.“ Insofern werde man auch beim Bund vorstellig werden und „versuchen, dieses Projekt zu argumentieren, damit wir gemeinsam mit Bundesunterstützung in die Umsetzung kommen“, so Schleritzko.
In München soll die neue Stammstrecke jedenfalls im Jahr 2028 eröffnet werden. Erstmals darüber diskutiert worden war bereits in den 90er-Jahren, der Beschluss wurde im Jahr 2010 gefasst. Angesichts dieser zeitlichen Dimensionen – und es besteht kein Grund, anzunehmen, dass ein solches Projekt in Wien schneller gehen würde – hat der Verkehr in der Ostregion wohl noch ausgiebig Zeit, zu wachsen.