Das Lager Gmünd im Modell
FlorianSimon
FlorianSimon
Wissenschaft

Auf der Suche nach „unsichtbaren Lagern“

In Niederösterreich gibt es viele „unsichtbare Lager“: Orte zur Unterbringung von Menschen, meist aus der Zeit des Ersten oder Zweiten Weltkrieges bzw. der Nachkriegszeit, deren Spuren verwischt und deren Überreste kaum noch vorhanden sind. Eine zweitägige Tagung in St. Pölten geht auf Spurensuche.

Die frei zugängliche Veranstaltung „Unsichtbare Lager in Niederösterreich“ beschäftigt sich am Mittwoch (Niederösterreichische Landesbibliothek) und Donnerstag (Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich) in St. Pölten mit der Frage, wie diese Orte beforscht, dokumentiert und zugänglich gemacht werden können. Veranstalter der Tagung sind das Forschungsnetzwerk Interdisziplinäre Regionalstudien (first), der Bereich Digital Memory Studies an der Donau-Universität Krems, das Zeithistorische Zentrum Melk, das Haus der Geschichte und die Landesbibliothek.

In Österreich wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts vielerorts aus ganz unterschiedlichen Gründen temporäre Lager errichtet. Nachdem sich diese wieder geleert hatten, blieb die Lagerinfrastruktur manchmal noch jahrelang bestehen, oder wurde wieder entfernt bzw. anderen Funktionen zugeführt. Oftmals gerieten die ehemaligen Lagerorte in Vergessenheit, manchmal verweisen nur noch Straßenbezeichnungen wie „Lagergasse“ oder der Flurname „Lagerfeld“ auf die ursprüngliche Widmung dieser Orte.

Straßenschild, auf dem Lagergasse steht
Judith Kreiner
Oft blieb die Lagerinfrastruktur jahrelang bestehen, oftmals gerieten die ehemaligen Lagerorte in Vergessenheit

1914 bis 1918: 200.000 Flüchtlinge im Lager Gmünd

Auch auf niederösterreichischem Gebiet befinden sich solche „unsichtbaren“, transformierten Orte. Im Waldviertel wurden bereits im Ersten Weltkrieg mehrere Lager für Kriegsgefangene, zivile Kriegsflüchtlinge und Internierungslager für „feindliche Ausländer“ errichtet.

So waren etwa im Lager Gmünd zwischen 1914 und 1918 etwa 200.000 Flüchtlinge – vorwiegend aus Galizien, der Bukowina und Istrien – untergebracht, ein Zehntel überlebte die Bedingungen nicht. In der Zwischenkriegszeit errichtete der autoritäre Ständestaat in Wöllersdorf (Bezirk Wr. Neustadt) ein „Anhaltelager“ für Regimegegner, insbesondere Nationalsozialisten und Sozialdemokraten.

Flüchtlingslager Gmünd 1915
Niederösterreichisches Landesarchiv
Das Flüchtlingslager Gmünd, 1915

„Während des Zweiten Weltkrieges sind Lager in Niederösterreich (damals ‚Niederdonau‘) ‚Schreckensorte‘, die der Ausbeutung durch Zwangsarbeit und der Internierung von Kriegsgefangenen dienten“, heißt es in einer Aussendung der Veranstalter. In Niederösterreich befanden sich mehrere Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen, so etwa in Melk, St. Aegyd am Neuwalde (Bezirk Lilienfeld), St. Valentin (Bezirk Amstetten) oder Wiener Neustadt. In Melk etwa wurden innerhalb eines Jahres etwa 14.400 KZ-Häftlinge zur Zwangsarbeit für die Steyr-Daimler-Puch AG herangezogen. Im Stalag XVII B Krems-Gneixendorf waren zeitweise mehr als 60.000 Kriegsgefangene festgehalten.

1938 bis 1945: Lager waren Todeslager

In anderen Lagern wurden als jüdisch kategorisierte Verschleppte, Roma und Sinti oder politische Gefangene zur Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben, in der Landwirtschaft oder zum Bau der Reichsautobahn eingesetzt. Viele Menschen überlebten die Strapazen der Zwangsarbeit nicht. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges kam es zu zahlreichen Massakern, vor allem an ungarischen Jüdinnen und Juden, etwa in Hofamt Priel (Bezirk Melk), Göstling (Bezirk Scheibbs), Gresten (Bezirk Scheibbs) und Randegg (Bezirk Scheibbs), sowie gegen KZ-Häftlinge im Zuge von Evakuierungsmärschen aus den KZ-Außenlagern in Richtung Mauthausen.

Soldatenfriedhof Sigmundsherberg
FlorianSimon
In Sigmundsherberg befand sich das größte Kriegsgefangenenlager der österreichisch-ungarischen Monarchie, ab dem Sommer 1916 waren hier fast nur italienische Gefangene aus den Isonzoschlachten untergebracht

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Lager reaktiviert, etwa zur vorübergehenden Unterbringung von deutschsprachigen Flüchtlingen und Vertriebenen sowie von Flüchtlingen aus Ungarn ab 1956. Während des Kalten Krieges reisten sowjetische Jüdinnen und Juden dann über das Transitlager Schönau nach Israel weiter.

Heute gibt es kaum Spuren und nur wenig Wissen

Von allen ehemaligen Lagerorten in Niederösterreich gibt es heute nur noch wenige oder gar keine materiellen Spuren mehr zu sehen. Die Holzbaracken wurden meist abgetragen oder auf andere Art genutzt. Lager aus dem Ersten Weltkrieg wurden beispielsweise in Sommerfrischesiedlungen umgewandelt (wie das Kriegsgefangenenlager in Purgstall, Bezirk Scheibbs) oder im Falle des Internierungslagers Steinklamm zeitweilig als Kinderheim genutzt. In Bruck an der Leitha sind ehemalige Baracken auch heute noch bewohnt, es fehlt jedoch das Wissen um die Geschichte. In St. Aegyd befindet sich heute am Standort des KZ-Außenlagers eine Siedlung mit Einfamilienhäusern.

Im Bereich des ehemaligen Stalags XVII B Krems-Gneixendorf sind einige Fundamentreste sichtbar, teils finden sich vergrabene Gebrauchsgegenstände. Außer einer künstlerischen Intervention in Form von Erinnerungstafeln deutet im Wäldchen und auf den Äckern nichts auf die historische Dimension hin. Auch in Krems selbst ist kaum etwas über das Kriegsgefangenenlager bekannt. Internationale Familienangehörige der Internierten, die sich immer wieder auf Spurensuche begeben, haben Mühe, den Ort zu finden.

Ehemaliges Flüchtlingslager Gmünd
FlorianSimon
Der Philosoph Zygmunt Bauman bezeichnete das 20. Jahrhundert als „Jahrhundert der Lager“, viele der ehemaligen Lagerbauten sind heute noch – oft adaptiert – in Verwendung

An anderen ehemaligen Lagerorten sind ebenfalls manchmal Gedenktafeln zu finden, lokale Initiativen kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Erinnerung. Neuerdings kann in Gmünd die Geschichte des Lagers in einem kleinen Museum erkundet werden.

Erinnerungsorte in der Vermittlungs- und Bildungsarbeit

„Gerade weil es bald keine Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Zeit mehr geben wird, sind Erinnerungsorte ein wichtiger Bestandteil von Erinnerungskultur für die Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Denn dem ‚authentischen‘ Ort wird Zeugenschaft und somit Wahrhaftigkeit zugeschrieben. Offen ist die Frage der Erinnerungsmöglichkeit an Lagerorten ohne materielle Spuren oder erkennbarer historischer Dimension sowie erfolgter Transformation“, sagt Edith Blaschitz von der Donau-Universität Krems, eine der Organisatorinnen des Symposiums.

Die international besetzte wissenschaftliche Tagung „Unsichtbare Lager in Niederösterreich“ soll einen Überblick über heute nicht oder kaum mehr erhaltene Lager des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkt auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. der Nachkriegszeit in Niederösterreich verschaffen. Außerdem will man klären, wie diese Orte entlang der Dimension des „Nicht-mehr-Sichtbaren“ beforscht, dokumentiert und zugänglich gemacht werden können.