das erste Auto passiert den Grenzübergang
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Politik

1989: Freie Einreise für CSSR-Bürger

„Österreich wird die Visumspflicht für CSSR-Bürger ab sofort bis 17. Dezember einseitig aufheben.“ Diese Eilt-Meldung der Austria Presse Agentur (APA) am 1. Dezember 1989 sollte einen weiteren wichtigen Schritt zur Demokratisierung der Tschechoslowakei (CSSR) auslösen.

Es war Freitag, der 1. Dezember 1989, als um 14.18 Uhr die APA diese Meldung über die Fernschreiber verschickte. Das österreichische Innenministerium habe die Aufhebung der Visumspflicht mitgeteilt, so die Agentur. „Ob die Visumspflicht für österreichische Staatsbürger, die in die CSSR reisen wollen, demnächst ebenfalls ausgesetzt wird, war Freitagmittag noch offen. Außenminister Alois Mock trifft Freitag nachmittag mit dem Sonderemissär der CSSR-Regierung und dem früheren Botschafter in Wien, Marek Venuta, im Außenministerium in Wien zusammen. Es ist zu erwarten, daß dabei auch die Visumsfrage erörtert wird“, hieß es in der Meldung.

Zudem berichtete die APA, dass aus dem Prager Innenministerium am Freitag inoffiziell verlautete, „daß der Abbau der Grenzsperren des ‚Eisernen Vorhangs‘ an der Grenze zu Österreich am Montag beginnen solle.“ Am Abend des 1. Dezember 1989 wurde mitgeteilt, dass die Verordnung des Innenministeriums zur Aufhebung der Visapflicht für CSSR-Bürger ab Montag, 4. Dezember 00:00 Uhr in Kraft treten werde.

Zusätzliche Grenzübergänge angekündigt

Knapp eine halbe Stunde nach der ersten Aussendung meldete die APA, dass das Finanzministerium wegen der Öffnung der Grenzen zur CSSR neue Grenzübergänge eröffnen werde, um bereits durch den Polenreiseverkehr stark belastete Übertrittsstellen zu entlasten und auf bisher geschlossenen Grenzstrecken neue Übergänge zu schaffen. Folgende Grenzübergänge würden dabei in Betracht gezogen: Zwischen Grametten und Kleinhaugsdorf im Raum Fratres (Bezirk Gmünd), im Raum Bernhardstal (Bezirk Mistelbach) zur Schaffung eines Anschlusses an die Autobahn in der CSSR und zur Entlastung von Berg (Bezirk Bruck an der Leitha), an der March eventuell bei Angern (Bezirk Gänserndorf) sowie im Raum Kittsee (Burgenland).

30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs

Vor exakt 30 Jahre öffneten sich die Grenzen zu unseren Nachbarn in der damaligen Tschechoslowakei. Mit den Ereignissen in der Nacht von 3. auf 4. Dezember 1989 war auch der Eiserne Vorhang Geschichte.

Als Sofortmaßnahme würden auch Bürocontainer als Provisorien aufgestellt werden, wie etwa für eine neue Übertrittsstelle für den Personenverkehr im Raum Kittsee. Außerdem sollen Ausbaumaßnahmen bei den Zollämtern Kleinhaugsdorf (Bezirk Hollabrunn), Drasenhofen (Bezirk Mistelbach) und Berg rasch in Angriff genommen werden.

Große Zustimmung zur Reisefreiheit im Nachbarland

Von Landespolitikern kam an diesem Tag eine breite Zustimmung. Der niederösterreichische Landeshauptmann Siegfried Ludwig (ÖVP) begrüßte den Fall des „Eisernen Vorhangs“: „Darauf haben die Menschen im niederösterreichischen Grenzland vier Jahrzehnte lang gewartet.“ Die Ereignisse in der CSSR bezeichnete der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) als „einen Traum, von dem keiner in meiner Generation zu träumen gewagt hätte“.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Sipötz (SPÖ) sagte, dass das Burgenland die Entscheidung der CSSR-Regierung, die technischen Grenzsperren zu beseitigen, begrüße. Von einer Normalisierung des Grenzverkehrs erwartete sich Josef Ratzenböck (ÖVP), Landeshauptmann von Oberösterreich, eine Belebung der Wirtschaft und des Fremdenverkehrs.

4. Dezember, der lang ersehnte Tag

Am 4. Dezember 1989 trat um 00.00 Uhr die offizielle Öffnung der CSSR-Grenzen in Kraft. CSSR-Bürger benötigten zur Ausreise aus ihrer Heimat nur noch einen Reisepass, bei der Einreise nach Österreich wurde kein Visum verlangt. Die Grenzregionen in Nieder- und Oberösterreich und insbesondere die Bundeshauptstadt Wien bereiteten sich auf einen gewaltigen „Sturm der Tschechoslowaken“ vor, meldete die APA.

Zwölf Stunden später schrieben die Agenturjournalisten „Statt ‚Sturm‘ nur ein Lüfterl“. An den Grenzübergängen herrschte bis Mittag eher Flaute. Bis Wien waren nur relativ wenige Bürger aus dem nordöstlichen Nachbarland vorgedrungen – vielleicht lag es auch daran, daß viele noch auf ihre Pässe warteten oder von den Banken nicht rechtzeitig Devisen erhielten.

Der verschlossene Grenzbalken
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Kurz vor dem historischen Moment am 4. Dezember am Grenzübergang Berg

Bis Mittag wurden als ‚Spitzenwert‘ am Übergang Berg/Preßburg etwa 800 Pkw mit 1.500 bis maximal 2.000 Personen registriert. Bis in die Vormittagsstunden waren lediglich fünf Autobusse unterwegs, darunter auch der Linienbus Preßburg-Wien. In Drasenhofen zählte der österreichische Zoll etwa 400 Einreisende aus der CSSR, in Kleinhaugsdorf waren es 150. Noch weniger war an den restlichen niederösterreichischen Grenzübergängen los: In Laa/Thaya reisten 80 Personen ein, in Grametten und Gmünd, wo sich die Balken erst um 8.00 Uhr hoben, je ca 40. Beim oberösterreichischen Übergang Wullowitz wurden etwa 150 Einreisende aus der CSSR verzeichnet", so die APA am 4. Dezember 1989.

„Es ist ein gutes Gefühl, ganz ohne Visum und Formalitäten nach Österreich fahren zu können“, werden Einreisende zitiert. Die meisten Bürgerinnen und Bürger aus dem Nachbarland, deren Autos teilweise mit kleinen CSSR-Fähnchen an den Antennen geschmückt waren, erklärten, ihren Aufenthalt zum „Sightseeing“ bzw. zu Verwandtenbesuchen nützen zu wollen, nur wenige seien ausdrücklich zu einer Einkaufstour aufgebrochen.

Am 11. Dezember wurde mit dem Abbau begonnen

Eine Woche später, am 11. Dezember 1989, begannen tschechoslowakische Soldaten an mehreren Stellen der gemeinsamen Grenze zwischen der CSSR und Österreich mit dem Abbau des „Eisernen Vorhangs“. Die Stacheldrahtzäune bei Bratislava, Wullowitz (Oberösterreich) und laut der Presseagentur CTK auch bei Gmünd/Ceske Velenice, Novy Bystrice (Grametten), Slavonice (Zlabings) und Halamka wurden von Soldaten mit Drahtscheren durchschnitten. Der Grenzabbau war im November 1989 angekündigt worden. Die aus 1953 stammenden Grenzanlagen waren überflüssig geworden, weil Tschechoslowaken jetzt frei Richtung Westen reisen können.

Bis Ende des Jahres sollte der Abbau auf 60 Kilometer Grenze beendet sein, so die APA am 11. Dezember 1989. Der „Eiserne Vorhang“ war in diesem Gebiet teilweise bis zu zwei Meter hoch. Bereits am 8. Dezember waren technische Sperren entfernt worden, um einen neuen Grenzübergang in Jarovce bei Bratislava zu öffnen.

Soldaten bauen Grenzzaun ab
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Der „Eiserne Vorhang“ zwischen der CSSR und Österreich wurde noch im selben Jahr abgebaut

Anfang des Jahres 1989 entsprach Europa noch der alten Ordnung. Im „Kalten Krieg“ standen einander zwei Machtblöcke in West und Ost gegenüber. Anzeichen für eine Erosion waren zwar schon vorhanden, ein Abdanken des Kommunismus schien jedoch eine Utopie zu sein. Nur zwölf Monate später war alles anders: Die Systeme des real existierenden Sozialismus waren der Reihe nach implodiert, der „Eiserne Vorhang“ war hochgegangen, die Berliner Mauer gefallen, die Anfänge vom Ende des Ostblocks gemacht. Die Neuordnung Europas hatte begonnen.

1989 brachte unglaublichen Umbruch

Auch wenn man das gesamte 20. Jahrhundert betrachte, so sei „1989 in der Tat ein bemerkenswertes Jahr, weil es damals einen unglaublichen Umbruch gegeben hat. Ein Umbruch, der noch dazu – sieht man von Jugoslawien und Rumänien ab – gewaltlos vonstattengegangen ist“, so der Historiker Stefan Eminger vom Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten. Mit welcher Schnelligkeit der Umbruch über den alten Kontinent vor 30 Jahren hinwegfegte, lässt sich beispielhaft an einer Person festmachen. Im Jänner 1989 wurde der Dramatiker und Bürgerrechtler Vaclav Havel in der CSSR noch bei einer Demonstration festgenommen und für vier Monate inhaftiert, am 29. Dezember wählte ihn das Parlament zum Präsidenten.

Dazwischen lag die „Samtene Revolution“: Mit ihren Schlüsseln in der Hand hatten die damals noch in einem Staat vereinten Tschechoslowaken am Prager Wenzelsplatz im Herbst 1989 ihrer Unzufriedenheit über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zwänge im Land Luft gemacht und das Ende des KP-Regimes eingeläutet.