Eiserner Vorhang im Waldviertel in den 1980er Jahren
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Chronik

Jahrelanges Leben an der „toten Grenze“

Mehr als vier Jahrzehnte hat der „Eiserne Vorhang“ den europäischen Kontinent geteilt. Erst im Jahr 1989 ist er abgebaut worden. Mehr als 400 Kilometer war die Grenze zwischen Niederösterreich und der damaligen Tschechoslowakei lang, 40 Jahre hat es zwischen beiden Ländern eine „tote Grenze“ gegeben.

Jahrzehntelang waren die Menschen durch den „Eisernen Vorhang“ in ihren Heimatländern eingesperrt. Fluchtversuche waren fast unmöglich, für viele endete der Traum von der Freiheit mit dem Tod. Immer wieder versuchten Menschen, aus der Tschechoslowakei zu flüchten, was aber nur ganz wenigen gelang.

In den Jahren des „Eisernen Vorhangs“ gab es nicht nur zahlreiche Grenzzwischenfälle, sondern auch Tote, „auf der Flucht“ erschossen. „Flucht ist Staatsverrat“, hieß es in der CSSR. Und so musste auf beiden Seiten der Staatsgrenze akzeptiert werden, dass man vom Leben im anderen Land nicht viel wusste.

Ceske Velenice in den 1980er Jahren
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Gmünd und Ceske Velenice: Zwei Städte, nur durch den „Eisernen Vorhang“ getrennt

„Der Großteil der Bewohnerinnen und Bewohner im Wald- und Weinviertel hat sich bis 1989 mit der toten Grenze so abgefunden, dass sie schon ein Teil der Identität der Menschen in diesen Regionen geworden ist. Das Motto war: Dort ist mehr oder weniger die Welt aus, und was drüben ist, das interessiert uns gar nicht so sehr“, so Stefan Eminger, Historiker im Niederösterreichischen Landesarchiv.

„Ich habe geglaubt, jetzt komme ich nach Sibirien“

In den Jahren vor dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ kam es immer wieder vor, dass Österreicher unabsichtlich CSSR-Gebiet betraten. Wie etwa Peter Ruzicka: 1985, im Alter von 14 Jahren, wurde er nahe Gmünd von tschechoslowakischen Grenzsoldaten aufgehalten, Wachhunde fielen ihn an.

„Ich habe zehn oder 15 Bisswunden gehabt. Meine Jacke war komplett zerrissen und blutig. Die tschechoslowakischen Grenzsoldaten sind dann, mit Maschinenpistolen im Anschlag, auf mich zugekommen. Mir ist durch den Kopf geschossen: Ich komme jetzt nach Sibirien“, erzählte er im Gespräch mit noe.ORF.at.

Grenze bei Ceske Velenice 1989
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Dezember 1989: Das Interesse an Österreich, dem unbekannten Nachbarland, war auf seiten der CSSR-Bürger sehr groß

Der Jugendliche wurde nach Ceske Velenice gebracht und verhört: „Du bist natürlich entsprechend aufgelöst. Du bekommst etwas zu essen, musst warten, wirst dann wieder verhört. In meiner Erinnerung hat das Stunden gedauert! Irgendwann sagte ein Offizier, dass ich etwas unterschreiben müsse, dann käme ich wieder nach Österreich. Ich konnte ja kein Tschechisch und hatte keine Ahnung, was ich da unterschreibe!“ Die Geschichte von Peter Ruzicka ging gut aus, nach einigen Stunden Aufenthalt in der CSSR konnte er wieder nach Hause nach Gmünd.

Die Neugier auf beiden Seiten war groß

Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Tschechoslowakei glaubten im Dezember 1989 nicht, dass sie kein Visum mehr brauchen, um ins Ausland fahren zu können. „Am Anfang war die Neugier auf beiden Seiten sehr groß. In der CSSR hat man am ersten Wochenende den großen Run erwartet, da war aber nichts los, erst am zweiten Wochenende. Die Bürger der Tschechoslowakei waren zu Beginn sehr skeptisch, ob es wirklich die offene Grenze gibt. Die Menschen sind dann aber in Scharen gekommen und haben sich das Nachbarland angeschaut, das für sie so lange ein unbekanntes Land war“, so der Historiker Eminger.