Eiserner Vorhang an der Grenze zur Tschechoslowakei
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Chronik

Der Kampf der Spione im „Kalten Krieg“

Die Zeit des „Kalten Krieges“ bis zum Fall des „Eisernen Vorhanges“ 1989 war geprägt von Spionage zwischen Ost und West. Obwohl in Österreich die Bundeshauptstadt Wien das Zentrum der Aktivitäten war, gab es auch in Niederösterreich zahlreiche Spionagefälle.

Eines vorweg: Das Zentrum der Spionage war eindeutig Wien. Carol Reed setzte mit seinem Film „Der dritte Mann“ mit Orson Welles in der Hauptrolle der Spionage in der Bundeshauptstadt ein filmisches Denkmal. Schon nach Ende des Zweiten Weltkriegs schätzten die USA, dass für Geld, Alkohol und Zigaretten jeder zehnte Österreicher als Informant den Amerikanern zur Verfügung stehen würde.

In den 1960er Jahren soll die amerikanische CIA in Wien 500 Mitarbeiter unterhalten haben, der sowjetische Geheimdienst sogar 1.500. Im Bundesland Niederösterreich waren vor allem Zollwache- und Gendarmeriebeamte immer wieder im Fokus der Spione aus der Tschechoslowakei.

Österreichische Beamte als CSSR-Spione

Regelmäßig gab es an der gemeinsamen Staatsgrenze Versuche von tschechoslowakischen Beamten, ihre österreichischen Kollegen anzuwerben und damit an wichtige Informationen zu kommen, so Christian Rapp, Wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich in St. Pölten.

Toter Briefkasten in einem Baum
Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich
Ein „toter Briefkasten“ in einem Baum im südlichen Niederösterreich, 1960er Jahre

„Die tschechoslowakischen Beamten haben gefragt, wie es den Menschen jenseits der Grenze geht oder ob es vielleicht auch Leute gibt, die Verwandte in der CSSR haben. Man hat sich nach Personen mit Geldproblemen oder mit familiären Schwierigkeiten erkundigt. Wenn sie gemerkt haben, dass jemand ansprechbar ist, dann haben sie Kontakt aufgenommen“, so Rapp. Offiziell wurden übrigens nur wenig Fälle bekannt, etwa der eines Grenzbeamten aus Schrattenberg (Bezirk Mistelbach), der dann strafversetzt wurde.

Für den Informationsaustausch wurden Geheimverstecke verwendet wie etwa Aushöhlungen in Bäumen. In diesen „toten Briefkästen“ wurden Informationen mittels Zetteln oder Mikrofilmen gelagert. Oft waren diese Verstecke auch raffiniert angelegt, beispielsweise in hohlen Schrauben oder Erdnägeln. Diese Exponate sind in der Ausstellung „Spionage! 39 Fälle“ im Haus der Geschichte in St. Pölten zu sehen.

Der Fall Karl Erwin Lichtenecker

Österreichs Spionageaffären reichten bis in die hohe Beamtenschaft. Alois Euler war in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre Pressereferent des damaligen Innenministers Franz Soronics (ÖVP). Er versorgte den CSSR-Geheimdienst in Prag jahrelang mit Staatsgeheimnissen und vermutlich auch mit Protokollen aus Verhören von Flüchtlingen. 1968 wurde er von der Polizei verhaftet und 1969 zu drei Jahren Kerker verurteilt.

Der wohl aufsehenerregendste Fall war der des Karl Erwin Lichtenecker, Jahrgang 1929, der in den 1960er Jahren Mitarbeiter in der Pressestelle des Bundeskanzleramtes in Wien war. In dieser Zeit freundete er sich mit dem tschechoslowakischen Kulturattache Miroslav Janku an, der in Wirklichkeit ein Geheimdienstmann war. Janku ersuchte Lichtenecker um geheime Informationen aus dem Bundeskanzleramt.

Ausweis des wegen Spionage verurteilten Karl Lichtenecker
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Karl Erwin Lichtenecker (1929-2016)

„Lichtenecker hatte dem militärischen Auslandsgeheimdienst der CSSR Berichte über politische, wirtschaftliche und internationale Fragen der österreichischen Innen- bzw. Außenpolitik verschafft und soll dafür nicht unbeträchtliche Summen Belohnung bekommen haben“, so Siegfried Beer, Geheimdienstexperte an der Universität Graz. Die Informationen wurden in einem Geheimbriefkasten in der Wiener Innenstadt, und zwar in einer Mülltonne am Hohen Markt, übergeben.

Die Witwe des 2016 verstorbenen Karl Erwin Lichtenecker, Peggy Lichenecker, sagte im Gespräch mit noe.ORF.at, ihr Ehemann sei blauäugig gewesen. Lichtenecker wurde im Frühjahr 1971 als Spion enttarnt: „Er hat auf seinem Schreibtisch im Büro im Bundeskanzleramt einen Zettel mit Informationen über ein Treffen vergessen. Ein Arbeitskollege hat diesen Zettel gefunden und seine Vorgesetzten informiert. Daraufhin sind Polizisten zu uns nach Hause gekommen und haben ihn verhaftet“, erzählt die Witwe.

Schon zuvor war aufgefallen, dass Lichtenecker für einen jungen Beamten einen recht großzügigen Lebenswandel geführt hatte. Zweiflern beschied Lichtenecker, er verdiene als Übersetzer englischsprachiger Bücher ganz gut dazu, schrieb der Journalist Herbert Lackner über einen der spektakulärsten heimischen Spionagefälle in den Jahren des „Kalten Krieges“.

Rapp: „Heute findet man solche Informationen im Internet“

Karl Erwin Lichtenecker musste sich im September 1971 vor Gericht verantworten. Er wurde zu zehn Monaten schwerem Kerker verurteilt. Zu Unrecht, wie er zeitlebens beteuerte. „Das waren Informationen, die man heute mit ein paar Mausklicks im Internet finden würde, aber damals waren sie tatsächlich schon wertvoller. Lichtenecker wurde auch nicht verurteilt, weil er wichtige Informationen weitergegeben hatte, sondern aufgrund der Absicht, für ein anderes Land zu spionieren“, erklärt Christian Rapp vom Haus der Geschichte in St. Pölten.

Lichtenecker machte sich nach der Verbüßung der Haftstrafe als Übersetzer der Bücher von Frederic Morton ins Deutsche sowie von Übersetzungen der Romane Johannes Mario Simmels ins Englische einen Namen. Das Kapitel 25 in der Ausstellung „Spionage! 39 Fälle“ im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich ist seinem Fall gewidmet.