Kultur

Realismus pur: Gernot Wolfgruber wird 75

Mit fünf zwischen 1975 und 1985 erschienenen Romanen hat sich der in Gmünd geborene Gernot Wolfgruber einen Rang als markantester Vertreter eines neuen Realismus in der heimischen Literatur erschrieben. Am Freitag wird der Autor 75 Jahre alt.

Geboren wurde Gernot Wolfgruber am 20. Dezember 1944 in Gmünd als Sohn einer Kriegswitwe. Seine Biografie liest sich teilweise wie der Lebensweg einer seiner Romanfiguren: Hauptschule, abgebrochene Lehre, Hilfsarbeit, alles in allem das Beispiel eines missglückten sozialen Aufstiegs eines Menschen aus benachteiligter Herkunft. Immerhin schaffte Wolfgruber mit Externistenmatura und Publizistik-und Politikwissenschaftsstudium den Sprung in die Bildungswelt und schließlich in die Literatur.

Typische Anti-Heimatliteratur: „Herrenjahre“

1975 debütierte er mit dem Erstling „Auf freiem Fuß“, der Geschichte einer aussichtslosen Jugend in der österreichischen Provinz der Nachkriegszeit. Übertroffen wurde der spontane Erfolg dieser Geschichte um hilflose Ausbruchsversuche und kriminelle Stigmatisierung von den „Entwicklungsromanen“ „Herrenjahre“ (1976) und „Niemandsland“ (1978).

Gernot Wolfgruber
APA/Jung und Jung
Gernot Wolfgruber, über dessen Romane der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler sagte, dass sie zum Besten und Wichtigsten gehören, was in diesem Genre in Österreich nach 1945 hervorgebracht wurde

Wolfgrubers erste drei Romane bilden eine Art „Trilogie mit wechselnden Helden“, wie der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler einmal in einer Würdigung schrieb. Der Autor erwarb sich damit den Ruf eines Exponenten der Anti-Heimatliteratur und der autobiografischen Bekenntnisromane der 1970er Jahre. Parallel verfasste Wolfgruber in diesen Jahren auch Drehbücher: „Der Einstand“ (1977, verfilmt von Reinhard Schwabenitzky), „Der Jagdgast“ (1978, verfilmt von Fritz Lehner), „Das Vorbild“ (1980) – und, zusammen mit Helmut Zenker, Hörspiele – „Der Vertreter“ (1975), „Mutter, Vater, Kind“ und „Wiener Schnitzel oder High Noon“ (beide 1976). Dieter Berner verfilmte 1981 „Niemandsland“, Axel Corti 1983 „Herrenjahre“.

1981 erschien der Großstadt-Milieuroman „Verlauf eines Sommers“, die Darstellung der Folgen von missglückter Erziehung in kleinbürgerlicher Enge. Vier Jahre später setzte sich Wolfgruber in „Die Nähe der Sonne“ noch einmal mit der Unmöglichkeit sinnvoller Lebensgestaltung in enger Gesellschaftsordnung und drückenden psychischen Konflikten auseinander.

„Man kann schreiben, ohne zu publizieren“

Wolfgrubers Romane zeigen die andere Seite der goldenen Kreisky-Ära, „das prekäre Ineinander kollektiver und individueller Befangenheiten“, so Schmidt-Dengler, für den die Bücher „zum Besten und Wichtigsten, was in diesem Genre in Österreich nach 1945 hervorgebracht wurde“, gehörten. Der Autor erhielt 1975 den Theodor-Körner-Preis, 1989 wurde er mit dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur geehrt.

In der Grazer Literaturzeitschrift „manuskripte“ veröffentlichte Wolfgruber im September 1997 einen Text mit dem Titel „Wie warten. Immer“ und mit dem Hinweis, dass es sich um einen Ausschnitt „aus einem Roman in Arbeit“ handle. Aus dem Jahr 2004 stammt der Wolfgruber-Satz „Man kann schreiben, ohne zu publizieren.“ Dass die Texte keineswegs veraltet sind, bewies 2009 bei Jung und Jung eine Neuausgabe von „Auf freiem Fuß“, die es an die Spitze der ORF-Bestenliste schaffte. Ein neuer Roman ist aber nicht angekündigt.