Prozessauftakt in Krems
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Chronik

13-Jährige tot: Fünf Jahre Haft für Eltern

Am Landesgericht Krems hat sich am Mittwoch ein Ehepaar aus Deutschland verantworten müssen. Den beiden wurde vorgeworfen, sie hätten die chronische Krankheit ihrer 13-jährigen Tochter nicht behandeln lassen. Die Angeklagten wurden wegen gröblicher Vernachlässigung nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Die Beschuldigten lebten laut Anklage vor der Inhaftierung rund sechs Jahre gemeinsam mit ihren sieben Kindern im Bezirk Krems. Die beiden deutschen Staatsbürger gehören der Glaubensgemeinschaft „Gemeinde Gottes“ an. Bis auf das verstorbene Mädchen ließen sie keines der Kinder jemals von einem Arzt untersuchen, zudem besuchte der Nachwuchs weder Kindergarten noch Schule.

Eltern drängten auf Entlassung aus Krankenhaus

Im Juni 2017 wurde die Bezirkshauptmannschaft Krems in einem Schreiben auf den schlechten Gesundheitszustand des Mädchens hingewiesen. Auf Drängen einer Sozialarbeiterin hin wurde die damals Zehnjährige in ein Krankenhaus in der Umgebung gebracht, wo ein lebensbedrohlicher Zustand diagnostiziert wurde. Rasch wurde das Mädchen ins SMZ Ost nach Wien überstellt. Nach acht Tagen sollen die Angeklagten aber auf eine Entlassung der Tochter gedrängt haben. Trotz eindringlicher Warnungen der Ärzte unterschrieb der Vater einen Revers, woraufhin das Mädchen in häusliche Pflege übergeben wurde.

In den folgenden beiden Jahren ließen die Eltern das Kind nicht mehr medizinisch behandeln. Laut Anklageschrift verspürte das Mädchen in diesem Zeitraum immer wieder heftige Schmerzen und Übelkeit, eine altersadäquate Gewichtszunahme erfolgte nicht. Auch die Entzündung der Bauchspeicheldrüse verschlechterte sich stetig: Lebenswichtige Inselzellen starben ab, das löste eine Zuckerkrankheit aus. Wäre das Mädchen in der Zeit von Sommer 2017 bis September 2019 regelmäßig medizinisch überwacht worden, hätte es ein annähernd normales Leben geführt, so die Staatsanwaltschaft.

Das Medieninteresse beim Prozessauftakt ist groß
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Das Interesse der Medien an dem Fall ist vor Prozessbeginn groß

13-Jährige hätte behandelt werden können

Mitte September 2019 spitzte sich die gesundheitliche Lage der nunmehr 13-Jährigen zu. Im Beisein seiner Frau erklärte der 39-Jährige am 16. September seiner Tochter angesichts ihres schwachen Allgemeinzustandes laut Anklage, dass sie sterben würde. Am folgenden Tag erwachte die 13-Jährige nicht mehr aus einem diabetischen Koma. Die Eltern sollen das Sterben ihrer Tochter beobachtet haben. „Hätten die Angeklagten entsprechend ihrer Verpflichtung und Verantwortung gehandelt, einen Arzt verständigt und eine Behandlung des Kindes zugelassen“, wäre das Mädchen „heute ohne Zweifel noch am Leben“, wurde in der Anklageschrift betont.

Eine Handlung soll aus religiösen Gründen unterblieben sein. „Wenn Gott es so will, dass sie stirbt, dann soll man von außen nicht eingreifen“, sagte der 39-Jährige laut Anklage einer Zeugin. In der Evolution setzte sich „nach Gottes Wille der Stärkere durch“. „Die beiden wollten garantiert nicht, dass die Tochter stirbt“, sagte Zaid Rauf, der die Beschuldigten gemeinsam mit Rudolf Mayer vertritt, im Vorfeld des Prozesses zur APA. Keinen Arzt zu holen sei der Wunsch der 13-Jährigen gewesen.

Vater rechtfertigte sich

Am Mittwochvormittag wurde der beschuldigte Vater befragt. Der 39-Jährige sprach davon, dass er und seine Ehefrau angesichts des schlechten Gesundheitszutands der Tochter „auf Gott vertraut“ und gehofft hätten, „dass Gott ihr hilft“.

Er habe am Sonntag (die 13-Jährige starb am darauffolgenden Dienstag, Anm.) angefangen zu fasten und gebetet. Dass das Mädchen sterben könnte, habe er zwar vermutet, dennoch aber immer weiter gehofft. „Wir glauben auch daran, dass Gott Tote auferwecken kann“, sagte der 39-Jährige und gab damit Einblick in das religiöse Verständnis der Familie. Die „Gemeinde Gottes“, die evangelikale Religionsgemeinschaft, der er und seine Familie angehören, charakterisierte der Angeklagte unter anderem als strikt bibeltreu mit konservativen Moralvorstellungen und dem Glauben an Wunderheilungen.

Angeklagter: „Gott heilt jede Krankheit“

Der 13-Jährigen habe er dennoch angeboten, zum Arzt zu fahren, „aber sie wollte nicht. Sie hat ihr Vertrauen auf Gott gesetzt.“ Die Erkrankte habe gesagt, „wenn Gott sie nicht heilt, will sie in den Himmel“. Den Willen des Mädchens zu respektieren, sei in der Nachbetrachtung jedoch falsch gewesen, das sei ihm nun „mehr klar“. Über Tage hinweg zuzuschauen, wie das eigene Kind stirbt, könne man nur, wenn einem Gott helfe. Wieder so lange nicht handeln würde er jedoch nicht: „Ich habe eine Verpflichtung gegenüber den Kindern.“

Generell würden er und seine Frau lieber auf Gott als auf die Medizin setzen, denn: „Gott heilt jede Krankheit“. Die meisten Ärzte seien ungläubig und daher keine Diener Gottes. Ins Spital zu gehen, sei ein Zeichen eines schwachen Glaubens. Er selbst sei „nur einmal im Krankenhaus“ gewesen. In diesem Fall habe ihn Gott nicht heilen können, antwortete der Beschuldigte auf eine entsprechende Frage der vorsitzenden Richterin.

Keine Verurteilung wegen Mordes

Wegen gröblicher Vernachlässigung einer unmündigen Person mit Todesfolge wurde das Paar am Abend nicht rechtskräftig zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die beiden Hauptfragen nach Mord durch Unterlassung wurden von vier Laienrichtern bejaht und von ebenso vielen verneint. Bei Stimmengleichheit ist ex lege zugunsten der Angeklagten vorzugehen. Alle acht Geschworenen votierten bei den Eventualfragen nach gröblicher Vernachlässigung einer unmündigen Person mit Todesfolge für Ja. Das Urteil wurde von den beiden Deutschen angenommen, die Staatsanwältin kündigte hingegen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.